Hamburg. Gönner Alexander Otto erklärt, was er vom HSV-Campus erwartet. Sportdirektor Bernhard Peters sagt, wie er die Club-Zukunft plant.

2015 erfolgte der Startschuss für den Campus. Ab Sommer wird er mit Leben gefüllt. Ermöglicht wurde der Bau durch die Zehn-Millionen-Euro-Spende von Alexander Otto.

Herr Otto, was löst es in Ihnen aus, das fast fertige Campusgebäude zu sehen?

Alexander Otto : Es ist schon ein tolles Gefühl und ein besonderer Moment, dass wir uns auf der Zielgeraden befinden. Ich glaube fest daran, dass die Akademie ein extrem wichtiger Schritt in eine bessere Zukunft ist.

Warum haben Sie sich damals entschieden, diese große Summe zu spenden?

Otto: Mich hat das Projekt schon zu meiner Zeit im Aufsichtsrat des HSV fasziniert. Wir werden zumindest in den kommenden Jahren finanziell nicht mit den ganz großen europäischen Clubs mithalten können und sind deshalb sehr stark auf eine funktionierende Jugendarbeit angewiesen. Bei der Umsetzung ist nicht nur die inhaltliche Komponente extrem wichtig, sondern auch der in­frastrukturelle Rahmen.

Das Gebäude heißt jetzt Alexander-Otto-Akademie ...

Otto: ... was mir der Verein angetragen hat und ich als große Ehre empfinde. Ich stehe zum HSV – in guten wie in schwierigen Zeiten. Aber die Namensgebung war selbstverständlich nicht die Motivation, solch ein Projekt zu unterstützen.

Herr Peters, Ihr erstes Treffen mit Herrn Otto verlief wohl nicht sehr harmonisch.

Bernhard Peters (schmunzelt): Sie meinen, weil wir die Ausrichtung des Campus verändert haben?

Korrekt.

Peters: Als Dietmar Beiersdorfer und ich im Sommer 2014 beim HSV angefangen haben, waren wir uns schnell einig, dass wir eine leistungsorientierte Nachwuchsarbeit direkt am Volksparkstadion aufbauen möchten. Mit dieser Idee sind wir zu Herrn Otto und Herrn Aust von der Alexander-Otto-Sportstiftung gegangen. Zu Ihrer Frage: Ja, Herr Otto war am Anfang etwas irritiert, verwundert und überrascht, hat sich aber sehr schnell von dieser neuen Vision überzeugen lassen..

Otto: Wir hatten ja das ursprüngliche Gebäude längst durchgeplant, als Mischung aus Nachwuchsleistungszen­trum und öffentlichen Räumen für HSV-Mitglieder. Da muss man schon einmal tief Luft holen und schlucken. Aber das sportliche Konzept von Bernhard Peters hat mich absolut überzeugt.

In der Akademie sollen ja Spieler ausgebildet werden, die im Idealfall eine große Wertsteigerung für das Wirtschaftsunternehmen HSV AG bedeuten können. Widerspricht das nicht der generellen Ausrichtung in Ihrer Sportstiftung, wo vor allem Breitensport gefördert wird?

Otto: Mich reizen generell Projekte mit einer Schnittstelle zwischen Amateuren und Profis. Wie auch in der Volksbank-Arena, die als Heimat für die Freezers und die HSV-Handballer diente. Beim Campus ist die Konzeption so gestaltet, dass eine gemeinnützige GmbH als Eigentümerin des Akademiegebäudes gegründet wurde, die mit meiner Spende den Bau finanziert hat. Die HSV AG zahlt eine Miete an diese gGmbH, und die Erträge kommen dem Amateursport im gemeinnützigen HSV e.V. zugute. Dieser Doppelnutzen war für mich sehr wichtig, um auch den Amateurbereich zu stabilisieren.

Herr Peters, wie lässt man denn in Zukunft Herrn Otto teilhaben, wenn der Betrieb läuft? Lässt man ihn kontrollieren?

Otto: Kontrollieren? Bloß nicht.

Peters: Das hat einen informellen und einen konstitutionellen Rahmen. Wir sprechen in Beiratssitzungen über die Projekte, die im HSV e.V. durch die gGmbH finanziert werden können. Da ist die Verbindung klar. In anderen Bereichen ist mir das informelle Zusammenspiel sehr wichtig. Es geht immer um die Philosophie, die Herr Otto angerissen hat: eine leistungsambitionierte Ausbildungsarbeit im Nachwuchsleistungszentrum abzuliefern, aber als Vorbildwirkung immer auch auf den Amateursport auszustrahlen. Herr Otto bleibt für uns da ein wichtiger Ratgeber.

