Beim HSV sind nur noch die Fans erstklassig – der Club hat seit Jahren um die Zweite Liga gebettelt.

Was bleibt vom bittersten Tag der Vereinsgeschichte des HSV? Bewegende Bilder von weinenden Spielern wie Gotoku Sakai, Douglas Santos, Matti Steinmann und auch Lewis Holtby, denen der Absturz ihres Clubs nahegeht, die sich mit dem HSV identifizieren. Die sogar eine letzte Stadionrunde laufen, be­gleitet vom tröstenden Applaus der Zuschauer, die die letzten Minuten Bundesliga mit tapferen Gesängen begleitet haben. Die auf beeindruckende Art und Weise gegen die Handvoll spätpubertierender Vollidioten aufgestanden sind, die mit ihren Böllern und Rauchtöpfen jedoch nicht den Gesamteindruck zerstören konnten, dass dieser Verein mit seiner treuen Basis über eine unglaub­liche Energie und Kraft verfügt.

Wenn die Not am größten ist, gilt es zusammenzuhalten. Was für ein starkes Signal, das von der überwältigenden Mehrheit des Anhangs ausging und das Mut macht für den schweren Neustart in der Zweiten Liga: Der HSV macht nur ein Jahr Pause.

Fakt ist aber auch, dass in den vergangenen Jahren nur noch die Basis das Prädikat erstklassig verdiente. Die Fans hatten in dieser Saison, aber auch davor, reichlich Zeit, sich auf den Tag X vorzubereiten. Wohl kaum ein Club in der 55-jährigen Bundesligageschichte hat so viel für den Abstieg getan wie der HSV.

Der Autor ist Sportchef beim Abendblatt
Der Autor ist Sportchef beim Abendblatt © HA | Andreas Laible

Kontinuität bewies der Club nur mit seinen – teilweise öffentlich ausgetragenen – Machtkämpfen und den Wechseln auf Führungspositionen. Drei Trainer (Markus Gisdol, Bernd Hollerbach, Christian Titz), dazu ein entlassener Vorstandschef (Heribert Bruchhagen), ein gefeuerter Manager (Jens Todt), die Ränkespiele im Aufsichtsrat, ein nicht zu kontrollierender Investor, ein abgewählter E.V.-Präsident: Kein Wunder, dass der HSV mit Vollgas Richtung Untergang raste.

Und die Führungskrise ist längst noch nicht beendet, auch wenn die Besetzung zentraler Posten in naher Zukunft geklärt sein dürfte. Der Aufsichtsratsvorsitzende Bernd Hoffmann muss sich zeitnah erklären, ob er in den Vorstand wechseln will – wofür einiges spricht. Schließlich ist er nicht zum HSV zurückgekehrt, um anderen beim Entscheiden zuzuschauen. Wechselt er tatsächlich die Seiten, braucht der Aufsichtsrat einen neuen starken Vorsitzenden, der zwar mit dem Vorstand vertrauensvoll zusammenarbeitet, seine Kontrollfunktion aber zur oberen Maxime ernennt.

Bleibt Hoffmann jedoch dauerhaft im Aufsichtsrat, geht der Fokus Richtung Vorstand, wo derzeit nur noch Frank Wettstein übrig ist. Die berechtigte Frage ist, ob neben dem Finanzexperten und einem noch zu bestimmenden Sportvorstand weitere Mitglieder im Vorstand benötigt werden – wie im Bereich Marketing.

Hoffmann weiß selbst, dass er starke Fachleute neben sich braucht. Bernhard Peters hat vom Grundsatz her recht, wenn er fordert, dass sich der HSV von den Interessen einzelner Personen lösen muss und als Club eine klare Philosophie vorgeben muss. Dabei ist es eigentlich egal, in welcher Konstruktion dies geschieht – ob der neu zu bestimmende Manager für das Fußballtagesgeschäft im Vorstand sitzt oder nicht. Hauptsache, die handelnden Personen begreifen sich als Teamspieler, die mit allergrößter Sorgfalt die Mittel des Vereins einsetzen. Erst wenn dies gelingt, ist die Führungskrise beendet.

Ja, ein Abstieg kann etwas Gutes haben, aber nur dann, wenn man nicht krampfhaft versucht, bestehende, kranke Strukturen mit geringeren Mitteln aufrechtzuerhalten. Sondern wenn man den Misserfolg als Auftrag versteht, alles auf den Prüfstein zu stellen. Das gilt für die Führungsebene, für den aufgeblähten Verwaltungsapparat, aber genauso für die Besetzung der Mannschaft und deren Gehälter. Profis wie Walace, Kyriakos Papadopoulos, Albin Ekdal und auch Filip Kostic stehen für falsche Einkaufspolitik und eine Ära des Geldverprassens, die hoffentlich wirklich vorbei ist, wie es Hoffmann am Sonntag ankündigte.

Was die ablösefreien Spieler betrifft: Obwohl auch Lewis Holtby und Aaron Hunt für den zarten Aufschwung am Saisonende stehen, waren sie mit je vier Millionen Euro Gehalt total überbezahlt. Kaum vorstellbar, dass sie sich bereiterklären, zu stark reduzierten Bezügen weiter im HSV-Trikot weiterzulaufen. Aber genau das muss der Weg sein mit leistungsbezogenen Verträgen.

Die Bundesliga ohne den HSV – noch fühlt es sich unwirklich an. Richtig greifbar wird diese Realität wohl erst, wenn die Spielpläne der Zweiten Liga veröffentlicht werden, oder wenn der HSV sein erstes Spiel im Volkspark am Sonnabend um 13 Uhr austragen wird. Ein grausamer Gedanke. Jedem muss klar sein, dass mit dem Abstieg nicht automatisch der Tiefpunkt erreicht ist – ein sofortiger Wiederaufstieg ist alles andere als ein Automatismus. Und zur Realität gehört auch, dass Traditionsclubs wie der HSV, Bremen, Frankfurt, oder Stuttgart auch in den kommenden Jahren stets zum erweiterten Kreis der Abstiegskandidaten zählen werden.