Hamburg. 5,4 Millionen Euro, Selbstvertrauen, taktische Variabilität und die Gewissheit, es mit einem Top-Club aufnehmen zu können.

Hannes Wolf war in Plauderlaune. Nach dem Vormittagstraining schnappte sich der HSV-Trainer am Tag nach dem Pokalaus gegen Leipzig erst Kapitän Aaron Hunt. Dann arbeiteten Wolf und Sportvorstand Ralf Becker noch einmal die Geschehnisse des Vorabends auf. Und schließlich schlenderte der Coach auch noch über den Trainingsplatz zu den wartenden Medienvertretern. „Los geht’s“, sagte Wolf, als ihm zwei Dutzend Mikrofone und Handys entgegengestreckt wurden und er gleich zu Beginn gefragt wurde, ob er etwaige Erkenntnisse aus der Pokalniederlage für den Ligaendspurt gewonnen habe.

In anderen Worten: Was bleibt vom Hype? Es war natürlich auch die meistgestellte Frage vom Vorabend. Die naheliegenden Antworten: „Selbstvertrauen“ (Bakery Jatta), „großes Selbstvertrauen“ (Douglas Santos) oder auch „ein gesteigertes Selbstvertrauen“ (Wolf). Eine ganz andere (aber sehr ehrliche) Antwort: „Ich weiß nicht, ob man überhaupt großartig viel daraus mitnehmen kann“, sagte Kapitän Aaron Hunt. „Klar ist, dass wir über weite Phasen ein sehr gutes Spiel gemacht haben. Klar ist aber auch, dass wir die eine oder andere Chance zu viel zugelassen haben.“

Balsam auf die geschundene HSV-Seele

Wie so oft liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Denn nachdem das eigene Selbstbewusstsein durch die überraschend schlechten Heimspiele gegen Darmstadt (2:3), Magdeburg (1:2) und Aue (1:1) doch arg ramponiert war, tut der geschundenen HSV-Seele dieses überraschend gute Heimspiel gegen Leipzig natürlich gut. Gleichzeitig bleibt allerdings auch festzuhalten, dass den HSV beim so extrem wichtigen Spiel gegen Union Berlin am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) „ein anderes Spiel“ (Wolf), möglicherweise sogar „ein ganz anderes Spiel“ (Hunt) erwartet.

Bevor man nun aber mit ein wenig Küchenpsychologie versucht zu ergründen, warum der HSV gegen Gute gut und gegen weniger Gute weniger gut spielt, könnte man aus der Partie gegen Leipzig viel eher wichtige taktische Erkenntnisse ziehen. Zum Beispiel diese: Dem HSV-Spiel tut es besonders gut, wenn sich Trainer Wolf auch etwas Besonderes einfallen lässt. So überraschte Wolf bereits im Pokalviertelfinale mit einer Dreierkette in der Abwehr, an der sich die hochgelobte Paderborn-Offensive erfolglos die Zähne ausbiss.

Außergewöhnliche Formation

Auch die außergewöhnliche Formation gegen Leipzig mit Mittelfeldmann Janjicic in der Abwehr, Defensivmann Jung in der Offensive, Linksverteidiger Santos im Mittelfeldzentrum und Dauerläufer Bakery Jatta überall und nirgendwo ging trotz des 1:3 voll auf. Nun aber zu schlussfolgern, es mit der gleichen (oder zumindest ähnlichen) Formation auch gegen Union versuchen zu müssen, wäre wohl genauso falsch wie es falsch war, nach dem Paderborn-Sieg auch gegen Magdeburg an der Paderborn-Taktik festzuhalten. Das Ergebnis ist bekannt.

Eine RB-Idee könnte dann aber doch in den verbleibenden vier Zweitligaspielen konserviert werden: die Variante, Linksverteidiger Douglas Santos sehr konsequent im zentralen Mittelfeld spielen zu lassen. „Ich habe es geschafft, das sehr gut zu spielen“, gab der ansonsten eher bescheidende Brasilianer zu Protokoll und erklärte direkt im nächsten Satz, Gefallen an der neuen Position mit sehr viel größerem Einflussmöglichkeiten gefunden zu haben: „Ich kann mir vorstellen, da wieder zu spielen.“

Überraschend erfolgreiche Pokalsaison

Egal ob im zentralen Mittelfeld oder links in der Viererkette: lange wird Santos sicherlich nicht mehr für den HSV spielen. Dieser Verdacht dürfte sich auch durch sein Spiel auf Champions-League-Niveau gegen den wahrscheinlichen Champions-League-Teilnehmer Leipzig noch einmal erhärtet haben. Die gute Nachricht für den HSV: auch das imaginäre Preisschild, das bereits die ganze Saison um Santos’ Hals baumelt, dürfte spätestens durch den Auftritt am Dienstagabend auf Champions-League-Niveau sein. Mindestens 15 Millionen Euro würden die Verantwortlichen am Ende gerne kassieren (siehe Bericht unten).

Ganz so viel Pokalgeld konnte der HSV in dieser Saison nicht erspielen. Doch auch finanziell bleibt ein stolzer Betrag durch die überraschend erfolgreiche Pokalsaison übrig. Nach Abzug aller Prämien, Steuern und Beteiligungen der Gastvereine darf sich Finanzvorstand Frank Wettstein nach Abendblatt-Informationen über eine Nettoeinnahme von 5,4 Millionen Euro freuen. Das sind rund fünf Millionen Euro mehr, als sie vom Club vor der Saison eingeplant waren.

HSV ist bundesligatauglich

Neben dem vielen Geld, dem gesteigerten Selbstbewusstsein, neuer taktischer Varianten und der Zementierung, dass Douglas Santos ein besonderer Fußballer ist, bleibt aus dem Pokalspiel gegen Leipzig aber vor allem die Erkenntnis, dass dieser HSV durchaus das Zeug hat, in der kommenden Saison in der Bundesliga mitzuhalten. Bleibt die Sorge, ob dieser HSV auch das Zeug hat, sich vorher durchzubeißen und überhaupt in die Bundesliga aufzusteigen.

HSV gegen Leipzig: Liveticker und Statistik:

„Wir werden nicht aufgeben und in den kommenden Wochen weiterkämpfen, um unser Ziel zu erreichen“, sagte Bakery Jatta, der gegen RB (zum Unverständnis von Leipzigs Trainer Ralf Rangnick) zum besten Spieler des Spiels ausgezeichnet worden war. Rangnicks Kollege Wolf hatte dagegen nur lobende Worte für den wohl am besten entwickelten Spieler seiner Mannschaft übrig: „Bakery ist extrem wissbegierig, sehr professionell. Er hat eine hohe Bereitschaft an sich zu arbeiten plus seine Anlagen. Das lässt für die Zukunft hoffen“, sagte der Trainer. „Es gibt da keine Limits.“ Ob er sich nicht sorge, dass Jatta nach Santos der nächste Verkaufskandidat werden könnte und schon sehr bald ein Anruf eines größeren Clubs drohe? „So ist Fußball. Das ist doch okay.“

Zieht man einen dicken Strich unter all die Postpokalüberlegungen, bleibt ein Fazit übrig: Der Traum von Berlin ist tot, es lebe der Traum vom Aufstieg.