Hamburg. Die HSV-Mannschaft lebte von ihrer Geschlossenheit. Die individuellen Bewertungen fallen aber sehr verschieden aus.
Bruno Labbadia ist urlaubsreif. Fast ein Jahr nach der dramatischen Rettung in der Relegation liegt hinter dem HSV-Trainer eine vergleichsweise ruhige, aber keinesfalls entspannte und sorgenfreie Saison. „Ich will und muss mich ein paar Tage rausnehmen“, sagte Labbadia am Montag. Noch ist es aber nicht so weit. Während die Nationalspieler auf Reisen gehen, lässt der Rest des Teams die Saison mit einigen Testspielen ausklingen. Zumindest die Relegationstermine kann das Team in diesem Jahr anders gestalten. Zeit, ein Zeugnis auszustellen.
TORHÜTER
René Adler (24 Spiele/0 Tore): Machte einige Male deutlich, warum er einst Deutschlands Nummer eins war. Machte mit drei Zwangspausen aber ebenso deutlich, warum der HSV weiterhin eine starke Nummer zwei braucht.
Jaroslav Drobny (10/0): Machte als starke Nummer zwei deutlich, dass er eine echte Eins ist. Sein Abgang zum Abschied war dann aber eine glatte Sechs.
Andreas Hirzel (1/0): So plötzlich, wie er als Nummer drei zum HSV kam, so plötzlich war er beim Spiel in Köln die Eins. Deutete dabei an, dass er eine starke Nummer zwei werden kann.
Tom Mickel (1/0): Wohl dem, der so eine starke Nummer vier hat. Sein Auftritt in Augsburg verdiente die Note „Zwei“.
ABWEHR
Gotoku Sakai (22/0): Das 700.000-Euro-Schnäppchen aus Stuttgart schnappte sich nach schwerem Start einen Stammplatz und bereicherte das oft spröde HSV-Spiel mit geschmeidigen Offensivaktionen.
Dennis Diekmeier (22/0): Erlebte innerhalb eines Jahres seine wohl stärkste und schwerste Zeit in Hamburg. Zumindest machte er alles richtig, als er zum Zeitpunkt der guten Phase seinen neuen Vertrag bis 2018 unterschrieb.
Johan Djourou (26/2): In der Rolle als Kapitän spielte er zunächst seine beste Halbserie als HSV-Profi. Eine Virusinfektion als Folge des Pfeifferschen Drüsenfiebers schwächte ihn im Jahr 2016.
Emir Spahic (26/0): Obwohl der Verteidiger mit seinen fast 36 Jahren, seinen Entgleisungen und seiner begrenzten Zukunftsperspektive so gar nicht in das neue Unternehmensleitbild passt, empfahl sich der Bosnier als Führungsfigur für eine Vertragsverlängerung.
Cléber Reis (23/1): Wenn der Brachialbrasilianer mit den krummen Beinen ein bisschen besser mit dem Ball umgehen könnte, wäre er mehr als nur die zuverlässige Nummer drei in der Innenverteidigung.
Matthias Ostrzolek (32/0): Zwei Assists durch Flanken belegen, dass er tatsächlich flanken kann. Warum er es in Hamburg auch im zweiten Jahr so selten tat, bleibt sein persönliches Geheimnis.
DEFENSIVES MITTELFELD
Gideon Jung (19/0): Wie gut, dass er sich gegen eine Karriere bei der Polizei und für den Profifußball entschieden hat. Spielt schlicht und bescheiden. Jetzt muss er nur seine ständigen Rückenprobleme in den Griff bekommen.
Gojko Kacar (19/1): Nach sechs Jahren HSV bleibt aus seiner letzten Hamburger Saison bis auf seine regelmäßigen Treffen mit Rehatrainer Sebastian Capel nur wenig in Erinnerung.
Albin Ekdal (14/0): Sein nächtlicher Sturz in einen Disco-Glastisch war das schmerzhafte Ende einer völlig verunglückten Saison. Wenn er gesund war, was selten vorkam, erwies sich der 4,5-Millionen-Zugang als wertvolle Investition in die Zukunft. Bei der EM in Frankreich könnte der Schwede seinen Marktwert nun kräftig steigern.
Lewis Holtby (34/3): „Ich will Spaß, ich geb Gas“ wäre der Song für den Kabinen-DJ. Der hyperaktive, stets gut aufgelegte Dauerrenner war ein echter Dauerbrenner. Als einziger HSV-Profi machte er alle Spiele von Beginn an. In der Rückrunde hätte er sich aber nicht beschweren dürfen, wenn seine Platte auch mal eine Pause bekommen hätte.
Marcelo Díaz (11/0): Der Relegationsheld verabschiedete sich nach einer für ihn enttäuschenden Hinrunde zu Celta Vigo, behält aber für immer einen fesen Platz in der HSV-Historie.
