Hamburg. Der HSV hat den gleichen Abstand zum Relegationsplatz und so wenig Punkte wie vor einem Jahr. Aber besorgt ist keiner.
Viel grauer hätte der Himmel über dem Volkspark am Donnerstagvormittag kaum sein können. Es regnete. Und es regnete. Und es regnete. „Wann ist diese Jahreszeit endlich vorbei?“, fragte der Brasilianer Cléber, als er sich nach knapp anderthalb Stunden im Hamburger Schmuddelwetter auf den Weg in die warme Kabine machte. Und selbst Co-Trainer Eddy Sözer, die personifizierte gute Laune, hatte genug vom Hamburger Februar. „Irgendwann“, sagte der gebürtige Türke, „muss doch mal diese verdammte Sonne wieder herauskommen.“
Irgendwann. Irgendwie. Darauf setzt man beim HSV auch im übertragenen Sinne. Denn die Sonnenseite des Bundesligaalltags scheint in diesen Tagen ähnlich unerreichbar wie das tatsächliche Sommerwetter. Seit sechs Bundesligapartien warten die Hamburger auf einen Erfolg, seit knapp drei Monaten hofft man vergeblich auf einen Heimsieg. Und nun erwartet der HSV am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) auch noch das Topteam aus Gladbach.
„Wir gehen momentan den Weg der kleinen Schritte“, sagt Trainer Bruno Labbadia. 1:2 gegen die Bayern. Aber gut gespielt. 1:2 in Stuttgart. Sehr schlecht gespielt. Und nun ein 1:1 gegen Köln. Und sehr mittelmäßig gespielt. „Der Punkt hat uns trotzdem gut getan“, sagt der Coach. „Wir müssen uns jedes Erfolgserlebnis hart erarbeiten.“
Labbadia hat Recht. Einerseits. Anderseits ist und bleibt der Fußball nun mal ein Ergebnissport. Und nach 20 Spieltagen stehen nur 23 Punkte auf der Habenseite. Genau wie vor einem Jahr. Vier Pünktchen beträgt der Abstand zum Dauerschreckgespenst Relegation. Auch wie vor einem Jahr. Und tatsächlich scheint nur eines anders als vor einem Jahr: Angst vor dem Absturz hat diesmal kaum jemand. Bleibt nur eine Frage: Warum eigentlich nicht?
„Es bringt uns ja nicht weiter, dauernd in den Rückspiegel zu schauen“, sagt Labbadia, der erfolgreich jedes aufkommende Krisengerede im Keim erstickt. Die Ilicevic-Kopfnuss? „Abgehakt!“ Der formschwache Drmic? „Er wird sich steigern!“ Die vielen angeschlagenen Spieler? „Kein Problem!“ Und das lange Warten auf einen Sieg? „Ich weiß ja, wie wir die 23 Punkte geholt haben“, antwortet Labbadia. „Und ich weiß auch, dass wir mehr Punkte hätten holen können.“
Haben sie aber nicht.
Haben sie auch nicht vor einem Jahr. Und obwohl der HSV damals wie heute immerhin vier Punkte Vorsprung auf einen Relegationsplatz hatte, standen die Zeichen vor zwölf Monaten ganz klar auf Klassenkampf: „Wir sind im Abstiegskampf und haben nicht das nötige Selbstvertrauen, dem Gegner unser Spiel mit ganz viel Ballbesitz aufzudrücken“, sagte nach dem 20. Spieltag vor einem Jahr der Trainer. Der hieß damals nur noch nicht Labbadia, sondern Zinnbauer, Joe Zinnbauer.
Neuzugänge Drmić und Bahoui im ersten HSV-Training
Acht Spieltage später hatte der HSV noch immer keinen weiteren Sieg geholt, dafür aber einen neuen Trainer: Labbadia, Bruno Labbadia.
Vergangenheit. In der Gegenwart bleibt der Fußballlehrer bei seiner Meinung, dass die Situation von damals nicht mit der heutigen zu vergleichen sei. „Natürlich sind wir wachsam. Aber wir sind in einem anderen Zustand als vor einem Jahr“, sagt der Coach.
Den größten Anteil daran hat: er selbst. „Wir schauen nur nach vorne“, sagt der 50-Jährige, der wie kein Zweiter beim HSV das merkelsche Mantra vom „Wir schaffen das“ verinnerlicht zu haben scheint. In seinem Kosmos gibt es kein „ich“, nur ein „wir“ – gleich siebenmal in der ersten Minute der Pressekonferenz am Donnerstag.
Eine Krise? Vielleicht in Hannover. Oder in Hoffenheim. Beide Clubs haben ihren Trainer bereits gewechselt. Doch in Hamburg will niemand davon etwas wissen. Ob der HSV nicht auch wieder mitten im Abstiegskampf sei, fragte vor Kurzem ein Reporter Pierre-Michel Lasogga. „Nein“, antwortete der Stürmer überzeugt. „Wir müssen die Kirche auch mal im Dorf lassen.“
Der Torjäger weiß wie kein Zweiter, dass man eine Krise nur durch eine Portion Selbstbewusstsein überwinden kann. Ähnlich wie im Hier und Jetzt war Lasogga auch vor dem Hinspiel gegen Gladbach nicht unumstritten. In den ersten drei Saisonspielen wurde er nur eingewechselt, gegen die Borussia durfte der Mittelstürmer erstmals von Anfang an ran. Mit Erfolg. Lasogga erzielte zwei Tore, der HSV gewann 3:0 – und niemand sprach mehr von einer Krise. „Auf Regen“, philosophierte Labbadia, „folgt Sonnenschein.“