Hamburg. Wie der HSV-Trainer die Mannschaft besser machen will und weshalb das viele Geld seine Arbeit behindert. Zehn Thesen, zehn Antworten.
Falls es jemand noch nicht wissen sollte: Bruno Labbadia ist fußballverrückt. Am Freitag reiste der Trainer des HSV mit dem Team nach Cuxhaven, am Sonntag steht in Wismar das letzte Spiel der kleinen Freundschaftsspieltour an. Und dazwischen? Gönnt sich der 50-Jährge gemeinsam mit seinem Trainerteam das Pokalfinale in Berlin zwischen den Bayern und Dortmund.
An Urlaub ist für den Trainer noch nicht zu denken – die Personalplanungen laufen auf Hochtouren. Zwischen allen Terminen nahm sich Labbadia jedoch eine Stunde Zeit, um sich vom Abendblatt mit einigen – provokanten – Thesen konfrontieren zu lassen.
These 1: Der Trainer ist beim HSV ehrgeiziger als viele seiner Spieler.
Labbadia: „Nein. Jeden Spieler zeichnet doch etwas anderes aus, und er hat sein ganz eigenes Profil. Ein leidenschaftlicher Mensch ist schneller gekränkt, verletzbarer, diese Eigenschaft hilft in gewissen Phasen wenig. Ein tendenziell ruhiger Typ reagiert vielleicht abgezockter. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass es nichts bringt, alle über einen Kamm scheren zu wollen oder zu versuchen, auf andere zu projizieren, was zum Beispiel mich charakterisiert. Wenn die Mischung stimmt, kann ein Spieler mit einer bestimmten Stärke die Schwäche des Nebenmanns ausgleichen.
Meine Pflicht als Trainer ist es herauszufinden, wie die Spieler ticken. Der größte Antrieb steckt in den Menschen selbst – aber er findet sich nicht bei allen Fußballern an der gleichen Stelle. Was wir brauchen ist ein Richtungswechsel: Mehr Lust auf Siege als die Angst vor dem Verlieren. Und wenn wir gewinnen: Nicht ausruhen, sondern gierig bleiben! Wir müssen lernen, selbstverständlicher die Spiele zu gewinnen. Im Moment müssen wir für unsere Siege noch einen wahnsinnigen Kraftakt hinlegen.“
These 2: Bruno Labbadia wird in diesem Winter seinen Vertrag wieder nur für ein Jahr verlängern, aber zugleich der HSV-Trainer mit der längsten Amtsdauer nach Thomas Doll werden!
Labbadia: „Ich kann Ihnen nur bestätigen, dass ich es gerne wäre. Aber wissen Sie, was in den kommenden Monaten passiert? Ich nicht, da bin ich realistischer als früher. Trotz meines Vertrags mit der kurzen Laufzeit plane ich so, als ob ich die nächsten zehn Jahre beim HSV bliebe – mit dem Bewusstsein, dass womöglich ein anderer Trainer die Früchte der Arbeit erntet. Die kurze Laufzeit meines Vertrags steht für meine besondere Beziehung zum HSV. So muss der Club im Fall der Fälle keine hohe Abfindung zahlen. Für mich persönlich bedeutet es, dass ich komplett frei in meinen Entscheidungen bin. Es mag paradox für Sie klingen, aber diese Kurzfristigkeit lässt mich mittelfristig denken.
Ich werde häufig nach meiner Zielsetzung mit dem HSV gefragt. Ich will einmal im Guten mit dem Verein auseinandergehen, das ist mir wirklich wichtig. Ich will die HSV-Tür hinter mir zuziehen und sagen: War ein geiler Job. Aber Sie können sich sicher sein, dass ich mit dem HSV durchaus noch andere Ziele habe...“ (lacht)
These 3: Das hohe Einkommen der Spieler behindert die Arbeit des Trainers.
Labbadia: „Diese These würde ich unterschreiben. Das viele Geld im Fußball behindert das Wachsen, eine normale Persönlichkeitsentwicklung der Spieler ist fast unmöglich. Es geht von Null auf ein, zwei Millionen. So etwas ist vergleichbar mit einem Sänger, der den Eurovision Song Contest gewinnt und über Nacht berühmt wird. Solch ein schneller Aufstieg kann zum Stillstand verleiten, zum Ausruhen.
Seien wir ehrlich: Wer würde sich mit 22 Jahren und dem Verdienst als Junge nicht ein cooles Auto gönnen? Ich schon. Ich erinnere mich, wie ich mir durch einen Ferienjob meinen ersten VW Käfer leisten konnte, der hatte nicht mal einen Tankdeckel und kostete 500 Mark. Dann mit dem ersten besseren Vertrag gönnte ich mir ein Ford Escort Cabrio...
Was ich als Trainer tun kann, ist das Bewusstsein der Spieler zu schärfen, warum sie sich viele Dinge leisten können: Das liegt am Fußball. Ich kann ihnen Beispiele aufzeigen: Seht, da sind Spieler, die haben weit mehr erreicht und sind immer noch nicht satt. Wenn ein Spieler meinen Rat hören will, mahne ich, an die Zukunft zu denken. So viel Geld wird man nach der Karriere wohl kaum noch verdienen.“
These 4: In Hamburg werden die Spieler nicht besser!
