Hamburg. Die eigenen Chancen werden nicht genutzt – die eigenen Fehler schon. So wird es schwer mit dem Wiederaufstieg.

Für einen Moment hätte man meinen können, der HSV hat am Freitagabend das Eröffnungsspiel der Fußball-Bundesliga gegen Bayern München bestritten. Ein mit 57.000 Zuschauern ausverkauftes Volksparkstadion, 10.000 Gästefans, DFB-Präsident Reinhard Grindel auf der Tribüne, eine DFL-Stadionshow unter anderem mit HSV-Idol Uwe Seeler, dazu eine euphorisierte Stimmung wie lange nicht mehr.

Doch der HSV spielte am Freitagabend nicht gegen den deutschen Meister von 2018, die Bayern, sondern gegen den deutschen Meister von 1912, Holstein Kiel. Und das in der Zweiten Liga. „Dies ist die Geschichte eines Vereins der fällt … Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern die Landung. Auf geht’s, HSV!“, stand auf einer riesigen Choreografie auf der Nordtribüne.

Die Geschichte des HSV in der Zweiten Liga begann an diesem Abend allerdings mit einem krassen Fehlstart. Mit 0:3 (0:0) verloren die Hamburger ihren Auftakt in die neue Saison. Die Euphorie wich schlagartig der Ernüchterung. Jonas Meffert (57.), David Kinsombi (78.) und Mathias Honsak (90.+3) erzielten die Tore des Abends.

Holtby: "Uns hat der Mut verlassen"

"Nach einer guten Anfangsphase haben wir nach der Pause zu viele Fehler gemacht und drei Gegentore trotz Überzahl kassiert", sagte HSV-Trainer Christian Titz. Sein Musterschüler Lewis Holtby sah es ähnlich: "Wir haben zu viele falsche Entscheidungen getroffen und irgendwann aufgehört, mutig zu spielen."

Dabei hatte der Hamburger Abend nicht nur auf den Rängen stimmungsvoll begonnen. Der HSV sorgte gleich in der Anfangsphase für mehrere Aufschreie. Tatsuya Ito (3.), Jairo Samperio (5.), Lewis Holtby (12.) und Khaled Narey (19.) erzwangen – auch bedingt durch Kieler Unsicherheiten – in den ersten 20 Minuten eine Großzahl von Chancen.

Wie von HSV-Trainer Titz angekündigt, stellte sich Kiel aber keineswegs nur hinten rein. Gegen die defensiv deutlich spürbar nervösen Hamburger kam auch die Mannschaft von Trainer Tim Walter zu mehreren Möglichkeiten. Die Neuzugänge Jae-song Lee und Honsak tauchten mehrfach recht frei im HSV-Strafraum auf.

Lesen Sie hier die Einzelkritik zum Spiel

Offensiv dagegen kam die Titz-Truppe immer wieder mit viel Tempo vor das Kieler Tor. Ohne den verletzten Kapitän Aaron Hunt, der mit Wadenproblemen ausfiel, suchte vor allem Neuzugang Narey immer wieder die Wege in die Spitze. Es entwickelte sich ein schnelles Spiel auf beiden Seiten. Selbst Dauer-HSV-Kritiker Uli Stein sprach in der Halbzeit von einem „außergewöhnlich guten Zweitligaspiel“.

Was beim HSV fehlte, waren die Tore. Titz verzichtete wie erwartet auf einen echten Stürmer. Pierre-Michel Lasogga und Manuel Wintzheimer saßen auf der Bank, Fiete Arp verlor mit der U21 des HSV 0:4 im Regionalligaderby bei Werder Bremen II.

Wechselpech für Titz

Und auch nach der Halbzeit ließ Titz seine echten Neuner zunächst noch draußen. Und plötzlich waren es vor allem die Kieler, die nach vielen kleineren Fehlern des HSV hochkarätige Chancen besaßen. Direkt nach der Pause parierte Julian Pollersbeck gleich doppelt gegen Lee (46.). Titz musste etwas verändern. Doch gerade als sich der Trainer dazu entschieden hatte, Lasogga und Youngster Jonas David für den wackeligen Bates einzuwechseln, fiel das überraschende 0:1. Der frühere Karlsruher Jonas Meffert wackelte Bates aus, der eigentlich gar nicht mehr auf dem Platz stehen sollte, und schlenzte den Ball aus 15 Metern in den rechten Winkel (56.).

Titz ärgerte sich, dass die Schiedsrichter um Marco Fritz bei einer kurzen Unterbrechung den angedachten Wechsel nicht durchführen ließen. Erst nach dem 0:1 ging Bates für David vom Platz, für den harmlosen Jairo kam Lasogga (57.).

Gelingt in Sandhausen die Wende?

Und schon wurde es auch auf den Rängen deutlich unruhiger und der HSV immer nervöser. Als Vasilije Janjicic (67.) und Narey (74.) weitere Chancen vergaben und sich der HSV im Spielaufbau immer mehr Fehler leistete, ertönten im Volkspark die ersten Pfiffe. Mitten in diese Phase erlitt der HSV dann den nächsten Nackenschlag. Matti Steinmann konnte ein Zuspiel von Pollersbeck nicht verarbeiten und Kiel kombinierte sich mit drei Pässen durch den HSV-Strafraum. Der eingewechselte David Kinsombi vollendete (78.). „Auswärtssieg“ und „Spitzenreiter“ skandierten die Kieler Fans jetzt lautstark.

Die ersten Hamburger Fans waren da bereits auf dem Heimweg. Sie verpassten das Tor von Mathias Honsak zum 0:3 (90.+3). Kiel ist Spitzenreiter, der HSV für mindestens eine Nacht Tabellenletzter. 20.287 Tage nach dem letzten Ligaspiel gegen Holstein Kiel im Januar 1963, damals noch in der alten Oberliga Nord, verpatzte der HSV eine erfolgreiche Wiederauflage gegen Kiel – und erwischte einen bitteren Fehlstart in der noch kurzen Geschichte des HSV in Liga zwei.

Die nun in Sandhausen ihre Fortsetzung findet. Holtby: "Wir sind jetzt in der Zweiten Liga angekommen, und die ist kein Selbstläufer. Jetzt gilt es, im Training gut zu arbeiten und es gegen Sandhausen besser zu machen. In Zukunft müssen wir stärker und dominanter sein." Wohl wahr!