Hamburg. Der Finanzvorstand des HSV nimmt Stellung zu Fehlern der Vergangenheit und erläutert seine Pläne für die Entschuldung der Fußball AG.
Seit November 2014 arbeitet Frank Wettstein als Finanzvorstand beim HSV. Der 45-Jährige ist der einzige Verbliebene aus der Ära des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Dietmar Beiersdorfer. Seit fast fünf Jahren musste Wettstein nach jeder Saison einen Jahresfehlbetrag erklären. Dem Abendblatt beantwortete er nun schriftlich Fragen zu Fehlern der Vergangenheit und vor allem Fragen nach der finanziellen Zukunft des HSV.
Hamburger Abendblatt: Herr Wettstein, wie ernst ist die finanzielle Lage der HSV Fußball AG?
Frank Wettstein: Die finanzielle Lage ist das Ergebnis von unternehmerischen Entscheidungen und den darauf folgenden Entwicklungen. Zum aktuellen Zeitpunkt würde ich nicht von einer ernsten Lage sprechen. Wir stehen vor der zweiten Saison in der zweiten Bundesliga und sind wettbewerbsfähig; ein Umstand, den nicht viele so prognostiziert hätten. Aber klar ist: Mehr freie Liquidität, weniger Verbindlichkeiten sowie ein besseres Eigenkapital und die Erwirtschaftung von Überschüssen verbleiben als beständige Ziele.
Welche Folgen hat der verpasste Aufstieg für die die wirtschaftliche Situation des HSV?
Vor einem Jahr waren wir in die zweite Bundesliga abgestiegen. Die Kosten mussten gesenkt und die Rückführung der Jubiläumsanleihe bis zum Lizenzierungsverfahren innerhalb von neun Monaten sichergestellt werden. Mitunter stand der HSV vor einer schwierigen Herausforderung. Die Spielzeit 2018/19 in der zweiten Bundesliga ist dann leider nicht sportlich, aber rein finanziell betrachtet besser verlaufen, als es zu erwarten war. Das gilt für den Zuschauerschnitt und die Mitgliederzahlen, das gilt für die Teilnahme am DFB-Pokal und das gilt auch für die Transferbilanz, wobei die wesentlichen Effekte auch erst zum Ende der Saison realisiert werden oder wurden. Auch die vollständige Refinanzierung der Anleihe ist ein bedeutender Schritt gewesen.
Der verpasste Aufstieg nimmt uns allerdings die Chancen, uns umsatzseitig – gerade im Hinblick auf die TV-Erlöse – zu verbessern. Dies gilt es nun wieder auf der Ausgabenseite auszugleichen, so wie es in der gerade beendeten Spielzeit auch gelungen ist.
Der HSV darf sich darüber freuen, die Lizenz für die Zweite Liga ohne Bedingungen und Auflagen bekommen zu haben – ähnlich wie im vergangen Jahr. Da war das aber nur möglich durch ein 20-Millionen-Euro-Signing-Fee von Lagadere. Wie hat man sich diesmal zu helfen gewusst?
Wir freuen uns nicht über Lizenzen, diese sind schlichtweg notwendig, um in der Bundesliga oder in der zweiten Bundesliga mitwirken zu dürfen. Auflagen und Bedingungen wären auch zu ertragen. Übrigens: Die von Ihnen genannte Signing Fee ist dem HSV bis heute noch gar nicht vollständig ausgezahlt worden. Demzufolge ist die Behauptung, dass die Lizenz für die abgelaufene Spielzeit ausnahmslos an diesem Vertragsabschluss hing, auch nicht korrekt. Uns war vor einem Jahr bereits bewusst, dass wir auch für eine weitere Spielzeit die Voraussetzungen für die Lizenzerteilung, auch für die zweite Bundesliga, im Auge haben müssen. So sind wir im Übrigen auch beim Lizenzantrag für die kommende Saison vorangeschritten.
Sie sind seit 2014 HSV-Vorstand. Welche Mitschuld tragen Sie an der finanziellen Schieflage?
Die wesentlichen Entscheidungen sind im Vorstand besprochen und beschlossen worden, wenn vielleicht auch nicht immer einstimmig. Zu diesem Gremium gehöre ich seit 2014 und trage die Gesamtverantwortung mit. Zu meinem Amtsantritt waren die finanzielle Situation ebenso wie die internen Strukturen sicher nicht besser als heute. Aber dass wir heute nicht sagen können, wir wären finanziell bestens aufgestellt, dafür trage ich selbstverständlich die Verantwortung mit.
Kann man plausibel erklären, dass man in den Bundesligajahren zwischen 2014 und 2018 vier Jahre lang im Schnitt rund 30 Millionen Euro mehr (durch Transfers, Kredite oder den Verkauf von Eigenkapital) ausgegeben als eingenommen hat und dann im Ergebnis abgestiegen ist?
