Hamburg. Fahrgäste bedroht, Polizisten angegriffen, Alkohol und Kokain: Erschütternde Berichte über Auswärtsfahrten des HSV.

Als das Kokain auf den Tisch im Großraumwagen der Deutschen Bahn kam, hatten die „normalen“ Fahrgäste des ICE 926 Richtung Hamburg endgültig die Nase voll. Stundenlang hatten sie sich über HSV-Fans geärgert, die vom Auswärtsspiel in Bochum heimreisten und ihre Mitfahrer heimsuchten mit ihren Gewalt-, Verbal- und Drogenexzessen. Die Anhänger des Hamburger SV hatten sich mit der Polizei und untereinander geprügelt, die Abfahrt des Zuges mehrfach verhindert, Fahrgäste und Zugbegleiter bedroht, erhebliche Mengen Alkohol getrunken, bei voller Fahrt offenbar eine Tür geöffnet.

So schildern es mehrere Augenzeugen dem Hamburger Abendblatt. Wer konnte, verließ spätestens in Bremen den heillos verspäteten Chaos-Zug. Aus nackter Angst.

HSV-Fans: Prügelei am Dortmunder Hauptbahnhof

In Dortmund hatten sich HSVer am Hauptbahnhof mit spielplangemäß dort auftauchenden Dortmunder und Wolfsburger Fans „getroffen“. Es gab eine unglaubliche Keilerei. Die Polizisten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein, um die Lage zu beherrschen. Wenige Festnahmen, einige „Gefährderansprachen“, mehrere Strafverfahren wegen Diebstahls, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, tätliche Angriffe auf Polizisten, Landfriedensbruch – nüchterne Fakten eines hitzigen öffentlichen Gefechts.

Es war nicht die einzige Horrorfahrt mit den Zügen der Deutschen Bahn und des Metronom, für die HSV-Fans in den vergangenen Wochen mitverantwortlich waren. Mitte Februar tobten sich Fans nach dem 2:2 in Heidenheim in einem ICE aus: erheblicher Sachschaden, Fenster und Türen zerstört, Lautsprecher herausgerissen, Polster zerstört, WCs und Bordrestaurant erheblich verdreckt. Die Bundespolizei rückte mit 70 Beamten an.

Bundespolizei hat Reserve für Fußballfans

Die Beamten berichten regelmäßig über Gewalt und enthemmtes Verhalten an Bahnhöfen und in Zügen. Es liest sich nach jedem Fußball-Wochenende wie der Bericht vom Schlachtfeld eines Bürgerkriegs.

Die Bundespolizei in Hannover hält eine Reserve bereit, um im Notfall, wenn ein Zug gestoppt wird, sofort eingreifen zu können. „Im Zweifelsfall fliegen wir unsere Beamten auch ein“, sagte ein Sprecher dem Abendblatt. Von Kokainkonsum habe er noch nichts gehört. Drogenvergehen und Straftaten würden aber konsequent verfolgt.

HSV-Fans seien eigentlich „normal“, gemessen an Bremern oder den berüchtigten Braunschweigern, wie gerade erst wieder beim Drittligaspiel in Osnabrück zu „bewundern“. 760 Anhänger kamen aus Braunschweig, jeder vierte von ihnen ein „Risikofan“. Ob Werderaner, HSVer, Paulianer oder Rostocker – Fangewalt im Zug kennt keine Liga.

Kameras abgeklebt, Zugbegleiterin misshandelt

Die Kameras in Regionalbahnen werden häufig taktisch abgeklebt, wie auf Polizeibildern zu sehen ist. Frankfurter Fans sollen zuletzt die Misshandlung einer Zugbegleiterin gefilmt und verbreitet haben. Videos und die (a)sozialen Medien spielen häufig eine Rolle in der Fanszene, ob in der gewalttätigen oder der friedlichen.

Im Bericht einer Augenzeugin zur Fahrt mit den HSV-Fans aus Richtung Dortmund ist zu lesen, dass sie auch sexuell belästigt worden sei. Auch der Schaffner sei nicht eingeschritten, weil er Angst gehabt habe. Die Fans hätten faschistische und frauenverachtende Lieder gegrölt. Von anhaltenden "Schmähungen gegen Homosexuelle und Araber" berichtete ein weiterer Zeuge.

Die Polizei kann nicht jede Fahrt in Anti-Terror-Montur und in Kasernenstärke begleiten. Am Montag wird es wieder einen Sonderzug für HSVer zum Auswärtsspiel beim 1. FC Köln geben. „Normalerweise sind die jeweiligen Verkehrsunternehmen verantwortlich“, sagte ein Polizeisprecher dem Abendblatt. Die Bahn ist ohnehin am Limit: Probleme mit der Modernisierung von Gleisen und Anlagen, zu wenige Lokführer, Zugausfälle, Baustellen, Verspätungen. Und jede Woche eine teilweise marodierende Horde von Fußballfans.

Vor allem die Bahndrehkreuze in Hamburg, Hannover, Berlin, Leipzig, Dortmund, Köln, Frankfurt, Mannheim, Stuttgart und München sind betroffen. Von Freitag bis Sonntag und auch am Montag kann es hier zu großen Ärgernissen für Nicht-Fans unter den Bahnfahrern kommen.

Deutsche Bahn: Ein Drittel weniger Gewalt

Die Deutsche Bahn spricht von einer guten Zusammenarbeit mit dem HSV. Es gebe regelmäßig Gespräche. Bahn-Sicherheitschef Hans-Hilmar Rischke sagte dem Abendblatt: „Friedliche Fans haben wir gerne in unseren Zügen. Bei Gewalt und Vandalismus hört der Spaß auf. Darunter leiden alle Fahrgäste.“ In der Hinrunde der laufenden Bundesligasaison seien 1,8 Millionen Fußballfans mit Zügen der DB unterwegs gewesen, genauso viele wie im letzten Vergleichszeitraum. Es habe aber ein Drittel weniger Fälle von Gewalt und Sachbeschädigung aus dieser Gruppe gegeben.

Straftaten wie Beleidigungen oder Taschendiebstähle seien um die Hälfte zurückgegangen. Die Strategie von Bahn und Bundespolizei gehe auf. Jede Straftat werde angezeigt. Die Bahn fordere außerdem Schadenersatz von überführten Tätern. Für die Bahn sei das Wichtigste, die Fangruppen zu trennen und unbeteiligte Fahrgäste zu schützen.

Die Abendblatt-Leserin, die von den Vorfällen mit den HSV-Fans berichtete, wird das alles nicht trösten. Die Bahn schrieb ihr, ein generelles Alkoholverbot wolle man nicht. Das traditionelle „Feierabendbier“ im Bordbistro wäre davon ja auch betroffen. Immerhin gab es für sie einen Bahn-Gutschein über 30 Euro, ein Jahr lang gültig. Und: „Es gibt weder ein Sicherheitsproblem in unseren Zügen und Bahnhöfen, noch könnte ein Verbot für weniger übermäßig alkoholisierte Fahrgäste sorgen."