Hamburg. Die Stimmung in Hamburg ist am Nullpunkt. Doch wie wird der HSV im Rest der Republik gesehen? Was Deutschlands Sportreporter sagen.

Vor dem so wichtigen Spiel gegen Hoffenheim an diesem Sonntag ist die Stimmung in Hamburg auf dem Nullpunkt. An den Klassenerhalt glaubt kaum noch einer. Doch wie wird der Verein im Rest der Republik wahrgenommen? Kai Schiller hörte sich bei 17 Kollegen um, die über die jeweiligen Bundesliga-Clubs berichten.

München

„Du bist mein Zuhaus, du bist mein Leben ...“ singt Lotto King Karl in „Hamburg meine Perle“. Und zu Hamburg gehört ein erstklassiger HSV. Ein Abstieg wäre keine gute Chance für einen Neuanfang, wie einige meinen – er wäre fatal. Aber so weit wird es meiner Meinung nach nicht kommen. Die Fans werden – auch wenn sie zuletzt resigniert wirkten – diesen Club nicht absteigen lassen. Das Publikum hat über Monate die beste Leistung aller HSVer gezeigt – und das wird im Abstiegskampf das große Plus des Vereins sein. Ich bin Hamburger, habe früher über den HSV berichtet und stets gespürt, welche Kraft dieser Club, diese Stadt hat. Ich bin sicher, dass Fans und Mannschaft es noch schaffen, eine kraftvolle Einheit zu werden. Also: Ja, der HSV ist zu retten. Er wird sich retten. Ob verdient oder unverdient, ist am Ende total egal. Julien Wolff, „Die Welt“

Leipzig

HSV - RB, sonniger Nachmittag im Volkspark, der HSV drückt, Hunt muss das 1:0 machen, macht es nicht. Mit dem Leipziger 1:0 ändert sich alles. Die einen rennen in ihr Verderben, fallen am dritten Spieltag vom Glauben. Die anderen gehen breitbeinig durchs Tor zur Welt, besteigen einen fliegenden Teppich. Nein, der HSV ist keine 22 Punkte schlechter als RB. Ja, der HSV ist besser besetzt als Darmstadt, Augsburg und Co. Ja, der HSV ist noch nicht verloren. Also, lieber HSV: Ihr packt das! Irgendwie, irgendwann. Guido Schäfer, Leipziger Volkszeitung

Hoffenheim

Kann Markus Gisdol Abstiegskampf? In Hoffenheim schaffte der selbstbewusste Württemberger 2013 als vierter Trainer einer grauseligen Saison die Rettung. Um anderthalb Jahre später den Abwärtstrend zu stoppen, fehlte dem überzeugten Gegenpressing-Trainer aber eine Prise Pragmatismus. Auch seine laute Ungeduld in der Kabine stand ihm im Weg. Und heute: Kann die aktuelle HSV-Elf Gegenpressing? Nein! Ist der HSV eine Gisdol-Elf? Nein! Kann Gisdol etwas anderes als Gisdol-Fußball? Hm. Schafft der HSV mit diesem Trainer die Rettung? Hm. Tobias Schächter, freier Autor

Dortmund

2008 wäre Jürgen Klopp womöglich beim HSV gelandet. Doch Beiersdorfer störte sich an dessen löchrigen Jeans und dem Viertagebart. In den acht Jahren danach regierte das Chaos: 15 Trainer, keiner erfüllte die Erwartungen. Denn die sind immer zu hoch. Wie vor dieser Saison. Und nun? Retten sich alle zuerst selbst. Aber: Fehler gemeinsam zu tolerieren, wenn man kann, aus ihnen zu lernen, das wäre Entwicklung, hieße Kontinuität. Das wäre eine Basis. Doch dafür könnte es beim HSV fast schon zu spät sein. Daniel Berg, „WAZ“

Köln

Um die Kraft eines Traditionsvereins wie dem HSV zu entfesseln, reicht eigentlich Kontinuität in der Führung – vorausgesetzt, es führt einer: Gute Leute holen gute Leute, denen sie vertrauen, selbst wenn es mal nicht läuft. Schlechte Leute dagegen holen schlechte Leute, denen sie dann zunächst vertrauen, um sie auszutauschen, wenn sie ausreichend Schaden angerichtet haben. Das führt auf Dauer zuverlässig in den Untergang – beim HSV dürfte diese Entwicklung nun im ersten Abstieg einen Meilenstein erreichen. Christian Löer, „Kölner Stadt-Anzeiger“

