Hamburg. HSV-Coach Hecking und Stuttgarts Walter gelten als gegensätzliche Fußballlehrer. Im Volkspark prallen zwei Philosophien aufeinander.
Tim Walter hat eine besondere Beziehung zu seiner Mutter. Als der Trainer des VfB Stuttgart vor einigen Wochen gefragt wurde, wie er sich eigentlich seine direkte Art angeeignet hat, antwortete Walter: „So hat mich meine Mutter erzogen. Sie hat immer gesagt: ,Du musst zu dem stehen, was du machst, und deine Meinung auch vertreten.‘ So habe ich es dann auch gemacht.“ Und wer den Trainer kennenlernt, der wird genau diese Worte wiederholen. Wen man auch fragt über die Eigenschaften des 43 Jahre alten Fußballlehrers – die Antworten sind immer dieselben: direkt, ehrlich. Und vor allem: sehr selbstbewusst. Aber auch: sehr spannend.
Von der selbstbewussten Trainerperson Tim Walter und seiner spannenden Fußballphilosophie können sich an diesem Sonnabend mal wieder die Zuschauer im Volksparkstadion ein Bild machen, wenn Walter mit dem VfB Stuttgart zum Topspiel beim HSV antritt (13 Uhr / Sky und Abendblatt- Liveticker). Schon vor 15 Monaten war Walter in der ausverkauften HSV-Arena zu Gast. Damals mit Holstein Kiel. Der Underdog besiegte den Favoriten 3:0 und beeindruckte vor allem mit der Art und Weise. Gleich in seinem ersten Spiel als Trainer einer Profimannschaft hatte Walter bundesweit auf sich aufmerksam gemacht.
Hecking bestritt schon 700 Spiele als Profitrainer
Seit dieser Saison arbeitet Walter beim VfB Stuttgart. Und so kommt es am zehnten Spieltag nicht nur zum Duell des Tabellenführers aus Hamburg (21 Punkte) mit dem Verfolger aus Stuttgart (20). Es ist auch das Treffen zweier Trainer, die verschiedener kaum sein könnten – und sich doch in vielen Punkten ähneln. Auf der einen Seite der Routinier Dieter Hecking, rund 700 Spiele als Profitrainer mit sieben Clubs, DFB-Pokalsieger, Champions-League-Viertelfinalist. Auf der anderen Seite Walter, früherer Amateurfußballer, deutscher B-Jugend-Meister mit Bayern München, jetzt erstmals auf der großen Bühne eines Traditionsclubs unterwegs. Hecking und Walter eint vor allem eins: ihr Selbstbewusstsein als Fußballtrainer und ihre Überzeugung in die eigene Arbeit.
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Ralf Becker hebt direkt die Stimme, als er den Namen hört, über den das Abendblatt mit ihm sprechen will. „Spannend“, sagt Becker und meint damit nicht nur die Person Tim Walter, sondern dessen Trainergeschichte. Becker, im Mai als Sportvorstand an dem Tag freigestellt, an dem er Dieter Hecking als neuen HSV-Trainer dingfest machen wollte, holte Walter noch vor einem Jahr als letzte Amtshandlung zu Holstein Kiel. „Tim ist ein großes Trainertalent mit einer ganz klaren Idee und einer großen Überzeugung“, sagt Becker über Walter.
Walter trainierte HSV-Profi Adrian Fein beim FC Bayern
Die beiden kennen sich noch aus ihrer gemeinsamen Zeit beim Karlsruher SC, als Walter seine ersten Schritte im Jugendbereich als Trainer machte. Über einen gemeinsamen Bekannten, den ehemaligen KSC-Profi Thomas Kies, lernten sich Becker und Walter auch privat kennen. „Wir sind immer im Austausch geblieben“, sagt Becker heute. Als Walter mit Karlsruhes A-Jugend 2015 ins Halbfinale der deutschen Meisterschaft einzog, wurde der FC Bayern München auf ihn aufmerksam.