Ahmet Arslan (1/0): Was gibt es Schöneres, als beim Derbysieg in Bremen sein Bundesligadebüt zu feiern? Es sollte die einzige Feier bei den Profis bleiben. Die Amateure rettete er im Alleingang.
OFFENSIVES MITTELFELD
Nicolai Müller (29/9): Obwohl in Hamburg laut Telefonbuch 999 Müllers leben, war es tatsächlich derselbe Müller, der eine Verwandlung vom Fehleinkauf zum Unverzichtbaren durchlebte. Mit neun Toren und fünf Vorlagen war der 28-Jährige der Garant dafür, dass der HSV nach dem 33. Spieltag in den Sommermodus umschalten konnte.
Zoltan Stieber (2/0): Viele fragten sich in der Hinrunde, warum Stieber keine Chance bekommt? Die Antwort gab der Ungar in der Rückrunde selbst, als er selbst in der Zweiten Liga als Leihgabe beim 1. FC Nürnberg keine Rolle spielte. Darf wohl dennoch mit zur EM.
Ivo Ilicevic (31/4): Die größte Überraschung war die Zahl seiner Einsätze. Aber auch seine vier Tore und drei Vorlagen sehen nicht schlecht aus. Da der Kroate den Rest seiner vielen Torschüsse mit einer mathematisch kaum messbaren Streuung abfeuerte, brachte er sich selbst um eine zufriedenstellende Bilanz. Nach fünf Jahren Hamburg verabschiedet er sich zumindest mit dem vielleicht schönsten Tor der HSV-Saison, dem 1:0 beim Sieg in Bremen. Vielleicht sogar Richtung Werder?
Nabil Bahoui (6/0): Als der HSV im Winter in der letzten Minute der Transferperiode den Wechsel des Schweden vom saudi-arabischen Club Al-Ahli Dschidda verkündete, mussten die meisten seinen Namen erst einmal googeln. Damit auch alle seinen Nachnamen in Zukunft fehlerfrei schreiben können, sollte der achtmalige Nationalspieler ein paar mehr sportliche Schlagzeilen produzieren. Um die Laufwege in Labbadias System zu lernen, hat Bahoui nun genug Zeit gehabt.
Michael Gregoritsch (25/5): Der abschlussfreudige Österreicher war immer dann am stärksten, wenn er sich im Zentrum in der Nähe des Tores aufhalten durfte. Lässt Labbadia ihn dort auch in der kommenden Saison ran, könnte der Lange ein Großer werden.
Aaron Hunt (21/2): Der Spielmacher fehlte an 99 Tagen aufgrund von elf unterschiedlichen Ursachen. Und da ist die überstrapazierte Begründung der Belastungssteuerung gar nicht enthalten. Der HSV kann nur hoffen, dass mit den gerade entfernten Mandeln nun auch seine Fehlzeiten verschwinden.
ANGRIFF
Josip Drmic (6/1): Dass die Leihgabe aus Mönchengladbach nach nur sechs Spielen wegen einer Knieverletzung frühzeitig die Saison beenden musste, ist dem HSV nicht anzulasten. Dass der HSV im Winter überhaupt darüber nachdenken musste, einen sechsten Mittelstürmer zu holen, sagt viel über die verfehlte Kaderplanung aus.
Ivica Olic (9/0): In ein paar Jahren werden HSV-Fans sich beim Namen Olic im besten Fall nur noch an seine erste Zeit beim HSV erinnern. Sein letztes Jahr beim HSV würde der Publikumsliebling wohl selbst am liebsten aus seinem Gedächtnis löschen.
Artjoms Rudnevs (11/2): Der Lette sorgte in seinem letzten Vertragsjahr ungewollt für zahlreiche Geschichten. Private Probleme, Regionalligaeinsätze, Überraschungscomeback, gefeierter Bundesligatorschütze. Und schließlich erlitt er noch einen mysteriösen „Spannungsabfall“ (Labbadia). Das Kapitel HSV ist für „Rudi“ nun beendet.
Sven Schipplock (20/0): Frank Ordenewitz hat es 1995 einmal geschafft, als Mittelstürmer beim HSV in 15 Spielen kein Tor zu schießen. Dass Schipplock diese Quote nun deutlich übertreffen sollte, hätte wohl auch Ordenewitz damals nicht mehr für möglich gehalten.
Pierre-Michel Lasogga (30/8): Aus einigen Szenen und den acht Toren des eigens getauften Supermans könnte man ein hübsches Best-of-Video schneiden. Da der Torjäger aber in 24 Spielen leer ausging, denkt der HSV darüber nach, den 24-Jährigen bei einem angemessenen Angebot gehen zu lassen.
Batuhan Altintas (1/0): Fast zwei Jahre musste der 20-Jährige auf einen Pflichtspieleinsatz warten. Seine Einwechslung in Augsburg könnte sein erstes und vorerst letztes HSV-Spiel gewesen sein. Das türkische Sturmtalent soll verliehen werden.