Hamburg. Nach vielen Ausfällen müssen es nun Spieler richten, die den Club längst verlassen sollten. Beim HSV hat das schon fast Tradition.

Am Montagmorgen war eigentlich alles wie immer im Volkspark. 10 Uhr Training, ein bisschen laufen, ein bisschen passen und zum Schluss noch eine Taktikübung. Nach ziemlich genau 75 Minuten war Schluss. Noch ein paar Autogramme schreiben, duschen, fertig. Fußballeralltag.

Was so banal klingt, ist genau das, wonach sich Douglas Santos in den vergangenen Wochen so gesehnt hat: Fußballeralltag. „Ich will mir keinen Kopf machen. Ich möchte einfach nur Fußball spielen“, hatte der Brasilianer vor Kurzem gesagt, als noch vieles unklar und nur eines klar schien: Einfach Fußball spielen in Hamburg sollte Santos eben nicht mehr.

Doch erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt. Der Wechsel des Linksverteidigers, den Trainer Markus Gisdol in den ersten beiden Saisonspielen nicht einmal für den Kader nominiert hatte, nach Eindhoven platzte. Nun hat sich Konkurrent Rick van Drongelen verletzt. Der Niederländer fällt mit einem Knochenödem im Becken in Hannover aus – und plötzlich ist der Brasilianer wieder wichtig. „Wir haben direkt nach dem Ende der Transferperiode noch einmal miteinander gesprochen. Da ist längst ein Strich drunter gezogen“, versichert Gisdol, der keine Langzeitfolgen erwartet: „Douglas hat das alles abgehakt und ist mit voller Energie beim Training dabei.“

Holtby ist plötzlich gesetzt

Doch ist das wirklich so einfach? „Wir sind doch alle alt genug, um das Geschäft zu verstehen“, sagt Gojko Kacar. Der Serbe, der vor einem Jahr vom HSV zum FC Augsburg wechselte, war so etwas wie der Prototyp des Rein-raus-rein-Spielers beim HSV. Aussortiert, auserwählt und das Ganze wieder retour. „Als Fußballer darf man so ein Hin und Her nicht an sich ranlassen. Man muss immer an seine Chance glauben“, sagt Kacar. „Es ist schwer, aber man muss sich einfach klarmachen, dass das alles nichts Persönliches ist.“

Das muss sich nun neben Santos auch Lewis Holtby klarmachen. Der umtriebige Mittelfeldallrounder galt die gesamte Sommertransferperiode über als Verkaufskandidat Nummer eins – und ist nach den Verletzungen von Nicolai Müller, Filip Kostic und Aaron Hunt plötzlich wieder im offensiven Mittelfeld gesetzt. „Lewis hat es taktisch gegen Leipzig gut gemacht“, hatte sogar Trainer Gisdol, der ungern einzelne Spieler hervorhebt, gelobt.

„Wenn ich aussortiert bin und plötzlich wieder spiele, brauche ich weder Motivation noch Extralob“, sagt Kacar, der den HSV im Saisonfinale 2014/15 mit seinen Toren vor dem Abstieg bewahrte – obwohl er zuvor mehrfach zum Verkauf stand. „Als zurückgeholter Spieler will ich es allen umso mehr zeigen. Man muss nur aufpassen, dass man nicht überdreht.“

Rajkovic als krasses Beispiel

Es gibt wohl kaum einen Club in der Liga, bei dem Spieler so oft aussortiert und wieder auserwählt wurden: Santos, Holtby und Hunt zum Beispiel, genauso Pierre-Michel Lasogga oder Sven Schipp­lock. Einst auch Kacar, Artjoms Rudnevs, Ivo Ilicevic, Robert Tesche oder Slobodan Rajkovic. „Als Verantwortlicher muss man manchmal eine schwere Entscheidung treffen“, sagt der frühere HSV-Trainer Thorsten Fink. „Am Ende liegt es dann an dem Profi, mich eines Besseren zu belehren.“

Fink erinnert sich an ein besonders krasses Beispiel: Den Serben Rajkovic hatte er einst nach einer Trainingsprügelei und einem heimlich geführten Abendblatt-Interview suspendiert, zur U23 abgeschoben und in der laufenden Saison nach vier Monaten dann doch wieder begnadigt. „Ich sagte ihm: ,Wir brauchen dich. Zeig mir, dass ich damals einen Fehler gemacht habe.‘ Viel mehr gab es da gar nicht zu sagen“, erinnert sich Fink.

Nun also Santos. Und Holtby. Beide einst für viel Geld als Topverstärkungen geholt, beide im Sommer zum Verkauf freigegeben und beide in Hannover am Freitagabend vermutlich wieder mittendrin statt nur dabei.

„So ist Fußball“, sagt Kacar. „Und so ist Hamburg.“