Für die ungewohnt hohe Summe von 200.000 Euro wechselte Walter in die B-Jugend der Bayern. Zwei Jahre coachte er die U 17, ein Jahr die U 23. In beiden Mannschaften spielte HSV-Profi Adrian Fein. Die Bayern-Leihgabe sagt über Walter: „Er war der wichtigste Trainer in meiner Jugendlaufbahn. Er hat mir sehr viel beigebracht.“
Für Schlagzeilen sorgte Walter, als er nach seinem Wechsel von den Bayern zu Holstein Kiel das Nachwuchskonzept der Münchner kritisierte. Präsident Uli Hoeneß soll ihm zum Abschied geraten haben, doch ein bisschen ruhiger zu werden. Doch Walter geht seinen Weg weiter mit voller Überzeugung. So wie es ihm seine Mutter beigebracht hat. In Kiel legte er sich direkt mit den Führungsspielern an, in Stuttgart fiel er bislang vor allem durch seinen schroffen Umgang mit den Schiedsrichtern auf.
Hecking mag wie der VfB spielt
Erst kürzlich musste er 5000 Euro Strafe wegen eines Spruchs über Felix Zwayer zahlen. „Ich hab gedacht, meine Frau pfeift heute, weil die pfeift auch immer für die, die die schönsten Trikots anhaben“, hatte Walter gesagt. Einsicht zeigte er wenig. „Ich habe nur meine Meinung gesagt. Wenn ich die nicht mehr sagen darf, höre ich lieber auf.“
Doch Walter steht erst am Anfang. In der Fußballszene hat er sich nicht nur durch sein Selbstbewusstsein einen Namen gemacht, sondern vor allem durch seine Spielidee. Die gefällt auch HSV-Trainer Hecking: „Ich mag, wie der VfB spielt. Mit viel Risiko behaftet. Bei Ballbesitz ist das Spiel ein wenig unorthodox. Sie stellen den Gegner vor Aufgaben.“ Walter lässt Stuttgart so spielen, wie er es schon mit Bayerns Nachwuchs und Holstein Kiel machte. Mit einem mutig-riskanten Aufbauspiel, das beim Torhüter beginnt. Auch das Spiel der Innenverteidiger hat er neu definiert. Das moderne Umschaltspiel mag Walter nicht. Er fordert von seinen Spielern Dominanz, Mut und Selbstvertrauen ein. So wie er es an der Seitenlinie vorlebt.
VfB-Trainer hat die volle Rückendeckung
In Kiel hatte Walter die Zeit, seine Philosophie auf einem neuen Niveau zu entwickeln. Mit beachtlichen Ergebnissen. Beim Spiel in Magdeburg erzielte Kiel im Februar ein Tor, das in seiner Entstehung an den FC Barcelona erinnerte und zum Internet-Hit wurde. Die englische Reporterlegende Piers Morgan schrieb bei Twitter vom „großartigsten Tor der Fußballgeschichte“. Torhüter Kenneth Kronholm hatte mit einem Hackentrick den Angriff über mehrere Stationen eingeleitet. Nur eine Woche später ging dieser Mut aber schief, als Kronholm sich gegen Fürth an der Seitenlinie verdribbelte.
Die Philosophie unter Walter erinnert an die Idee, die Christian Titz beim HSV mit Torhüter Julian Pollersbeck versuchte einzuführen. Im Gegensatz zu Titz erhält Walter für seine Art von der sportlichen Führung die volle Rückendeckung. Trotzdem bewegt sich der VfB-Trainer im kritischen Stuttgarter Umfeld mit seiner Spielidee und seiner überzeugten Art in einem Spannungsfeld.
Dem gegenüber steht Dieter Hecking mit seiner Ruhe. Emotional und selbstbewusst kann sich aber auch der 55-Jährige geben. Und auch Hecking setzt auf einen fußballerischen Ansatz. Wenngleich bei ihm die kontrollierte Offensive gilt, während es bei Walter schon einmal spektakulär werden kann – in beide Richtungen. Klar ist, dass sich die Zuschauer am Sonnabend auf einen spannenden Nachmittag einstellen können.