Frankfurt/Main. Frankfurts Boss Bruchhagen spricht vor dem Spiel gegen seinen Ex-Verein über alte Zeiten und die schwere Zukunft der Traditionsclubs.

Das Vorstandszimmer der Eintracht Frankfurt Fußball AG ist nicht sonderlich groß, dafür ist der Blick ins Innere der Commerzbank-Arena umso imposanter. Wer es betritt, bemerkt sofort, dass es hier regelmäßig qualmt, was auch, aber nicht nur an Heribert Bruchhagens jugendlichem Temperament liegt.

Am Ende der Saison räumt der 67-Jährige, der 1992 bis 1994 als Manager für den HSV arbeitete, seinen Stuhl und zieht sich zurück nach Harsewinkel (Nordrhein-Westfalen), wo er einst seine Spielerkarriere begann. Höchste Zeit also vor dem Spiel des HSV in Frankfurt (20.30 Uhr) für ein Gespräch über alte und künftige Fußballzeiten.

Hamburger Abendblatt: Herr Bruchhagen ...

Heribert Bruchhagen: ... wissen Sie, dass das Abendblatt eine entscheidende Rolle bei meiner Entlassung als HSV-Manager gespielt hat?

Nein. Helfen Sie.

Bruchhagen: Ich habe Ihren Kollegen damals ein Interview gegeben, als der Nachfolger für Jürgen Hunke gesucht wurde. Sinngemäß habe ich gesagt, dass es ja nicht sein kann, dass Ronny Wulff als Fanclub-Vorsitzender von Bergedorf HSV-Präsident wird.

Oh, ja. Offensichtlich hatten Sie auf andere Kandidaten gesetzt ...

Bruchhagen: ... die sich aber damals nicht dem Votum einer Mitgliederversammlung stellen wollten. Als ich im Dezember 1994 gefeuert wurde, stand der HSV auf Platz vier. Da vermuten ja alle, du hättest Geld gestohlen.

Es blieb der einzige Rauswurf Ihrer Karriere. Schmerzt er noch?

Bruchhagen: Ach nein, das ist lange her.

Gab es jemals Gedanken an eine Rückkehr zum HSV?

Bruchhagen: In den Monaten vor Dietmar Beiersdorfers Rückkehr gab es eine Anfrage des Aufsichtsratsvorsitzenden zu einem Gespräch. Das habe ich aber sofort abgelehnt.

Beiersdorfer mussten Sie damals nach Bremen verkaufen ...

Bruchhagen: ... um die Lizenzierung zu sichern, für zwei Millionen Mark. Didi ist charakterlich einwandfrei, glaubwürdig und ehrlich.

Das klingt nach einem Aber. Führt er die Geschäfte zu zurückhaltend, müsste er gerade medial aggressiver sein?

Bruchhagen: Um sich zu zeigen. Es ist doch so, dass die 12.000 Stehplatzfans aus deiner Medienpräsenz am Ende Kompetenz ableiten. Natürlich ist solch ein Denken naiv, aber es ist so. Bist du nicht in den Medien, halten sie dich nicht für kompetent.

Sie sind immer noch HSV-Mitglied. Finden Sie es gut, dass der Club seine Anteile stückchenweise verkauft?

Bruchhagen: Das bessere Konstrukt wären drei strategische Partner wie Beiersdorf, Signal Iduna oder Kühne und Nagel als Unternehmen. Aber das ist ja kein Wunschkonzert. Sie sind ja ein Getriebener als Vorstand, und der HSV braucht offensichtlich aus Liquiditätsgründen frisches Geld.

Die schwierige finanzielle Lage des HSV ist ja bekannt. Wie sieht es bei Eintracht Frankfurt aus?

Bruchhagen: Unser Umsatz wird am Ende dieser Saison bei 103 Millionen Euro liegen, unser Eigenkapital beträgt 8,8 Millionen Euro, bei Bankverbindlichkeiten von null Euro. Fällt unser Eigenkapital auf unter 5,5 Millionen Euro, muss ich sofort eine Aktionärsversammlung einberufen.

Als sich in der Saison 2010/11 Gladbach gerade noch retten konnte und Sie mit der Eintracht 2011 abgestiegen sind ...

Bruchhagen: ... ich weiß schon, was Sie jetzt sagen wollen. Natürlich ist das ambivalent. Dank unseres Eigenkapitals konnten wir die Mannschaft halten und sind sofort wieder aufgestiegen. Sie könnten mir auch sagen: Hätten Sie das Geld mal vorher investiert, dann wäre der Worst Case vielleicht nicht eingetreten. Aber das ist alles hypothetisch.

Dann schauen wir lieber auf die Gegenwart. In der Tabelle belegt die Eintracht Platz 15. Auch der HSV kämpft um einen Mittelfeldplatz. Wie müssen Traditionsclubs wie der HSV oder die Eintracht auf den wachsenden Konkurrenzkampf reagieren?

Bruchhagen: Das ist so was wie mein Vermächtnis, was aber nur Ärger mit sich bringt. Beim Erstellen des Markenbildes wird es ganz wichtig sein, die Zuschauer und begleitenden Journalisten im Hinblick auf die Realitäten in der Bundesliga aufzuklären.

