Hamburg. Sie waren Zimmernachbarn im Bayern-Internat. Während der eine auf den HSV trifft, schreibt der andere eine Sportdidaktik-Hausarbeit.

Dienstagabend, 20.30 Uhr. Es ist heiß in der Fußballhalle „Soccer in Hamburg“ in Stellingen. Und es riecht nach Schweiß. Auf drei Feldern wird in der umgebauten Tennishalle fast rund um die Uhr gespielt. Auf Platz Nummer eins machen sich drei Spieler in HSV-Trikots warm, ein Kicker im Fortuna-Düsseldorf-Outfit hält den Ball hoch. Und dann ist da noch dieser eine Fußballer in Bayern-München-Montur. „Hast du mal in einer höheren Liga gespielt?“, fragt einer. „Joa“, sagt der junge Mann. „Ein bisschen höher.“ Der Bayern-Trikotträger nimmt den Ball, zwei schnelle Bewegungen, dann jagt er ihn zentimetergenau über die Unterlatte ins Tor. „Bei den Bayern im Internat“, sagt er. „Alaba war mein Zimmernachbar.“

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Jannis Ackermann, das einstige Bayerntalent, lacht. Es ist eine Weile her, dass der 23-Jährige in Hamburg-Stellingen auf Torejagd ging. „Hat Bock gebracht“, sagt er am Telefon. Er wohnte in Harburg, hat ein drei Monate langes Praktikum beim Hamburger Magazin „Men’s Health“ absolviert. Jetzt ist er wieder in der Heimat in Hessen. Alabas früherer Zimmernachbar wohnt in Frankfurt, studiert Sport und Deutsch auf Lehramt im sechsten Semester in Gießen und arbeitet in den Semesterferien gerade als Vertretungslehrer an der Freiherr-vom-Stein-Schule in Hünfelden bei Limburg.

Schmaler Grat

Wenn an diesem Sonnabend die Bayern zum 104. Mal auf den HSV treffen, steht aus der ehemaligen Internats-WG nur David Alaba auf dem Platz. Um 15.30 Uhr empfängt der Rekordmeister in der Allianz Arena den HSV – und der Österreicher dürfte zum 240. Mal für die erste Mannschaft des FCB dabei sein. Ackermann wird nicht dabei sein. Nicht auf dem Rasen, auch nicht auf der Tribüne und wahrscheinlich nicht mal am TV. „Es klingt ein bisschen blöd“, sagt er, „aber irgendwie habe ich abgeschlossen mit dem Fußball.“

Alaba und Ackermann – beide wohnten auf dem gleichen Flur in Bayerns Nachwuchsleistungszentrum. Alaba in Zimmer Nummer vier, Ackermann in Zimmer Nummer fünf. Der eine wurde zu einem der besten Fußballer dieses Planeten. Madrid und Manchester sollen immer mal wieder angeklopft haben. Der andere spielte zuletzt bei TuS Dietkirchen in der Verbandsliga Mitte – und beim Dienstagskick in der Soccerhalle Kieler Straße. Beide zusammen sind ein Lehrstück, wie schmal in der Glitzerwelt Profifußball manchmal der Grat zwischen geschafft und gescheitert sein kann.

Matz ab nach dem Remis gegen Freiburg:

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Matz ab nach dem Remis gegen Freiburg

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    2008 kamen Alaba und Ackermann an die Säbener Straße. „David zog einen Monat vor mir ins Bayern-Internat ein“, erinnert sich Jannis. 13 Spieler wohnten damals im Jugendleistungszentrum des FCB. Italiens Nationalspieler Roberto Soriano zum Beispiel, Deutschlands Rechtsverteidiger Emre Can und eben Alaba und Ackermann. „Das Niveau war extrem hoch, aber David war noch besser als alle anderen“, sagt Jannis, der sich besonders an eines der ersten Trainingsspielchen erinnert: „David spielte Linksverteidiger, machte aber das ganze Spiel und schoss in nur einer Halbzeit vier Tore. Wir anderen schauten uns auf dem Platz an und dachten nur: was für ein Übermensch.“

    Der Übermensch startete durch: von der U 17 über die U 19 bis in die U 23 in nur einer Saison. Und Ackermann? Zog sich nach einem Jahr in der U 16 einen Bänderriss zu. „Eigentlich nichts Schlimmes“, sagt er, „aber ich habe zu früh wieder begonnen.“ Es folgte ein Ermüdungsbruch, ein wochenlanger Ärztemarathon und die monatelange Reha. Alaba debütierte in der Bundesliga – und Ackermann kämpfte um seine Karriere und um sein Comeback.

    HSV spielt Unentschieden gegen Freiburg:

    HSV spielt Unentschieden gegen Freiburg

    Schneller Anschlusstreffer: Freiburgs Maximilian Philipp drescht das Leder aus 13 Metern ins linke Eck
    Schneller Anschlusstreffer: Freiburgs Maximilian Philipp drescht das Leder aus 13 Metern ins linke Eck © dpa | Daniel Reinhardt
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    „Ich hatte mit dem Kapitel Bayern schon abgeschlossen, als es plötzlich wieder bei mir lief“, sagt der offensive Mittelfeldmann. Nach 13 Monaten Pause wollte Ackermann noch mal nach oben durchstarten – und landete ganz unten. Ein Zweikampf im Training, ein Sturz, ein Schmerz. Die Diagnose: Riss des Kreuzbands und vom Meniskus.

    Drei Tage nach Alabas 18. Geburtstag erhielt der Österreicher seinen ersten Profivertrag, Ackermann legten Münchens Verantwortliche trotz laufenden Vertrags bis 2012 nahe, sich wieder auf die Schule zu konzentrieren. Wenig später wechselte Alaba: auf Leihbasis für ein Jahr nach Hoffenheim. Ackermann wechselte: aus dem Nachwuchsleistungszentrum an die Tiedemann-Schule nach Limburg. Es folgten: die Rückkehr zu den Bayern (Alaba), das Abitur (Ackermann), der Gewinn der Champions League (Alaba), ein soziales Jahr (Ackermann), die Auszeichnung zu Österreichs Sportler des Jahres (Alaba), ein Studium (Ackermann), die Europameisterschaft in Frankreich (Alaba), der Turniersieg beim Dienstagskick in Stellingen (Ackermann).

    „David war immer ein lustiger Vogel“

    „David war immer ein lustiger Vogel. Ich freue mich für ihn, dass er so durchgestartet ist“, sagt der Fast-Profi. „Ich selbst habe mich gefragt, ob das Profileben wirklich das richtige für mich gewesen wäre.“ Am Sonnabend, wenn Alaba und die Bayern gegen den HSV spielen, müsse er ohnehin noch eine Sportdidaktik-Hausarbeit schreiben: Anpassungen im Fußball im Hinblick zur Inklusion. „Fußball ist cool“, sagt Ackermann. „Aber eben nicht alles.“