Frankfurt

Es gibt nicht wenige, die Frankfurt in etwa dort erwartet hatten, wo jetzt der HSV dümpelt. Ganz unten. Dort wäre die Eintracht letzte Saison mit einem gewissen Armin Veh beinahe gelandet. Veh mag den HSV. Toller Club, sagte er, als er 2011 nach Frankfurt kam. Aber dort arbeiten? Unmöglich. Ganz langsam: U-n-m-ö-g-l-i-c-h. Alldieweil: Einflüsterer, Wendehälse, Räte, die nicht raten, sondern sabotieren. HSV? Werde über kurz oder lang abschmieren – wenn sich nichts ändere. Sagte Veh. Damals. Geändert hat sich nix. Und deshalb, sorry, wird es abwärtsgehen. Ingo Durstewitz, „Frankfurter Rundschau“

Leverkusen

Nicht nur die eigenen Fans haben beste Gründe, sich abzuwenden von der Tristesse, die den HSV derzeit umgibt. Auch das Glück, dieses wankelmütige Wesen, dürfte dieser schon schmerzhaften Strapazen bei der Rettung des Clubs überdrüssig sein. Relegation. Immer wieder. Oft Leiden bis zum Letzten. Und was lernt der HSV daraus? Nichts! Also Abstieg? Zieht das Glück weiter, blieben nur zwei Gründe, die dagegen sprechen: Ingolstadt und Darmstadt. Jedoch: Das Glück kann nicht riechen. Und ist, das glaubte der römische Philosoph Cicero: blind. Vielleicht diesmal wieder. Guido Hain, „General- Anzeiger“ Bonn

Freiburg

Natürlich. Theoretisch. Die Grundvoraussetzungen sind ja weiterhin da: viel Tradition, viele Fans und immer wieder finanzielle Unterstützer. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die richtigen Schlüsse aus dem schleichenden Niedergang zu ziehen, der inzwischen ein rasanter zu werden droht. Sportliche Kompetenz und Kontinuität – beides fehlt dem Verein seit Jahren. Dafür gibt es Einflüsterer und Einflussnehmer en masse. Das neue Nachwuchsleistungszentrum weist den Weg. Ein Konzept mit Perspektive. Dazu gehört ein Team mit Perspektive. Eines, das wachsen kann. Vielleicht braucht es aber erst einen Abstieg, um den nötigen Reformwillen aufzubringen, anstatt sich ans Gestern zu klammern. René Kübler, „Badische Zeitung“

Mainz

Der HSV, so hört man, leide auch darunter, in einer Medienstadt nie zur Ruhe zu kommen. Unsinn! Es ist in Hamburg nämlich gar nicht so furchtbar anders als im beschaulichen Mainz. Ein Dutzend Reporter begleitet den Club hier wie dort. Und die HSV-Berichterstatter sind fast durchweg gutmütige Kerle. Die eigentlich alle dick und fett sein müssten, derart intensiv werden sie seit Jahren mit schlechten Nachrichten gefüttert. Als Überbringer mieser Botschaften sind sie unschuldig – und mitunter sogar allzu rücksichtsvoll. Der HSV hat unzählige Chancen grob fahrlässig verpasst, sich medialen Respekt zurückzuerarbeiten. In Hamburg und im ganzen Land. Jan-Christian Müller, „Frankf. Rundschau“

Schalke

Selbstverständlich kann der Hamburger SV noch gerettet werden. Der Erhalt seiner Erstklassigkeit liegt zudem im nationalen Interesse, keine Institution leistet mehr für die Volksbelustigung als der HSV. Mit seinen sympathischen Tölpeleien absorbiert der HSV die Schadenfreude der Deutschen und trägt somit zum sozialen Frieden bei. Staat und DFL sollten daher ein Notprogramm einrichten: Trainer Gisdol, Vorstandschef Beiersdorfer und Investor Kühne werden in Hausarrest genommen; die Liga stellt Defensivspieler, Torjäger, Matchpläne sowie einen Sportdirektor bereit. So könnte der HSV gerettet werden. Aber auch nur so. Philipp Selldorf, „Süddeutsche Zeitung“

Hertha

Ich bin leider HSV-Fan, aber die Antwort lautet: auf keinen Fall! Denn ich glaube an die kosmische Gerechtigkeit: ein Gebräu aus klugen und unklugen Taten, die ein Club begeht. Irgendwann wird es serviert. Und dann geht’s runter. „Dumm ist der, der Dummes tut“, hat Forrest Gump gesagt. Und beim HSV haben sie oft Dummes getan. Mein aktuelles Lieblingsbeispiel ist Kerem Demirbay, der verscherbelt wurde und nun auftrumpft. Lasst im dritten Anlauf die kosmische Gerechtigkeit walten! Jörn Meyn, „Berliner Morgenpost“

