Frankfurt. Auch Holtbys Treffer wurde aberkannt. Dem HSV hilft jetzt nur noch der Fußballgott. Frankfurter Hooligans greifen Sonderzug an.
Der Dino schnappt nach Luft, er lebt noch, aber es könnten die letzten Zuckungen sein. Nach einer 0:3-Niederlage (0:1) bei Eintracht Frankfurt kann der HSV den erstmaligen Abstieg aus der Bundesliga nicht mehr aus eigener Kraft verhindern. Nur weil der VfL Wolfsburg in Leipzig 1:4 unterlag, besteht überhaupt noch so etwas wie Hoffnung auf Rettung.
Doch selbst wenn es beim Saisonfinale am kommenden Sonnabend für den HSV gegen Borussia Mönchengladbach zum Heimsieg reichen sollte: Ohne einen Sieg des bereits abgestiegenen 1. FC Köln in Wolfsburg ist der VfL nach menschlichem Ermessen nicht mehr vom Relegationsplatz zu verdrängen.
„Uns hat ein Stück die Durchschlagskraft gefehlt, Frankfurt hatte in der zweiten Halbzeit ein klares Chancenplus", räumte HSV-Trainer Christian Titz am Sky-Mikrofon ein. Die Niederlage sei schmerzhaft, weil sie höher ausgefallen sei als nötig. Aber seine Mannschaft sei weit davon entfernt,sich mit dem Abstieg abzufinden: "Wir glauben weiter an unsere Chance und werden uns nicht aufgeben."
Müller erstmals wieder im Kader
Anders als in den vorangegangenen Spielen setzte Titz zunächst auf Sicherheit und stellte Albin Ekdal als zweiten defensiven Mittelfeldspieler neben Matti Steinmann auf – so hatte er es schon beim 3:1-Sieg in Wolfsburg am vergangenen Sonnabend in der zweiten Halbzeit gemacht. Außenangreifer Flip Kostic saß zunächst auf der Bank.
Neben ihm nahm Nicolai Müller Platz. 259 Tage nach seinem Kreuzbandriss stand der HSV-Topscorer der vergangenen Saison erstmals wieder im Kader. Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier musste für ihn seinen Platz frei machen.
Einzelkritik: Hunt trotz Geniestreich beleidigt
Weil sich auch die Eintracht nach fünf sieglosen Spielen und drei Niederlagen am Stück um Stabilität mühte, ging es auf dem Platz weit weniger aufregend zu als auf den Tribünen, auf denen die HSV-Fans das übliche Feuerwerk entfachten – mehr dazu später.
Ito-Tor zählt nicht
Für den nächsten Euphorie-Schub sorgte Tatsuya Ito. Nach feinem Zuspiel von Aaron Hunt überwand der HSV-Wirbelwind Eintracht-Torwart Lukas Hradecky (25. Minute). Mit der ersten Chance überhaupt war der HSV in der Livetabelle auf den Relegationsrang gesprungen. Allerdings nur für wenige Sekunden. Nach Rücksprache mit Videoassistent Günter Perl in Köln nahm Schiedsrichter Deniz Aytekin Itos ersten Bundesligatreffer zurück – der Japaner hatte tatsächlich knapp im Abseits gestanden.
"Der Videoschiedsrichter war sich sicher, und es handelte sich um eine faktische Entscheidung, deshalb musste ich die Situation auch nicht noch einmal selbst anschauen", erklärte Aytekin später. Doch anstatt nachzusetzen, schien der HSV mit dem Schicksal zu hadern. Und die Eintracht antwortete eiskalt. Sébastien Haller legte Marius Wolf im Strafraum auf, und der Frankfurter spitzelte HSV-Torwart Julian Pollersbeck den Ball durch die Beine – 1:0 (31.). Titz: "Das haben wir in Überzahl schlecht verteidigt."
Erst jetzt besann sich der HSV wieder seiner neu gewonnenen Offensivstärke. Doch gefährlich wurde es bis zur Pause nur noch vor dem eigenen Tor. Kyriakos Papadopoulos unterlief fast ein Eigentor, als er sich in eine Wolf-Hereingabe warf (34.). Kurz darauf rettete Pollersbeck gegen Omar Mascarell (36.).
Wood vergibt Großchance
Titz erhöhte in der Pause das Risiko und brachte Rechtsaußen Kostic anstelle von Ekdal. Die Einwechslung des früheren Frankfurters Luca Waldschmidt war dagegen einer Gehirnerschütterung des Japaners geschuldet.
Der HSV wirkte nun etwas aktiver, doch von Chancen lässt sich nichts berichten. Spannender war da schon der Blick auf die Liveergebnisse. Wolfsburg lag in Leipzig zurück, der Abstieg des HSV würde, sollte es dazu kommen, nicht an diesem Sonnabend besiegelt. Die Mannschaft bekam davon nichts mit – Titz wollte über das Geschehen auf den anderen Plätzen nicht unterrichtet werden.
Er konzenttrierte sich ganz auf das Hier und Jetzt – und hätte in der 66. Minute beinahe den Ausgleichstreffer feiern dürfen. Waldschmidt bediente Wood, der sich im Strafraum frei gelaufen hatte, doch der US-Amerikaner scheiterte an Hradecky.
