Hamburg. Wunschkandidat unterschreibt für ein Jahr, könnte aber drei bleiben. Er lobt und tadelt Becker und bringt “zweite Ehefrau“ mit.
Der HSV und sein neuer Sportvorstand Jonas Boldt haben ihren Wunschtrainer bekommen. Am Mittwoch präsentierte der Fußball-Zweitligist Dieter Hecking als Nachfolger von Hannes Wolf.
Um 14.02 Uhr erhob der 54-Jährige auf der Pressekonferenz im Volksparkstadion das erste Mal das Wort als HSV-Trainer – nur wenige Stunden, nachdem bei seinem ehemaligen Arbeitgeber wiederum sein Nachfolger Marco Rose präsentiert worden war.
Heckings Vertrag verlängert sich bei Aufstieg
Hecking trainierte zuletzt zweieinhalb Jahre lang Borussia Mönchengladbach. Trotz Platz fünf und dem Erreichen der Europa League hatte der Bundesligist schon früh in der Rückrunde entschieden, sich von ihm am Saisonende zu trennen.
"Ich freue mich auf die Zweite Liga", sagte Hecking nun in Hamburg. "Das ist genau das, was ich jetzt brauche." Die Entscheidung, dass er "sehr gerne zum HSV komme", sei am Dienstagabend gefallen. An der Elbe unterschrieb der Coach einen Einjahresvertrag, der sich bei einem Aufstieg automatisch um ein Jahr verlängert. Bei Klassenerhalt in der Ersten Liga soll die Laufzeit erneut um ein Jahr verlängert werden. Hecking könnte im besten Fall also drei Jahre in Hamburg bleiben.
HSV in Heckings Familie sehr präsent
"Der Reiz lag darin, den HSV mit einem ambitionierten Ziel zu übernehmen", sagte Hecking, dessen Sohn sich als "glühender HSV-Fan" auf den Färöer-Inseln über die Entscheidung seines Vaters freute. Überhaupt genieße die Raute einen hohen Stellenwert innerhalb seiner Familie.
Auch er selbst habe sich schon als Kind zum HSV hingezogen gefühlt. "Ich war immer Kevin-Keegan-Fan", sagte Hecking, der den HSV trotz der Turbulenzen der vergangenen Jahre "immer noch toll" findet. Nun wolle er ein "bisschen Ruhe und hoffentlich wieder Erfolg zurückbringen", sagte Hecking. "Ich bin wirklich sehr, sehr glücklich, hier heute als HSV-Trainer vorgestellt zu werden."
Hecking bringt Co-Trainer Bremser mit
Mit Hecking kommt auch dessen langjähriger Co-Trainer Dirk Bremser in den Volkspark. "Er ist wie meine zweite Ehefrau, den tauscht man nicht einfach so aus", sagte Hecking: "Dafür ist er zu loyal und zu gut."
Von den bisherigen Assistenten André Kilian und Maik Goebbels müsse er sich zunächst ein Bild machen. Jedenfalls wolle Hecking beim Trainerstab nicht "wie die Axt im Walde durchgehen", kündigte der neue Chefcoach an.
Hecking war in den vergangenen Wochen bei mehreren Vereinen im Gespräch. Auch beim HSV wurde er nach der feststehenden Trennung von Wolf als aussichtsreicher Anwärter gehandelt. Überraschend kam sein Engagement beim einstigen Bundesliga-Dino aus Hamburg daher nicht mehr. In der vergangenen Woche hatte der in der Nähe von Hannover lebende Hecking bereits Gespräche mit dem damaligen Sportvorstand Ralf Becker geführt.
"Wichtig, dass nicht taktiert wurde"
Nach dessen überraschender Ablösung am Freitag und der Inthronisierung von Boldt blieb Hecking dennoch Kandidat Nummer eins. Vor allem Vorstandschef Bernd Hoffmann favorisierte den ehemaligen Profi.
Bereits in den vergangenen 14 Tagen habe er mit Hoffmann Kontakt gehalten, sagte Hecking. Dabei sei ihm wichtig gewesen, "dass nicht taktiert wurde", er der Wunschkandidat gewesen sei und sich "nicht noch duellieren" musste.
Hecking lobt und tadelt Becker
Für Becker hatte Hecking vor diesem Hintergrund denn auch noch Lob übrig, allerdings auch einen kleinen Tadel. "Es waren mit Ralf Becker sehr konstruktive Gespräche, er hat ein sehr gutes Bild vom HSV gezeichnet", sagte Hecking.