Bremen

Der HSV und Werder sind sich ähnlicher, als den Fans beider Clubs lieb sein dürfte. Werder hat seit dem Sommer den Sportchef, den Trainer und die halbe Mannschaft ausgetauscht. Bisher dachte man immer, dass dies nur der HSV schafft – so zweimal pro Saison. Fatal ist die Unruhe hier wie dort. Trotzdem wirkt das Ausmaß des Niedergangs beim HSV stets (und auch jetzt) weitaus bedrohlicher als bei Werder. In Bremen freut man sich darauf, dass Gnabry noch besser wird und Kruse und Pizarro in Kürze in die Saison einsteigen. Und den Trainer und Sportchef wird Werder bis zum Sommer unter Garantie nicht mehr wechseln. Und der HSV? Der wartet weiter auf den Gisdol-Effekt und den neuen Sportchef, der dann die vierte Wahl war. Ich fürchte, dass es im Sommer im Norden nur ein Happy End gibt – und das findet nicht in Hamburg statt. Marc Hagedorn, „Weser-Kurier“

Mönchengladbach

Ein Abstieg deutet sich lange vorher an, er hat eine Inkubationszeit wie eine ansteckende Krankheit. Das war beim 1. FC Köln so, der sich in den Neunzigern mehrmals erfolgreich gewehrt hat, bis es ihn 1998 doch erwischt hat. Das war in Gladbach so, bei Hertha und zuletzt in Stuttgart. Die Symptome sind immer die gleichen. Schlechte Transfers, überzogene Erwartungen – und jedes Jahr ein neuer Trainer. Das geht an die Substanz, bis keine mehr da ist. So wie in dieser Saison beim HSV. Stefan Hermanns, „Tagesspiegel“

Augsburg

Also, nach zehn Spieltagen ist, um einen phrasenschweinpflichtigen Spruch zu bemühen, noch keiner abgestiegen – und ein Beispiel, wie es geht, hat der FC Augsburg vor vier Jahren vorgegeben. Damals: neun Punkte nach der Hinrunde, mit Stefan Reuter hatte gerade der dritte Manager dieser Saison sein Amt angetreten; im Winter dann: Neustart. Und die Rettung. Klassenerhalt geht nur über Mentalität, das muss der HSV begreifen. Und aufhören zu glauben, er habe gute Spieler. Hat er nicht. Er hat reihenweise gescheiterte Talente. Vom Personal ist der HSV unteres Drittel, er zahlt nur wie das obere. Günter Klein, „Münchner Merkur“

Ingolstadt

Theoretisch würde es schon noch Möglichkeiten geben, wie man den HSV retten kann. Zum Beispiel hat der Club länger keinen Trainer mehr gewechselt, und mit Bruno Labbadia wäre sogar ein Kandidat auf dem Markt. Auch könnte mal jemand auf die Idee kommen, nach einem neuen Sportchef zu fahnden, es gibt ja überall gute Leute, sogar in Bochum. Das Problem ist allerdings, dass die genialsten Ideen nicht mehr viel bringen werden. Vielleicht tröstet es den HSV, dass sein erster Abstieg ein historischer sein wird: Im 53. Jahr Bundesliga werden zum ersten Mal jene beiden Mannschaften Siebzehnter und Achtzehnter bleiben, die schon nach zehn Spieltagen Siebzehnter und Achtzehnter sind: der HSV – und Ingolstadt. Christof Kneer, „Süddeutsche Zeitung“

Wolfsburg

Mitleid und Häme sind zweifellos die schlimmsten Reaktionen, die einem Sportler entgegenschlagen können. Beim desaströsen Auftritt des HSV gegen den BVB war bis nach Freiburg zu spüren, dass die deutschen Fußballfans sich genau in dem Spannungsfeld bewegen. Und sie bereiten sich langsam, aber sicher darauf vor, dass die nächste Bundesliga-Saison ohne die Hamburger angepfiffen werden wird. Dieser HSV ist nicht mehr zu retten. Es war nicht alles schön mit dir, HSV, aber immer aufregend. Leonhard Hartmann, „Wolfsburger Nachrichten“

Darmstadt

In seiner beinahe bewundernswerten Sturheit, eigene Fehler als solche anzuerkennen, erinnert der HSV mich inzwischen an einen Zweijährigen beim Versuch, ein Klötzchen durch die falsche Öffnung zu drücken. Nein, lieber HSV, die Raute passt da nicht durch. Das ist ein Dreieck. Die Mannschaft ist schon wieder so schräg, so oberflächlich, so kurzsichtig zusammengestellt, dass der Abstieg nicht zu verhindern sein wird. Diesmal wirklich. Jacob Böllhoff, „Frankfurter Rundschau“