Hamburg. Die Innenbehörde bekräftigt, dass der Reisepass des Fußballers Bakery Jatta nicht gefälscht sein soll. Hecking übt Medienkritik.
Dieter Hecking war zu früh. Fünf Minuten vor der um 13 Uhr terminierten Pressekonferenz zum Pokalspiel in Chemnitz (So./18.30 Uhr) betraten der HSV-Trainer und Pressesprecher Till Müller am Freitagmittag das Podest im ersten Stock des Volksparkstadions. „Herzlich willkommen zur heutigen, sportlichen Pressekonferenz“, begrüßte Müller die sehr zahlreichen Medienvertreter, als alle Mikrofone eingeschaltet waren und die Kameras surrten. Doch obwohl Müller das Wort „sportlich“ lautstark betonte, blieb es in dieser Hinsicht beim Wunsch.
Bereits zwei Stunden zuvor hatte eine Vorabmeldung des „Spiegels“ dafür gesorgt, dass sich die Aufregung um Bakery Jatta auch am dritten Tag nicht legte – und dass auch die Pressekonferenz vor dem Pokalspiel gegen den Chemnitzer FC alles außer sportlich sein würde. So berichtete das Nachrichtenmagazin, dass interne Dokumente der Enthüllungsplattform Football Leaks belegen würden, dass die Verantwortlichen des HSV bereits vor dreieinhalb Jahren Zweifeln am Alter und dem Namen des Fußballers nachgegangen waren.
Demnach hätte ein Spielerberater einen HSV-Mitarbeiter bereits am 18. Januar 2016 darauf hingewiesen, dass Bakery Jatta in Wahrheit Bakary Daffeh sei. Über genau diese Vermutung hatte erstmals die „Sport Bild“ am Mittwoch berichtet – und als Kronzeugen zwei mutmaßliche Trainer Daffehs aus Gambia zitiert.
Hecking zur Causa Jatta: "Beweislage abwarten"
Und so dauerte es eine Minute und 25 Sekunden, ehe auch Hecking am Freitagmittag um ein Statement zur Causa Jatta gebeten wurde. „Von außen stürzt sich alles darauf, aber erst einmal muss man doch die Beweislage abwarten“, antwortete der Fußballlehrer und nutzte die Gelegenheit zu einer pauschalen Medienkritik: „Ich bitte darum, dass man das Thema mal ein bisschen runterfährt. Das, was da gerade passiert, ist doch typisch für die Medienlandschaft. Man hat doch noch gar keine Beweislage.“
Die von Hecking angemahnte Beweislage sollte an diesem ereignisreichen Freitag aber nicht lange auf sich warten lassen. Sowohl entlastend als auch belastend, was in der komplizierten Gemengelage Jatta einmal mehr deutlich machte, dass es zwischen Schwarz und Weiß auch immer Grautöne gibt.
So legte zunächst die „Sport Bild“ nach und berichtete gemeinsam mit der „Bild“ darüber, dass durch das „Transfer-Registrierungs-System“ der Fifa (TMS) nachgewiesen werden konnte, dass Jatta vor seinem Engagement beim HSV für den gambischen Erstligisten Brikama United aktiv war. Dort sei der Fußballer vom 1. Februar 2014 bis zum 30. Juni 2016 offiziell geführt worden.
Brisant: Auch die DFL bestätigte die Recherche, schreibt aber zudem, dass der gambische Fußballverband die internationale Freigabe erteilt und die Identität Bakery Jattas bestätigt habe. Trotzdem titelte „Bild.de“: „Fifa-Profil beweist Jatta-Lüge“, da er selbst immer angegeben habe, vor dem HSV nie organisiert Fußball gespielt zu haben. „Ich habe in Afrika in keinem Verein gespielt, das gab es dort nicht“, hatte er in einem Interview auf der HSV-Homepage im Juni 2016 gesagt.