Wo liegt der HSV denn jetzt im Vergleich mit anderen Leistungszentren?

Peters: Im oberen Drittel. Mit Leipzig wollen wir es nicht vergleichen, weil da das Zentrum gleichzeitig die Bundesligamannschaft beheimatet. Auch ist das Internat viel größer – was ich ablehne. In Hoffenheim sind die Bedingungen ebenfalls herausragend, da sprechen wir aber eigentlich über drei Zentren. Bayern als Marktführer weiht gerade sein neues Leistungszentrum ein. Auch dort ist das Internat viel größer. Aber was die Qualität der Ausstattung angeht, brauchen wir uns vor keinem zu verstecken.

Wer kommt denn in die 16 Internatsplätze?

Peters: Nur Spieler, für die wir eine Bundesligaperspektive sehen. Wir bieten den Talenten den Rahmen, aber durch die Tür in die Bundesliga müssen sie selber gehen.

Nun kann es am Abend im Volkspark einsam sein. Wie will man verhindern, dass Jungs auf dumme Gedanken kommen?

Peters: Darüber machen wir uns seit Langem intensive Gedanken. Wir haben eine große soziale Verantwortung, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass die soziale Anbindung an einen Stadtteil dort sehr viel schwieriger ist. Aber auch in Norderstedt gehen die Jungs in normalen Wettkampfzeiten praktisch nie weg, höchstens einmal in der Woche in ein Café. Das müssen wir im Volkspark über Fahrdienste kompensieren, das haben wir alles in der Planung.

Da kümmern sich also rund um die Uhr Herbergsväter und -mütter?

Peters: So kann man es sich nicht vorstellen. Aber von 6.30 Uhr bis abends um 22 Uhr gibt es eine pädagogische Betreuung, dazu natürlich einen Sicherheitsdienst im Gebäude und nachts auf dem gesamten Stadiongelände.

Wie viele Spieler können denn betreut werden, die Tagesschüler eingeschlossen?

Peters: Fünf Mannschaften à 22 Spieler. Wenn man das Personal dazuzählt, kann der Campus in der Spitze bis zu 140 Leute aufnehmen, selten allerdings gleichzeitig.

Herr Otto, partizipieren Sie oder die gGmbH davon, wenn durch den Verkauf eines in der Akademie ausgebildeten Spielers eine hohe Ablösesumme reinkommt?

Otto: Nein. Ich habe immer klar gemacht, dass man spendet, aber keine Erwartungen an einen Rückfluss hat.

Wann ist die Akademie für Sie ein Erfolg?

Otto: Es wäre falsch, knallharte Ertragserwartungen daran zu knüpfen. Sicherlich wollen wir Fortschritte in der Nachwuchsarbeit erzielen, aber das tun wir jetzt schon. In vielen internen Rankings ist der HSV schon ganz vorne dabei. Natürlich wünscht man sich, dass hier aus diesem Internat mal der eine oder andere große Spieler hervorgeht. Aber entscheidend ist erst einmal, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Für mich ist dabei auch das Thema Kontinuität elementar wichtig. Ich glaube, man wird Erfolg haben, wenn das Team um Bernhard Peters kontinuierlich weiterarbeiten kann und die nötige Unterstützung von Vorstand und Aufsichtsrat bekommt. Viele personelle Wechsel sind nicht gut. In der Vergangenheit fehlten beim HSV die Ruhe in der Nachwuchsarbeit und eine klare Philosophie.

Spüren Sie den Druck, jetzt liefern zu müssen, Herr Peters?

Peters: Dem stelle ich mich gerne, der gehört im Leistungssport für mich immer dazu. Wir befinden uns in einer exponierten Lage direkt am Stadion, das heißt, dass unsere Nachwuchsarbeit sehr genau beäugt wird. Was wir trainieren, wie wir mit den Spielern umgehen. Das ist im Volkspark noch mal ganz anders als in Norderstedt.

Müssen Sie die jungen Spieler besonders schützen vor der Öffentlichkeit?

Peters: Ein Nachwuchsleistungszen­trum ist kein Zoo. Wir haben da klare Bereiche, wo Eltern und Öffentlichkeit erwünscht sind. Und es gibt Bereiche, die nur Spielern, Trainern, Betreuern und Experten vorbehalten sind.

