Hamburg. Fußball oder Journalismus? Bevor Jens Todt seine neue Aufgabe übernahm, arbeitete er als Journalist für “stern“ und “Spiegel“.

Mitte dieser Woche musste Jens Todt wieder einmal in die Bütt. Presserunde. Hinter dem HSV-Sportchef eine bunte Sponsorenwand. Vor ihm eine Wand aus Kameras, Fotoapparaten und Mikrofonen. Licht an, Ton läuft. „Herr Todt, was denken Sie über RB Leipzig?“, fragte einer aus dem dicht gedrängten Halbkreis. „Wo muss der Trainer ansetzen?“ Und: „Was ist eigentlich Ihre Meinung zu Philipp Lahm?“ Frage-Antwort-Runde in der sogenannten Mixedzone des Volksparkstadions. Die Journalisten stellen mehr oder weniger bedeutsame Fragen, der Sportchef gibt mehr oder weniger bedeutsame Antworten. Nach rund 20 Minuten ist der Spaß vorbei. Ganz normaler Fußball- und Medienalltag.

Am Sonntag im Sportclub

Für die meisten Medienvertreter ist Hamburgs neuer Sportchef ein durchaus gern gesehener Interviewpartner. Todt, der an diesem Sonntag auch beim NDR-Sportclub (22.50 Uhr) zu Gast ist, antwortet eloquent, höflich, verbindlich und bisweilen sogar witzig. Was aber kaum einer weiß: Der gebürtige Niedersachse hat nicht nur ganz passable Antworten parat, er ist vor allem ein passionierter Fragensteller. Denn: Todt war selbst einmal Journalist. Nicht so einer der zahlreichen Ex-Profi-Experten, sondern ein sehr ernst zu nehmender Redakteur beim „Spiegel“ und bei „Spiegel Online“. „Mir hat der Job als Journalist extrem großen Spaß gemacht“, sagt er.

Twitter und Journalismus

Ein paar Tage vor der Mixedzone-Runde sitzt Jens Todt im Frühstücksraum des Grandhotels Elysée, bestellt sich einen Espresso und stellt selbst die Fragen. „Welche Auswirkungen hat Twitter auf den Journalistenalltag?“, fragt Todt interessiert. „Muss man sich wegen des Auflagenrückgangs viele Gedanken machen?“ Und: „Ist der Reporterjob schwieriger als vor ein paar Jahren?“

Ein paar Jahre ist es tatsächlich schon her, dass Todt selbst den Seitenwechsel probierte. „Journalismus hat mich immer gereizt“, sagt der frühere Nationalspieler, der bereits als Spieler des SC Freiburg erste Praktika in der Sommerpause machte. „Stern“ und „Spiegel“ waren seine ersten Stationen als Praktikant. Wenn schon, denn schon. „Ich wollte unbedingt in ein Ressort reinschnuppern, das nichts mit Fußball zu tun hatte“, erinnert sich Todt, der bereits als Schüler der Albert-Schweizer-Schule in Nienburg bei der Schülerzeitung „Schrebergarten“ und später bei der Lokalzeitung „Harke“ mitgearbeitet hatte. Doch schon damals stand der Nachwuchs-Schreiberling vor einer schwierigen Frage: Fußball oder Journalismus? Es kann nur eines geben.

"Raus aus der Fußballwelt"

Todt entschied sich für den Fußball, zunächst einmal. 168 Partien für den SC Freiburg, 72 Bundesligaspiele für Werder Bremen, 41 Partien für den VfB Stuttgart und immerhin drei Länderspiele später wusste er, dass es die richtige Entscheidung war. Zunächst einmal. Die Lust auf den Journalismus hatte aber noch immer nicht nachgelassen. „Als meine Karriere als Spieler vorbei war, wollte ich erst einmal raus aus der Fußballwelt“, sagt Todt, der ganz nebenbei Germanistik, neue deutsche Literatur und Philosophie studiert hatte. Die Theorie ist aber das eine, die Praxis das andere.

Todt studierte Germanistik

Da kam der „Spiegel“ gerade recht. „Jens hat sich schon als Praktikant ziemlich reingehängt“, erinnert sich Michael Wulzinger, den Todt noch aus seiner Zeit beim SC Freiburg kannte. „Er hat ziemlichen Eindruck hinterlassen“, sagt Wulzinger, der beim „Spiegel“ im Ressort Deutschland mit Schwerpunkt investigative Recherche arbeitet. Besonders in Erinnerung habe er die Geschichte um die Affäre des bestochenen Schiedsrichters Robert Hoyzer, bei der sich Todt sehr verdient gemacht hatte und es als Praktikant sogar mit Foto in die Hausmitteilung des „Spiegel“ auf Seite 2 brachte.