Sie meinen, es läuft auf permanenten Abstiegskampf hinaus?

Bruchhagen: 1989, zu meiner Zeit bei Schalke 04, bekamen alle Clubs das gleiche Fernsehgeld. Eine Million Mark! Heute geht die Schere immer weiter auseinander, nicht nur national, sondern auch bei den internationalen TV-Geldern. Traditionsvereine wie der HSV, die Eintracht, Hannover, Bremen, Köln, Stuttgart oder Hertha werden sich daran gewöhnen müssen, sich immer „below the line“ zu bewegen, um die Plätze fünf bis 18 zu spielen.

Gladbach hat es auch geschafft.

Bruchhagen: Ja, und Hertha BSC ist jetzt Dritter, vielleicht werden sie am Ende Fünfter. Dann heben sie die Lohnkosten, stellen sich auf internationalen Fußball ein. Und wenn der Erfolg ausbleibt ... Die Platzhirsche werden immer Bayern, Dortmund, Schalke und Leverkusen sein.

Wie wollen Sie das Mittelmaß den Fans der Traditionsclubs verkaufen?

Bruchhagen: Das ist genau der Punkt: Das will nämlich niemand hören. Als Vorstand müssen Sie immer Visionen entwerfen, um Sponsoren und das Umfeld zu motivieren. Wir leben in einer Gesellschaft, in der du nicht mehr verlieren darfst. Wenn die Menschen schon im Berufs- und Familienleben mit der harten Realität konfrontiert werden, möchten sie wenigstens am Sonnabendnachmittag ein wenig hoffnungsvolle Fantasie.

Müssen Clubs wie die Eintracht oder der HSV nicht viel mehr Wert auf das Scouting legen?

Bruchhagen: Zum Thema Scouting kann nur jeder Verein seine eigene Philosophie und Notwendigkeit entwickeln.

Sie weichen aus.

Bruchhagen: In keinem Bereich gibt es solch eine Differenz zwischen der Bewertung des Scoutings in der Öffentlichkeit und der Realität in der Bundesliga.

Ist es naiv, eine Liste mit potenziellen Kandidaten zu erstellen und bei Bedarf einen Berater zu kontaktieren?

Bruchhagen: Die Realität sieht doch so aus, dass die Vorstände ein Netzwerk mit zehn, zwölf Beratern betreiben, denen sie vertrauen. Die kommen dann zu Besuch, um über einen unter Vertrag stehenden Spieler zu sprechen, und sagen dann: Ich hätte da noch den einen oder anderen Spieler im Angebot. Dann setzt das Scouting ein.

Wie bewerten Sie die drastisch gestiegenen Gehälter?

Bruchhagen: Als ich beim HSV als Manager arbeitete, war Thomas von Heesen mit 30.000 Mark der Topverdiener. Heute liegt die Grenze im Millionenbereich.

Wo ist für Sie denn eine Grenze bei den Gehältern erreicht?

Bruchhagen: Soll ich mich beklagen? Das wäre pharisäerhaft. Ich habe damals beim HSV 20.000 Mark verdient als Manager und habe das als sehr viel Geld empfunden. Aber ich bin genauso mitgewachsen. Natürlich ist es ungewöhnlich. Was geht in einem 20-Jährigen vor, der plötzlich eine Million Euro verdient und womöglich aus einfachen Verhältnissen kommt? Wie ist er auf solch einen Sachverhalt vorbereitet?

Wo so viel Geld im Umlauf ist, gibt es auch Gelüste. Halten Sie Skandale wie zuletzt bei den Verbänden auch in der Bundesliga für möglich?

Bruchhagen: Nach meiner Einschätzung sind die Vereine sehr professionell aufgestellt. Das Installieren von Aufsichtsräten hat zu klaren Kontrollmechanismen geführt. Und bei Beratern, wenn Sie darauf anspielen, fahre ich eine klare Linie. Die bekommen zehn Prozent vom Grundgehalt. Punkt.

Wenn man Ihnen so zuhört, drängt sich die Frage auf: Können Sie überhaupt ohne Fußball leben?

Bruchhagen: Das sagt meine Frau auch. Meine Entscheidung ist lange gereift. Wenn ich am Freitag vor einem Spieltag in den Mannschaftsbus steige und dort immer jüngere Spieler sitzen, mit denen ich nicht mehr so viel anfangen kann, fragst du dich schon manchmal: Ist das noch meine Welt?

Also doch fußballmüde.

Bruchhagen: Nein. Es sind eher die sich vom Fußballspiel entfernenden Tätigkeiten. Du musst zu Theaterpremieren, zur Handelskammer, sollst Marketingentscheidungen treffen. Manchmal überlege ich, ob es richtig war, den Schritt vom Manager zum Vorstandsvorsitzenden gegangen zu sein.

Heribert Bruchhagen zusammen mit Thomas Doll, der 1991 nach Rom gewechselt war
Heribert Bruchhagen zusammen mit Thomas Doll, der 1991 nach Rom gewechselt war © Witters