Wann sehen wir positive Ergebnisse?

Peters: Vieles wird heutzutage tagesaktuell bewertet, besonders von den Medien. In der Jugendarbeit ist es aber nicht so, dass das Gras schneller wächst, wenn man an ihm zieht. Man braucht Geduld, Glück und Können. Diejenigen, die schon Jungprofiverträge haben, sind auf einem sehr guten Weg. Aber sie müssen in allen Bereichen noch 20 Prozent drauflegen. Die Nachwuchsarbeit des HSV darf kein Alibi sein, sondern muss als Teil einer Strategie absolut gewollt sein. Es kann nur funktionieren, wenn das auch von den Profitrainern entsprechend gesehen wird.

Was gerade dann schwierig wird, wenn es um den Klassenerhalt geht.

Peters: Wenn unsere Profimannschaft seit drei Jahren immer am Abgrund steht, dann ist es für alle Trainer dieser Welt sehr schwer, unerfahrene, aber talentierte Spieler in einer mental schwierigen Situation aufzustellen. Grundsätzlich wollen Markus Gisdol und Jens Todt aber diesen Weg gehen, was mich sehr positiv berührt ...

Welches Ziel stellen Sie sich persönlich?

Peters: Zunächst bis zur U15 die besten Talente Norddeutschlands als ersten Schritt für uns zu finden. Dann beginnt die strategische Kaderplanung für die Bundesliga, das machen uns die klugen Vereine vor. Hier sollten wir unsere gute Ausbildungsarbeit noch mit wenigen nationalen oder internationalen Toptalenten für U16 oder U17 weiter aufrüsten. Mit einem guten individuellen Plan für unsere Perspektivspieler im Fußball und in der Persönlichkeitsentwicklung können wir im Wettbewerb mithalten.

Ist es blauäugig zu hoffen, dass die Ausbildung so identitätsstiftend sein wird, dass die Jungs nicht mehr sofort wechseln, wenn jemand mit den Geldscheinen wedelt?

Otto: Ich sehe hier durchaus eine Chance – wenn die Talente das Gefühl haben, dass sie vorankommen. Das ist ja auch eines der Ziele: Sie sollen unbedingt in diesem großen Kessel spielen wollen, der künftig in der Nachbarschaft steht.

Peters: Die Brücke in den Profibereich muss stimmen, so eine Brücke muss Vertrauen ausstrahlen.

Wenn so ein 16-Jähriger kommt, wie weit ist der schon fertig, wie sehr kann man den noch formen? Talent haben ja viele.

Peters: Die Motive, es mit absolutem Willen schaffen zu wollen, müssen da sein. Durch unsere klare Ausbildungsstruktur arbeiten wir zwar gezielt am Fußballerischen, Athletischen und Mentalen. Leider gibt es aber bei 30 Prozent der Jugendlichen zu viele negative Einflüsse. Denen wird teilweise suggeriert, sie seien der Messi der Zukunft. Dadurch geht ihre Sozialkompetenz total den Bach runter. Ich nerve unsere Trainer immer wieder damit, dass sie sich parallel auch als Erzieher verstehen sollen und nicht als ein Übungsleiter nur auf dem Platz. Leider bringt die Trainerausbildung in Deutschland in dieser Richtung zu wenig.

Herr Otto, hat das Campus-Projekt Lust gemacht, möglicherweise noch mehr Nachwuchsprojekte im Hamburger Sport in Angriff zu nehmen?

Otto: Ja, generell macht mir das Thema Sport und im Speziellen Nachwuchssport Spaß. Ich fördere ja über meine Sportstiftung eine ganze Menge Projekte. Auch das Thema Handball liegt mir sehr am Herzen, ich finde, es ist eine ganz tolle Arbeit, die da beim HSV Hamburg inzwischen auch mit Nachwuchssportlern geleistet wird. Zudem steht der Behindertensport stark im Fokus. Die Rollstuhlbasketball-WM in Hamburg im Sommer 2018 interessiert mich sehr, ein Projekt, das ich kräftig unterstützen werde. Ich hoffe, dass da auch viele Hamburger mitmachen und die behinderten Sportler aus der ganzen Welt willkommen heißen. Und es gibt ja viele kleine Projekte wie beispielsweise Fahrradtraining und Schwimmtraining in Stadtteilen, wo Kinder die Grundschule verlassen und oft nicht Fahrrad fahren und schwimmen können.