Labbadia: „Was die vergangenen Jahre betrifft, so kann ich die These kaum widerlegen. Aber jetzt können wir beispielsweise sagen: Nicolai Müller hat sein bestes Jahr hingelegt. Das ist aber ein Thema, bei dem wir alle in der Gesamtheit gefordert sind.
Ein häufig auftretender Fehler beim HSV war in der Vergangenheit ein Denkmuster: Ich trage jetzt das HSV-Trikot, also bin ich automatisch ein Stück besser als ein Profi aus Darmstadt, Ingolstadt oder Augsburg. Das funktioniert so nicht! Das Stadion, die super Fans, die wunderschöne Stadt, all diese im Grunde positiven Dinge können sich auch ganz schnell als Nachteil entpuppen, als Hemmschuh für die positive Entwicklung der Spieler.
Die Kunst in sportlicher Hinsicht wird es sein, die Geschlossenheit und Bereitschaft, für das Team zu arbeiten, beizubehalten und andere Bereiche weiterzuentwickeln. Das ist uns in dieser Saison nicht zu hundert Prozent gelungen, so gefestigt waren wir noch nicht. Ein Beispiel: In der Rückrunde haben wir uns zwar mehr Torchancen erarbeitet, was aber zu Lasten der Defensive ging.“
These 5: Der HSV-Kader war und ist nicht ausgewogen besetzt.
Labbadia: „Stimmt. Leider. Und ist das Ergebnis der vergangenen Jahre. Wenn Personen und Philosophien häufig wechseln, führt dies schnell zu einem Wirrwarr. Umgekehrt führt Kontinuität dazu, dass du im Verein einen systematischen Aufbau betreiben kannst. Du kennt deine Spieler, die Stärken und Schwächen und versuchst, die richtigen neuen Spieler dazuzuholen.
Mir kommt in der Wahrnehmung ein wenig zu kurz, dass wir im vergangenen Jahr etliche etablierte Spieler weggegeben haben, Stammkräfte. Das ist dieses Jahr nicht anders. Leute abzugeben heißt aber nicht, automatisch besser zu werden. Der Markt hat sich verändert, es ist wahnsinnig teuer, Spieler mit Qualität zu verpflichten. Wir wollen versuchen, den Kader homogener zu machen.“
These 6: Wenn beim HSV ein Talent durchstartet, wird es bald woanders spielen!
Labbadia: „Das gehört zum Fußball dazu, es sei denn, du heißt Bayern München. Das ist der einzige Club in Deutschland, der niemanden verkaufen muss. Selbst Borussia Dortmund wurden in den vergangenen Jahren die besten Spieler weggenommen.
Wenn ein Fußballer zu uns wechselt und den HSV als Zwischenschritt für eine Top-Karriere einstuft, habe ich damit kein Problem. Ein guter Transfer gibt uns dann die Möglichkeit, mit dem Erlös zwei, drei gute Spieler zu verpflichten.“
These 7: 50 Millionen Euro reichen nicht, um oben anzugreifen!
Labbadia: „Das liegt auf der Hand. Diese Woche frage mich ein Fan vor einem Freundschaftsspiel: Werde ich es noch mal erleben, dass wir Bayern München schlagen? Klar ist, dass es immer schwerer wird. Schauen Sie sich bloß mal an, welche Transfers die Bayern in den vergangenen Jahren getätigt haben, angefangen bei Javi Martínez. Die Kluft zu den Top sechs, sieben Mannschaften ist enorm gewachsen. Diese Vereine investieren gnadenlos, um ihren Status zu erhalten. Der HSV wiederum ist genau in dem Moment, als die Einnahmemöglichkeiten nach oben geschossen sind, von der Welle abgesprungen und untergetaucht. Jetzt haben wir langsam wieder die Nase über dem Wasser und müssen sehen, wie wir wieder auf die Welle kommen. Stadion, Zuschauer, Stadt, all das ist top, aber wir spielen eben nicht international und sind deshalb noch nicht die hübscheste Braut für Spieler.“
These 8: Der Überraschungsspieler der kommenden Saison wird Michael Gregoritsch!
Labbadia: „Wenn Sie mit der These darauf abzielen, dass wir zuletzt häufiger separat gearbeitet haben – ich habe es mir tatsächlich als Ziel gesetzt, noch mehr mit den Spielern individuell zu arbeiten. Er hat das Potenzial, diese Meinung teile ich. An ihm alleine wird es aber liegen, ob ihm der nächste Schritt gelingt.“
These 9: Der HSV hat Christian Mathenia nicht als klassische Nummer zwei verpflichtet!
Labbadia: „Wir holen nie einen Spieler als Nummer zwei. Jeder soll im übertragenen Sinne die Nummer eins werden können. Selbst bei jungen Talenten habe ich den Wunsch: Hoffentlich schießt der nach oben und verdrängt einen Etablierten. Wir wollen den internen Konkurrenzkampf fördern, um uns zu verbessern. Das war auch ein Problem in der Winterpause. Umso mehr gute Spieler wir im Kader haben, desto besser wird der Einzelne.“
These 10: Ich drücke im Pokalfinale den Dortmundern die Daumen, weil mich die Bayern-Dominanz langweilt!
Labbadia: „Tut mir leid, aber beim Endspiel sitze ich als Fan auf der Tribüne. Ich genieße es sogar richtig, neutral zu sein und nicht mit einer Mannschaft mitfiebern zu müssen.“