"Das zerstört ein wenig die Story des Wunder-Flüchtlings"
Tatsächlich hatten zum Zeitpunkt des Interviews auch die HSV-Verantwortlichen Zweifel an Jattas Darstellung. So zitiert der „Spiegel“ aus einer internen Mail, in der ein HSV-Mitarbeiter schon damals warnte: „Bislang wird ja kommuniziert (auch vonseiten des Spielers), dass es keinen ehemaligen Verein gab. Uns liegen aber entsprechende Hinweise vor. Will/soll man das kommunizieren? Zerstört natürlich ein wenig die Story des Wunder-Flüchtlings.“
Das Abendblatt fragte bei den damaligen Verantwortlichen nach. Vorstand Frank Wettstein, der als Einziger noch immer im Amt ist und nach Abendblatt-Informationen auch damals schon eingeweiht war, wollte sich auf Nachfrage nicht äußern. Und während Ex-Sportchef Peter Knäbel nicht zu erreichen war, betonte Ex-Clubchef Dietmar Beiersdorfer, dass er sich aufgrund der laufenden Ermittlungen der Behörden nicht zu dem Fall äußern wolle. Im Gespräch mit dem Abendblatt verwies Beiersdorfer aber darauf, dass der HSV vor drei Jahren jegliche Rechtsfragen mit allen zuständigen Behörden geklärt habe – auch mit dem gambischen Konsulat.
Dies bestätigte am Freitag auch eine Sprecherin der Bremer Innenbehörde, die für Jatta im Jahr 2015 zunächst zuständig war. Dem Abendblatt versicherte die Sprecherin, dass Jatta seinerzeit zunächst ohne gültigen Reisepass nach Deutschland gekommen war. Und trotzdem unterschrieb am 11. November 2015 ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein Dokument mit dem Titel „Aussetzung der Abschiebung (Duldung)“. In der Folge habe sich der Flüchtling nach Auskunft eines Sachbearbeiters bemüht, ein Ausweisdokument vorlegen zu können. „Das sprach auch sehr für ihn, weil viele andere Betroffene diese Mitwirkung nicht zeigen“, sagte die Sprecherin. In einigen Fällen besitzen Ausländer auch einen Pass, zeigen diesen aber aus Sorge vor einer Abschiebung zunächst nicht bei den Behörden vor.
Jatta bekam im Januar 2016 einen neuen Pass
Nach Recherchen des Abendblatts beantragte und bekam Jatta dagegen einen neuen Pass, der am 27. Januar 2016 in seiner Heimat Gambia ausgestellt wurde. Wie aus einem späteren offiziellen Dokument hervorgeht, sollte der Ausweis dabei von Familienmitgliedern Jattas abgeholt und per Post nach Deutschland geschickt werden. Wieder so ein Einerseits-andererseits-Beweis. Denn einerseits hatte Jatta stets beteuert, keine Angehörigen mehr in Gambia zu haben. Andererseits dürfte der offiziell ausgestellte Reisepass den unter Druck stehenden HSV-Stürmer nun im ganz erheblichen Maße entlasten.
Das Bremer Migrationsamt sah es seinerzeit als nötig an, die Echtheit des Dokuments, das Jatta schließlich vorzeigte, zu überprüfen. Dazu wurde nach Abendblatt-Informationen im Frühjahr 2016 eine Anfrage an das Honorargeneralkonsulat der Republik Gambia in Köln gestellt – und dieses bestätigte die Ausstellung des neuen Reisepasses.
Bremer Beamte sind von der Echtheit des Passes überzeugt
Dass Jattas Reisepass auf offiziellen Wegen ausgestellt wurde, macht eine Fälschung nach Angaben von Beamten sehr unwahrscheinlich. „Es wäre sicherlich auch schwieriger, jemanden von Deutschland aus zu bestechen, damit er falsche Angaben in einen legitimen Reisepass einträgt“, heißt es in Verwaltungskreisen. Zu 100 Prozent auszuschließen sei das allerdings nicht.
Doch zumindest Trainer Hecking brauchte am Freitagmittag keine 100 Prozent. „Für mich zählt die Unschuldsvermutung“, betonte der HSV-Trainer. Oder in anderen Worten: Im Zweifel für den Angeklagten. „Mehr brauche ich dazu auch nicht zu sagen.“ Auf die Nachfrage eines Reporters, ob Jatta denn auch beim Pokal in Chemnitz im Kader stehe, antwortete Hecking mit einem Wort („natürlich“) und einer Gegenfrage: „Warum auch nicht?“ Sein Schlusswort: „Es müssen doch erst einmal Fakten geschaffen werden.“ Kurze Pause. „Und solange diese Fakten nicht geschaffen sind, freue ich mich auf Chemnitz.“