Gleichwohl habe er stets das Gefühl gehabt, dass es für ihn auch noch andere Kandidaten gebe. Bei Nachfolger Boldt sei dagegen klar gewesen: "Nein, du bist der einzige Kandidat!"
Boldt selbst wiederum freute sich, nach "regem Austausch" zu Heckings Zeiten bei Alemmania Aachen, dem 1. FC Nürnberg oder Hannover 96 nun "endlich" auch einmal mit dem Erfolgstrainer zusammenarbeiten zu dürfen.
Jansen lobt Heckings Selbstvertrauen
Auch HSV-Präsident und Aufsichtsratsmitglied Marcell Jansen positionierte sich klar zum ehemaligen Gladbacher. In einer ersten Reaktion auf die Verpflichtung sagte Jansen dem Abendblatt: "Dass Dieter Hecking zum HSV kommt, zeigt auch sein großes Selbstvertrauen. Es bedeutet nun mal harte Arbeit, dafür ist sich ein Dieter Hecking nicht zu schade."
Jansen, der selbst in der deutschen Nationalmannschaft, bei Bayern München und Mönchengladbach spielte, wies darauf hin, dass es Hecking immer wieder gelungen sei, aus jungen Spielern Stars zu formen. In Nürnberg und Hannover entwickelte er spätere international erfolgreiche Profis wie Ilkay Gündogan und Per Mertesacker.
Bei den Fans findet die Entscheidung ebenfalls Anklang. Supporters-Chef Tim-Oliver Horn schrieb über die "solide Trainerwahl" bei Twitter: "Kein gehypter Laptoptrainer, sondern jemand, der bei durchaus schwierigen Stationen gezeigt hat, dass er langfristig solide arbeiten kann."
Hecking wurde 2016 Trainer des Jahres
Seine bislang erfolgreichste Zeit erlebte der gelernte Polizist Hecking beim VfL Wolfsburg. Mit den Niedersachsen gewann er 2015 den DFB-Pokal und wurde Vizemeister. In der anschließenden Saison stieß er mit seinen Schützlingen in der Champions League bis ins Viertelfinale vor und wurde zu Deutschlands Fußballtrainer des Jahres gewählt. Insgesamt bestritt Hecking als Trainer 419 Spiele in der Ersten sowie 136 Partien in der Zweiten Bundesliga.
Beim HSV nimmt Hecking nun allerdings auf einem Schleudersitz Platz. Seit 2008 ist er inklusive Interimslösungen der sage und schreibe 20. Chefcoach beim Bundesliga-Gründungsmitglied.
Erstes HSV-Training am 24. Juni
Am 17. Juni wird Hecking erstmals im Hamburger Volkspark das Training leiten. Das erste HSV-Pflichtspiel mit dem neuen Coach auf der Bank wird der Zweitliga-Auftakt am letzten Juli-Wochenende sein. Kurios: Auch bei Hamburgs vorerst letztem Erstliga-Auftritt wirkte Hecking mit. Am 34. Spieltag der Abstiegssaison 2017/18 verlor er mit Gladbach im Volkspark mit 1:2. Sollte Hecking den HSV zurück ins Oberhaus führen, könnte sich also gewissermaßen ein Kreis schließen.
Doch zuvor lautet Heckings erster Auftrag, eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. Der Kader des finanziell klammen Vereins wird dazu massiv umgebaut. Mehr als ein halbes Dutzend Spieler hat den HSV verlassen, weitere Profis sollen ebenfalls gehen.
Bislang nahmen die Hanseaten Stürmer Lukas Hinterseer (VfL Bochum), David Kinsombi (Holstein Kiel), Jan Gyamerah (VfL Bochum) und Jeremy Dudziak (FC St. Pauli) für die neue Saison unter Vertrag.
Hecking sucht Spieler mit "Bock auf den HSV"
Es könne allerdings sein, dass er zum Trainingsauftakt noch nicht seinen Wunschkader beisammen habe, betonte Hecking am Mittwoch. Die Zusammenstellung müsse "gut durchdacht sein", sagte Hecking, der "beruhigende" Schnellschüsse auf dem Transfermarkt vermeiden möchte. "Wir wollen Spieler bekommen, die Bock auf den HSV haben und dem Druck standhalten können."
Hecking will mit Hunt sprechen
Dass Kapitän Aaron Hunt, mit dem Hecking zu gemeinsamen Wolfsburger Zeiten nicht immer einer Meinung war, weiter zur Mannschaft gehöre, scheint dabei nicht ausgeschlossen. "Er ist ein wichtiger Spieler", sagte Hecking. Und: "Es ist wichtig, dass ein Dieter Hecking mit Aaron Hunt spricht."