Auch Holtbys Treffer aberkannt
Wenig später jubelte der HSV dann tatsächlich, aber wieder erstarben die Freudenschreie. Douglas Santos hatte den Ball aus 30 Meter Entfernung mit einem Gewaltschuss an den Pfosten geknallt, Lewis Holtby reagierte am schnellsten und beförderte den Ball per Kopf ins Tor. Holtbys fünftes Tor im siebten Spiel unter Titz? Nein, denn der Lieblingsschüler des neuen Trainers stand bei Santos‘ Schuss im Abseits, diesmal war es deutlich.
Der Eintracht ließ sich nun kaum noch anmerken, dass es auch für sie um etwas ging: die Qualifikation für die Europa League. Doch die scheinbare Nachlässigkeit trog. Jetro Willems scheiterte noch völlig freistehend an Pollersbeck, doch Omar Mascarell nutzte den Abpraller, um mit einem Kunstschuss aus 15 Metern den Ball im Tor zu versenken. Steinmann hatte den Ball noch abgefälscht und so unhaltbar gemacht (77.).
Müller feiert Comeback
Während die Frankfurter Fans nun bereits den Abgesang auf den HSV anstimmten („Endlich Zweite Liga!“), zog Titz seinen letzten Joker und verhalf Müller zum Comeback – der Außenangreifer kam für Kapitän Gotoku Sakai (79.).
Doch statt des Anschlusstors fiel fast die Entscheidung, Pollersbeck verhinderte sie mit einer Fußabwehr (80.). Den nächsten HSV-Versuch unternahm Waldschmidt, doch sein Distanzschuss ging deutlich übers Tor.
Rückkehrer Meier trifft
Grund zum Jubeln hatten wieder die Eintracht-Fans: Publikumsliebling Alexander Meier erhielt gegen seinen Ex-Club die Gelegenheit, sich in seinem Stadion zu verabschieden – für den einstigen Bundesliga-Torschützenkönig war es nach langer Verletzungspause der Saisoneinstand (86.).
Es wurde ein märchenhaftes Comeback. Nach Flanke von David Abraham besorgte Meier mit Links das 3:0 (90.+1) – das war’s. Jetzt hilft dem HSV nur noch der Fußballgott.
Spielmacher Aaron Hunt wollte von Aufgeben nichts wissen: „Wir haben noch eine Chance, es ist immer noch ein Finale. Wolfsburg hat uns am Leben gelassen, jetzt müssen wir alles reinhauen und auf Köln hoffen.“
Hooligans greifen Sonderzug an
Vor der schicksalhaften Begegnung des HSV ist es am Mittag in Frankfurt zu einem Zwischenfall gekommen. Ein Sonderzug mit etwa 700 Hamburger Fans an Bord ist im Bereich des Parkplatzes Gleisdreieck in unmittelbarer Nähe der Commerzbank-Arena von Eintracht-Hooligans attackiert worden.
Nach Angaben einer Polizeisprecherin haben sogenannte Problemfans den Zug mit Pyrotechnik beschossen. Der Zugverkehr wurde daraufhin gestoppt. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot vor Ort war, habe aber die Situation schnell unter Kontrolle bekommen.
Je ein Fan festgenommen
Ein Eintracht-Anhänger wurde festgenommen. Er trug eine Sturmhaube und Zahnschutz. Beide Utensilien wurden von der Polizei sichergestellt. Der Zug habe seine Fahrt nach kurzer Zeit wiederaufgenommen. Verletzt wurde niemand.
Der HSV Supporters Club hatte erstmals nach vier Jahren wieder einen Sonderzug für ein Auswärtsspiel gechartert. Er war um 6.28 Uhr von Hamburg-Harburg abgefahren und sollte nach Zwischenstopps in Hannover und Göttingen um 12.05 Uhr am Frankfurter Stadion eintreffen. Die Rückfahrt ist um 19.21 Uhr, die Ankunft in Hamburg-Altona war für 2.04 Uhr am Sonntagmorgen geplant.
Auch andere Züge nach Süden waren am Sonnabendmorgen mit HSV-Fans gefüllt – und die wiederum mit allerlei alkoholischen Erzeugnissen, wie die Hamburger Linken-Politikerin Kersten Artus auf ihrem Weg zu einer Tagung des Beratungsverbands Pro Familia in Offenbach entnervt feststellte.
Am Stadion selbst wurde dann auch ein HSV-Fan festgenommen. Er hatte nach Angaben der Polizei versucht, große Mengen Pyrotechnik, Sturmhauben und Mundschutz ins Stadion zu schmuggeln. Ein Ordner wurde im Gesicht verletzt.
Nach dem Spiel gab es nach Angaben eines Polizeisprechers am Abend keine weiteren Zwischenfälle. Die Abreise der Hamburger Fans sei ruhig verlaufen. Bleibt zu hoffen, dass es auch am kommenden Sonnabend rund um das Volksparkstadion so ist, sollte nach 55 Jahren tatsächlich die Bundesliga-Uhr des HSV ablaufen.