Hamburg. In seinem ersten HSV-Auswärtsspiel muss Trainer Hecking am Montag in die alte Heimat zum 1. FC Nürnberg.

Wenn man der Legende glauben darf, dann ging Dieter-Klaus Heckings Stern als Trainer in Nürnberg am Tag der Arbeit, also am 1. Mai 2010, ausgerechnet in Hamburg auf. Nach einer deftigen Niederlage. 0:4 im Volkspark. Zweimal Petric, je einmal Pitroipa und van Nistelrooy. Mit hängenden Köpfen saßen damals die Nürnberger, die einen Spieltag vor Schluss mit dem erneuten Abstieg rechnen mussten, im Mannschaftsbus, als Hamburgs heutiger und Nürnbergs damaliger Fußballlehrer eine entscheidende Idee hatte.

Der Coach, der erst in der Winterpause gekommen war, ließ den Mannschaftsbus stoppen und zwei Kisten Bier einladen. „Wie früher in der Oberliga“, erklärte Hecking später den „Nürnberger Nachrichten“, „und dann sollten sie reden“. Über das 0:4. Über ihre Fehler. Ihre Stärken. Und vor allem: über das, was die Mannschaft nach so einer dramatischen Niederlage nun noch tun könnte. Kämpfen. Sagte Hecking damals. „Bis zum letzten Tag.“

Neun Jahre später treffen an diesem Montag (20.30 Uhr/Sky) erneut der Club und der HSV aufeinander. Erneut mit Dieter Hecking an der Seitenlinie. Diesmal aber als HSV-Trainer. Diesmal in Nürnberg. Diesmal in der Zweiten Liga. Und diesmal zunächst ohne Kiste Bier.

Dramatische Relegation

Was aber so eine Kiste Gerstensaft ausmachen kann, erlebten Nürnberg und Trainer Hecking nur zwei Wochen nach dem 0:4-Debakel vor neun Jahren. Relegation. Gegen Augsburg. Das Hinspiel hatte der Club knapp mit 1:0 in Nürnberg gewonnen. Dann das Rückspiel. In Augsburg. Erst traf Youngster Ilkay Gündogan zum beruhigenden 0:1. Dann der frühere Hamburger Maxim Choupo-Moting zum alles entscheidenden 0:2. „Der Dieter hat immer auf die Jungen gesetzt“, sagt der damalige Sportvorstand Martin Bader am Telefon. „Mit Ilkay und Maxim haben uns dann tatsächlich ein 19- und ein 21-Jähriger gerettet.“

Martin Bader
Martin Bader © dpa | Uwe Anspach

Bader, mittlerweile Sportvorstand vom 1. FC Kaiserslautern, sitzt in seinem Büro und wirft noch einmal das Kopfkino an. „Ohne den Dieter hätten wir den Klassenerhalt damals sicher nicht geschafft.“ Natürlich erinnere er sich noch sehr gut an diese dramatische Relegation. An die Erleichterung nach dem letzten Schlusspfiff der Saison. Und vor allem an die Klassenerhaltsparty nach dem Spiel. „Der Dieter war ein echtes Feierbiest“, sagt Bader, der die Party in der In-Diskothek „Indabahn“ im Nürnberger Hauptbahnhof noch ganz genau vor Augen hat: „Wir waren dort mit alle Mann – und den jeweiligen Frauen. Und der Dieter ist nicht nur ein guter Trainer, sondern auch ein guter Feierer.“

Ganz besondere Geschichte

Nürnberg und Hecking. Das ist eine ganz besondere Geschichte, die Weihnachten 2009 speziell anfing. Und die drei Jahre später sehr speziell aufhörte. „Den Dieter“, erinnert sich Bader, „verpflichteten wir damals quasi unter dem Weihnachtsbaum.“ 0:3 hatten die Nürnberger am 20. Dezember in Köln verloren, ehe drei Tage vor Heiligabend Michael Oenning gehen musste. Fröhliche Weihnachten! „Am zweiten Weihnachtstag waren Dieter und ich uns dann über alles einig, und er unterschrieb.“

Heckings erste Sofortmaßnahme: Der Neu-Trainer verlegte den geplanten Trainingsstart vom 3. Januar auf den 28. Dezember vor. „Diese Idee fand natürlich nicht jeder in der Mannschafts spaßig. Aber jeder wollte die Klasse halten“, sagt Bader, der sich an einen ganz besonderen Fall erinnert: Albert Bunjaku. „Den haben wir erst nicht erreicht, weil er im Flieger auf die Malediven saß. Als er gelandet war, hat er die Mailbox abgehört und dann den nächsten Flieger wieder zurückgenommen.“ Neuneinhalb Jahre später muss Bader lachen. „Der Dieter konnte knallhart sein. Er wollte eben alle früher beisammenhaben. Das fand nicht jeder toll, aber keiner hat uns die Stornierung in Rechnung gestellt.“

Überraschender Rang sechs

In der Rückrunde, also noch vor dem 0:4 in Hamburg, den folgenschweren Kisten Bier und der erfolgreichen Relegation, folgte die heckingsche Aufholjagd. So trotzte der Abstiegskandidat beispielsweise Rekordmeister Bayern München mit einer so ausgebufften Taktik einen Punkt ab, dass der verblüffte Louis van Gaal auf der anschließenden Pressekonferenz Hecking bat, die Strategie doch bitte schön für sich zu behalten: „Nicht zu viel erklären, bitte“, hatte van Gaal gesagt – und das durchaus ernst gemeint.

Nürnberg und Hecking. Das war die umjubelte Rettung zum Start, ein überraschender Rang sechs im Jahr darauf, dann ein gesicherter Mittelfeldplatz – und ein Ende mit Tränen im Winter 2012. Denn diesmal war es Hecking, der für den Club einfach zu groß geworden ist – und den es dann in der Winterpause zum VfL Wolfsburg weiterzog. „Ich habe jetzt mit allen Menschen telefoniert, mit denen ich beim Club eng zusammengearbeitet habe“, sagte Hecking damals den „Nürnberger Nachrichten“, „und ich hatte den Eindruck, dass sie alle traurig sind, aber mich auch verstehen können.“

Mehr als traurig war vor allem Manager Bader, der nach drei gemeinsamen Jahren in Nürnberg nicht nur Heckings Vorgesetzter war, sondern mittlerweile auch ein echter Freund. „Martin war enttäuscht, natürlich, er hat alles versucht, um mich zu halten. Und ich weiß ja, was ich Nürnberg zu verdanken habe“, sagte Hecking. „Martin hat auch in kritischen Phasen immer fest zu mir gestanden – weil er wusste, wie ich arbeite. Natürlich fällt so ein Abschied sehr schwer.“

Freundschaft ist geblieben

Sieben Jahre später liegt Heckings Nürnberg-Zeit lange zurück – doch die Freundschaft zu Bader ist geblieben. „In dieser Branche sind Freundschaften schwierig“, sagt Bader am Telefon, „aber Dieter ist definitiv einer meiner engsten Freunde. Wir telefonieren regelmäßig.“

So auch nach dem Angebot vom HSV. „Er hat mich frühzeitig in seine Überlegungen eingebunden, ob er Hamburg machen sollte“, sagt Bader. „Ich wusste, dass der HSV und Dieter wie die Faust aufs Auge passen könnten. Dieter hat schon in Nürnberg immer gesagt: Eigentlich muss man als Trainer mindestens einmal den HSV trainiert haben.“

Gesagt, getan. Am Montag wird Bader das Spiel des HSV in Nürnberg natürlich verfolgen. Vom heimischen Sofa aus. Und vielleicht sogar mit einem Bier.