Hamburg. Der Torhüter will mit dem HSV wiederholen, was er mit dem kommenden Gegner Darmstadt schaffte: den Klassenerhalt.
Der Wind peitschte feine, kalte Sprühregentröpfchen in die Gesichter, der Boden nass und schwer, grauer Himmel – es war eklig, echt eklig beim HSV-Training am Mittwoch. „Es wird eklig“, sagte Christian Mathenia. Dann passt’s ja. Wobei: Mathenia denkt weniger ans Wetter, sondern mehr ans kommende Spiel. Sonntag (15.30 Uhr), der HSV zu Gast bei Darmstadt 98. Reiner Abstiegskampf. Eklig eben.
Mathenia kennt diese Situation. Einerseits. Andererseits ist sie neu für ihn. Im letzten Jahr hat er im Tor der Hessen entscheidend dazu beigetragen, dass der krasse Außenseiter wider Erwarten die Klasse halten konnte. „In Darmstadt wussten wir von Anfang an, dass wir im Abstiegskampf sind, und waren dementsprechend darauf vorbereitet“, erklärt der 24-Jährige, „beim HSV hatten wir vor der Saison andere Ziele und sind dann in einen Negativstrudel geraten. Es ist dann schwieriger, sich auf die Situation einzustellen.“
Seit zwei Spielen steht er nun beim HSV zwischen den Pfosten, die erste große Bewährungsprobe bei seinem neuen Verein. Die Schleimbeutelentzündung von Stammkeeper René Adler sorgte für seine Chance. In der Saisonvorbereitung konnte sich der gebürtige Mainzer nicht gegen den ehemaligen Nationaltorwart durchsetzen, auch weil er im Sommer noch unter den Folgen eines Mittelhandbruchs litt und erst mit Verzögerung ins Training einstieg.
Mathenia will sich unverzichtbar machen
800.000 Euro immerhin hat der HSV bezahlt, um Mathenia aus seinem Vertrag mit Darmstadt herauszukaufen. Es ist vor allem ein Wechsel auf die Zukunft. Adlers Vertrag endet 2017, Mathenia hat bis 2019 unterschrieben. Da zeigen sich natürlich Perspektiven und Möglichkeiten, wenn er bei seinen Einsätzen und im Training überzeugt. „Man wünscht keinem Konkurrenten eine Verletzung“, sagt Mathenia, „aber jetzt möchte ich mich zeigen und Leistung für die Mannschaft bringen.“
Nach seinem Wechsel aus Mainz im Sommer 2014 hatte Mathenia in sämtlichen 34 Zweitligaspielen für Darmstadt das Tor gehütet und danach bis auf den letzten Spieltag auch in der Bundesliga. Sein Name wird in der Lilienstadt positiv mit dem Aufstieg und dem Klassenerhalt verbunden. Insbesondere auch, weil er im vorletzten Saisonspiel bei Hertha BSC trotz seines Mittelhandbruchs durchgehalten hat und damit half, den vorzeitigen Klassenerhalt zu sichern. „In diesem Spiel ist er zum Mann geworden“, sagte der damalige 98-Trainer Dirk Schuster über seinen Keeper.
Pfiffe wird es auch deshalb wahrscheinlich nicht geben, wenn Mathenia mit dem Gegner an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehrt. 800.000 Euro, das ist immerhin die höchste Ablöse, die Darmstadt jemals erzielt hat. Außerdem: Die Fans trauern der alten Nummer eins nicht übermäßig hinterher. Sein Nachfolger Michael Esser gilt bei regelmäßigen Beobachtern in Darmstadt als besser als Mathenia, Esser hat seinen Vorgänger mehr als gleichmäßig ersetzt.
Mathenia erwartet „besonderes Spiel“
„Es wird komisch, dort aufzulaufen“, erwartet der HSV-Torwart dennoch, „es ist ein besonderes Spiel auch persönlich, schließlich hatte ich in Darmstadt die bislang besten zwei Jahre meiner Karriere.“ Darmstadts Torwarttrainer Dimo Wache ist er besonders dankbar. Der langjährige Keeper von Mainz 05 hatte ihn von den 05-Amateuren nach Darmstadt geholt und intensiv mit ihm gearbeitet. Mathenias Reflexe waren schon immer sehr gut, die Strafraumbeherrschung und Abschläge sind unter Wache besser geworden. Ebenso das Selbstvertrauen. „Ich bin nicht nach Hamburg gekommen, um mich auf die Bank zu setzen“, ließ sich Mathenia nach seiner Unterschrift zitieren.
Bilder vom Senatsfrühstück:
Senatsfrühstück zum 80. von Uwe Seeler
Nach knapp einem halben Jahr fühlt er sich auch komplett in Hamburg angekommen. Obwohl das ja schon eine Umstellung ist von Rai Breitenbach bei Breuberg im Odenwald in die zweitgrößte Stadt Deutschlands. „Ich bewege mich oft und gerne in der Stadt und kenne mich schon ganz gut aus“, sagt er. Es ist eben alles ein bis fünf Nummern größer. Das Stadion, die Historie, „auch das Nordderby, dieses Kribbeln, das ist einmalig, das wollte ich gerne erleben“, sagt Mathenia. Größer ist aber auch der Druck bei einem „unabsteigbaren Dino“ im Vergleich zu einem Verein, wo Bundesliga eher ein seltener Luxus ist. „Natürlich ist mir bewusst, in welch großem Club ich jetzt spiele“, sagt der HSV-Torwart: „Es geht nicht nur um uns, sondern um die ganze Stadt, um die Mitarbeiter im Verein, um die zahlreichen Fans überall in Norddeutschland.“
HSV steht vor Schicksalsspiel
Die Partie gegen die vier Punkte besseren Darmstädter kann im Abstiegskampf schon einen vorentscheidenden Charakter haben. Auf einen Zähler ran – oder sieben entfernt. Das sind Welten, auch für die Psyche. Es wird auch einfach Zeit für den ersten Sieg. Wenn nicht jetzt, wann dann? „Wir wollen uns bis zur Rückrunde eine möglichst gute Ausgangsposition verschaffen. Es ist deshalb ein sehr, sehr wichtiges Spiel. Gerade gegen einen direkten Kontrahenten. Das habe ich auch im letzten Jahr gesehen. Du musst gegen die Mannschaften punkten, die auch mit unten drin stehen“, weiß Mathenia. Seine Mannschaft sieht er trotz der Sieglosigkeit auf einem guten Weg: „Wir sind als Team jetzt eng zusammengerückt, jeder hat verstanden, dass es nur über die Mentalität geht.“
Trainer Markus Gisdol hat seinen Schlussmann schon beiseitegenommen, um mit ihm als Insider über die Stärken und Schwächen der Darmstädter zu sprechen. Klar. Die WhatsApp-Kontakte zu den alten Kollegen wie Wache, Aytac Sulu oder Jerome Gondorf sind jetzt total eingestellt, Freundschaften liegen auf Eis. Es ist Abstiegskampf. „Das Publikum wird jeden gewonnenen Zweikampf bejubeln, und Darmstadt wird wie in den letzten zwei Jahren riesige Kampfbereitschaft zeigen“, erwartet Mathenia, „trotzdem freue ich mich auf die Rückkehr ans Böllenfalltor.“ Auch wenn es extrem eklig wird.