Hamburg. Markus Gisdol kam als Entwickler nach Hamburg – sechs Wochen später geht es für den Trainer jedoch nur noch um den Klassenerhalt.

Die Situation war aussichtslos, der Abstieg quasi besiegelt. Nach der 1:4-Heimniederlage gegen den HSV half 1899 Hoffenheim beim Meister Borussia Dortmund nur noch ein Sieg. Es war das Ende der Saison 2012/13. Letzter Spieltag. 13 Minuten vor Schluss lag das Team von Trainer Markus Gisdol durch ein Tor von Robert Lewandowski mit 0:1 zurück. Hoffenheim war weg. Dachten alle. Bis Sven Schipplock sich den Ball an Torwart Roman Weidenfeller vorbeilegte und Hoffenheim den zweiten Elfmeter innerhalb von fünf Minuten herausholte. Sejad Salihovic behielt zweimal die Nerven, Hoffenheim schaffte das Wunder und in der Relegation die Rettung.

Etwas mehr als drei Jahre ist dieser Moment nun her. Markus Gisdol sitzt im Presseraum des HSV und schwelgt einen Augenblick in Erinnerungen. „Es ist gut, wenn man in diesem wichtigen Moment positive Erinnerungen abrufen kann.“ Gisdol ist seit fünfeinhalb Wochen Trainer des HSV, und die Situation bei seinem neuen Verein ist ähnlich aussichtslos wie die Lage in Hoffenheim damals. Nun sind zwar erst neun Spieltage gespielt, doch die Hamburger liegen bereits abgeschlagen auf Platz 18. Zwei Tore und zwei Punkte – die Bilanz eines Absteigers. Gisdol, gekommen um den HSV zu entwickeln, hat nur noch einen Auftrag: Retten.

Grauer Alltag in Hamburg hat Gisdol erreicht

Am Sonnabend geht es für Gisdol wieder gegen den BVB. Für den statistisch bislang erfolglostesten HSV-Trainer der Geschichte (ein Punkt in vier Spielen) ist das Treffen mit dem BVB auch eine Begegnung mit dem größten Erfolg seiner Trainerkarriere. „Gisdol, der Retter“. So feierte ihn der Kraichgau vor drei Jahren. Jetzt muss der 47-Jährige diese Geschichte auch in Hamburg wiederholen. Aber kann ein Trainer, der als Entwickler geholt wurde, plötzlich Retter sein? „Man kann beide Aufgaben miteinander verbinden“, sagte Gisdol am Donnerstag. „Angesichts der Lage geht es jetzt aber erst einmal darum, Stabilität zu bekommen.“

Keine zwei Monate ist es her, dass der Trainer beim HSV mit großem Optimismus an seine Aufgabe gegangen ist. Der Club sei ein Brett. Ein geiler Verein, sagte Gisdol bei seinem Amtsantritt am 26. September. Vier Spiele, null Tore und einen Punkt später hat auch den Berufsoptimisten aus Geislingen der graue Alltag in Hamburg erreicht. „Ich bin kein Roboter. Mich trifft so etwas natürlich auch“, sagte Gisdol zwei Tage vor dem BVB-Spiel.

Gisdol redet wie sein Vorgänger Labbadia

Der Trainer hat erkannt, dass er aktuell keine großen Leistungssprünge erreichen kann. „Wir müssen jede Woche neue Stabilität suchen und zunächst mal kleine Schritte akzeptieren.“ Der Weg der kleinen Schritte, Stabilität finden – es sind die Worte, die Bruno Labbadia noch vor wenigen Wochen wählte, um für seinen Weg zu werben. Doch dem Retter von 2015 traute man beim HSV nicht mehr zu, der Entwickler von 2016 zu sein. Also kam der Entwickler Gisdol, der nun Retter sein muss. Und die Hoffnung in Hamburg ruht auch darauf, dass es Gisdol schon einmal geschafft hat. Vor drei Jahren, in Hoffenheim.

„Markus Gisdol hat das damals sehr gut gemacht“, erinnert sich ein Spieler, der 2013 eine entscheidende Rolle spielte: Sven Schipplock. „Der Trainer hat es geschafft, den Druck komplett von der Mannschaft wegzunehmen“, sagt der derzeit vom HSV an Darmstadt 98 verliehene Stürmer im Gespräch mit dem Abendblatt. Schipp­lock hatte mit zwei Treffern und vier Vorlagen in den letzten sechs Spielen großen Anteil an dem kleinen Wunder.

Hoffnung auf Dortmund als Lieblingsgegner

Doch Hoffenheim ist eben nicht der HSV. Das kann auch Schipplock bestätigen. „Ich habe den Druck und die Erwartungshaltung hier am eigenen Leib erfahren. Das kann man nicht vergleichen. Ich habe das auch unterschätzt“, sagt Schipplock. Seinem früheren Trainer Gisdol traut der Stürmer zu, die Kurve zu kriegen. „Er strahlt sehr viel positive Energie aus und kann den Spaß am Fußball vermitteln.“

Und Gisdol? Der hofft an diesem Sonnabend auf den Gegner seiner liebsten Erinnerung: Dortmund. „Dem HSV ist es gegen den BVB oft gelungen, sich zu befreien“, sagt Gisdol. Und denkt wieder für einen Moment wieder an den 18. Mai 2013. Als er zeigte, dass er auch ein Retter sein kann.