Praktikum, Volontariat, Redakteursstelle. Der einstige Nationalspieler, der sich auch ohne Einsatz bei der Euro 1996 Europameister nennen darf, dribbelte sich langsam nach oben. „Als Volontär hat er für 1800 Euro brutto im Monat genauso Früh- und Spätdienste wie jeder andere übernommen“, sagt Julia Jüttner, die mit Todt bei „Spiegel Online“ arbeitete. „Auch er musste Bilderserien von Pamela Anderson zusammenbasteln, wollte sich natürlich aber viel lieber mit den gesellschaftlich-politischen Themen beschäftigen. Er wollte raus, weg vom Schreibtisch, wollte recherchieren.“

"Spiegel" und "Spiegel Online" waren seine beruflichen Stationen © Jörg Riefenstahl

Todt entwickelte schnell ein Faible für die Themen, mit denen man sich eigentlich nicht freiwillig beschäftigen möchte. „Harte Themen“, sagt er heute, „haben mich immer am meisten interessiert.“ Rechtsradikalismus, Kinderpornografie, Kriminalfälle. „Jens war ein richtiger Bluthund“, erinnert sich Jüttner.

Ein Frauenmörder, ein philippinischer Kinderpornografiering und ein SS-Veteran, mit dem Todt über dessen Erinnerungen an Günter Grass sprach – der frühere Innenverteidiger ging dort hin, wo es weh tat. „Die Geschichten, die er recherchieren musste, waren nicht immer vergnügungssteuerpflichtig“, sagt Sven Röbel, der mit Todt und Wulzinger zusammen die Akte Hoyzer aufdeckte. „Er war an ein paar ziemlich harten Themen dran.“

Ein zweiter Espresso

Im Hotel Elysée rührt Todt in seinem zweiten Espresso herum. „Ich weiß auch nicht so genau, warum mich diese Abgründe einfach nicht losgelassen haben“, sagt er. So erinnert er sich beispielsweise noch gut an einen Besuch in Postlow in Vorpommern. „Triumph im toten Winkel der Republik“, lautete die Überschrift über einem Ortsbesuch in einem Dorf, in dem die NPD 38,2 Prozent der Stimmen erhalten hatte. „Ich wollte einfach wissen, wie die Menschen ticken“, sagt Todt, der damals schrieb: „In Postlow brüllen die Plakate von fast jedem Laternenmast in fast jedem Seitensträßchen: ‚Wehrt Euch‘, ‚Schnauze voll‘, den ‚Bonzen auf die Finger hauen‘! Von CDU und SPD: keine Spur.“ Todt nimmt einen großen Schluck, atmet tief durch, dann sagt er: „Die Geschichte ist lange her, aber irgendwie scheint sie ja leider noch immer aktuell zu sein.“

Lange her und noch immer sehr präsent ist auch eine Geschichte, die Todt bis heute nicht vergessen kann. „Es gibt einen Fall, der mich immer noch beschäftigt“, sagt der frühere Journalist. Ein ungeklärter Mordfall in Brandenburg. Ein zehnjähriges Mädchen war 1995 auf furchtbare Art und Weise umgebracht worden – und Todt hatte einen pensionierten Polizeibeamten und einen Privatdetektiv dazu befragt, die der Fall einfach nicht loslassen konnte. „Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt“, sagt Todt.

Er hatte Feuer

„Jens hatte das Feuer, das man als Journalist braucht, und das heute leider viel zu wenige haben“, sagt Röbel, der den erneuten Seitenwechsel Todts zurück zum Fußball bedauerte: „Als sich Jens für eine Rückkehr in den Fußball entschieden hat, war der Reporter in mir extrem traurig.“ Auch Wulzinger verteilt Blumen: „Seine Entscheidung für den Fußball war sehr schade für den ‚Spiegel‘“ Kurze Pause am Telefon. „Aber vielleicht war sie ja sehr gut für den HSV.“

Einen dritten Seitenwechsel zurück in den Journalismus will Todt, der bis heute Abonnent der „Neuesten Nachrichten aus Potsdam“ ist, auf keinen Fall ausschließen. „Wer weiß schon, was in ein paar Jahren sein wird.“

In irgendeiner Zeitungsredaktion würde sich sicherlich ein Platz finden lassen – im Zweifel beim „Spiegel“. „Es hieß immer, Jens sei einer der wenigen Profikicker, die auch so richtig was im Kopf haben“, sagt seine frühere Kollegin Jüttner. „Das kann ich nur bestätigen.“