Wenn Ihre Rechnung stimmt, dann gäbe es heute irgendwo ein finanzielles Loch in Höhe von rund 120 Millionen Euro. Dass es so nicht ist, liegt daran, dass die Ausgaben immer gegenfinanziert worden sind, im Wesentlichen durch Eigenkapitalzuführungen oder durch Fremdkapitalaufnahme. Und dennoch haben wir trotz aller Verluste in den vier Jahren die Verbindlichkeiten in dem Zeitraum vom 31. Dezember 2014 bis zum 31. Dezember 2018 um mehr als 25 Millionen Euro abgebaut und gleichzeitig das Eigenkapital verdoppelt. Abgestiegen sind wir nicht aufgrund unserer finanziellen Situation, die Wechselwirkung hat genau die entgegengesetzte Richtung.
Der HSV hat auch unter Ihrer Führung bis zum vergangenen Sommer eine riskante Strategie auf dem Transfermarkt verfolgt. Noch immer leidet der Club an den Folgen. Wie lange noch?
Was ist keine riskante Strategie auf dem Transfermarkt? Eine Garantie für sportlichen Erfolg durch Aktivitäten auf dem Transfermarkt wird es nie geben. Die Spielertransfers waren und sind alle gegenfinanziert gewesen, sie waren von den sportlich Verantwortlichen gewollt. Das Problem ist, dass mit diesen Transfers die sportliche Erwartungshaltung nicht erfüllt wurde und wir abgestiegen sind. Die Balance zwischen unternehmerischem Risiko und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit ist die Herausforderung jeder investiven Tätigkeit, im Fußballprofisport im Besonderen.
Was muss passieren, damit sich der HSV aus der Schuldenfalle befreien kann?
Ihre Interpretation der finanziellen Situation mit der Begrifflichkeit „Schuldenfalle“ teile ich überhaupt nicht. Wir haben langfristige Finanzierungsvereinbarungen, sei es mit der Stadionfinanzierung oder der HSV-Anleihe, bei denen wir planmäßige Tilgungen vereinbart haben. Wie in den vergangenen Jahren sollten wir auch zukünftig unsere finanziellen Verpflichtungen einhalten und die Verbindlichkeiten sukzessive abbauen.
Droht dem HSV im Falle weiterer finanzieller Rückschläge die Insolvenz?
Nicht absehbare und nicht versicherte Großereignisse stellen immer eine Gefahr dar, für die meisten anderen Unternehmen und Fußballclubs auch. Für die Spielzeit 2019/20 und auch darüber hinaus gibt es solche Hinweise nicht.
Der HSV hat kürzlich eine neue Vereinbarung mit Klaus-Michael Kühne getroffen. Hat sich der Club damit aus der finanziellen Abhängigkeit von seinem Investor befreit?
Neben der Verlängerung des Namensrechts am Volksparkstadion wurden Rückzahlungsmodalitäten bestehender Darlehen im beiderseitigen Interesse neu vereinbart. Hieraus und aus den vorherigen Vereinbarungen lassen sich weder finanzielle Abhängigkeiten noch deren Beseitigung ableiten.
Warum konnten Sie Herr Kühne nur für ein weiteres Jahr dazu bewegen, die Namensrechte am Volksparkstadion zu sichern?
Wir freuen uns, dass wir ein weiteres Jahr im Volksparkstadion spielen. Danach sehen wir weiter.
Sie beziffern den Wert des Volksparkstadions aktuell auf 100 Millionen Euro. Welche Maßnahmen sind in den kommenden Jahren nötig, um den Wert des Stadions zu erhalten?
Der von Ihnen genannte Wert des Stadions basiert auf einer gutachterlichen Einschätzung. Wichtig ist, dass wir in einer Weise Fußball spielen, dass unsere Fans und Zuschauer ins Stadion kommen. Der Wert des Stadions ergibt sich aus der Möglichkeit der Nutzung. Parallel müssen wir die Substanz erhalten und gleichzeitig die Aufenthaltsqualität erhöhen. Da hilft uns auch, dass wir für die EM 2024 als Spielort berücksichtigt wurden. Bis dahin wird es einige sichtbare Verbesserungen geben.
Muss der HSV perspektivisch einen Stadionneubau planen?
Bis zur EM 2024 tun wir gut daran, den Standort im Volkspark bestmöglich zu erhalten. Ob sich danach eine andere Fragestellung ergibt, vermag ich heute nicht vollends einzuschätzen. Aber wir würden nicht in den Standort Volkspark investieren, z.B. mit dem Bau der Akademie oder gemeinsam mit dem UKE und Philips mit der Realisierung des Athleticums, wenn wir anderslautende Pläne verfolgen würden.
Herr Wettstein, können Sie uns zum Abschluss in wenigen Sätzen ihre wirtschaftliche Vision der HSV Fußball AG schildern?
Wenn wir den eingeschlagenen Weg in der Transferpolitik, der Kaderzusammenstellung und dem Abbau der Verbindlichkeiten fortführen und mittelfristig wieder als fester Bestandteil der Bundesliga wahrgenommen werden können, dann darf der HSV sich wieder mit Visionen beschäftigen.