Belek. Auf dem Platz bedient er die Rolle des oft schimpfenden „Sturmbullen“. Dabei hat der HSV-Angreifer genauso seine sensiblen Seiten.

Am Sonnabend war wieder mal so ein Moment. Ein Lasogga-Moment. Es lief gerade die 59. Minute im Testspiel zwischen dem HSV und Ajax Amsterdam, als der vierte Unparteiische einen Doppelwechsel anzeigte. Artjoms Rudnevs und Sven Schipplock rein, Gotoku Sakai und Pierre-Michel Lasogga raus. Und Lasogga schimpfte. Mit fuchtelnden Armen erklärte der 1,89 Meter große Sturmbulle dem 1,76 Meter kleinen Japaner, wie dieser kurz zuvor einen Ball in die Gasse hätte spielen sollen. Ihn aber nicht gespielt hat. „Heute konnte sich der Pierre nicht wirklich behaupten“, sagte eine halbe Stunde später Trainer Bruno Labbadia, dem der schimpfende Lasogga mehr als der spielende Lasogga aufgefallen war.

Am nächsten Vormittag sitzt Pierre-Michel Lasogga in der Lobby des Fünf-Sterne-Plus-Hotels Sueno Deluxe und macht es sich auf dem Kunstledersofa gemütlich. Er wirkt entspannt. lächelt. Er schimpft nicht – und ist auch nicht beleidigt. „Ich habe doch gar nicht so wirklich gemotzt. Ich habe nur gezeigt, wohin ich den Ball gerne haben wollte“, sagt der 24 Jahre alte Fußballer, den vor gar nicht allzu langer Zeit oft nur eines mehr zu ärgern schien als schlechte Spiele: öffentliche Kritik an schlechten Spielen.

Es war zum Ende der Sommervorbereitung, als Labbadia seinen Torjäger das letzte Mal öffentlich in die Pflicht genommen hatte. Im Test gegen Hessen Kassel hatte er ihn vorzeitig ausgewechselt. „Er war nicht verletzt“, hatte Labbadia damals auf Nachfrage geantwortet. Viel mehr wäre er mit dessen Einstellung nicht zufrieden gewesen.

HSV verliert Testspiel gegen Ajax

Hamburgs Cleber (r.) kann sich nicht gegen Torwart Jasper Cillessen durchsetzen
Hamburgs Cleber (r.) kann sich nicht gegen Torwart Jasper Cillessen durchsetzen © dpa | Thomas Eisenhuth
Johan Djourou (r.) setzt sich gegen Arkadiusz Milik
Johan Djourou (r.) setzt sich gegen Arkadiusz Milik © dpa | Thomas Eisenhuth
Joel Veltman (l.) wird von Pierre-Michel Lasogga gefoult
Joel Veltman (l.) wird von Pierre-Michel Lasogga gefoult © WITTERS | TimGroothuis
Kenny Tete (l.) im Duell mit Ivo Ilicevic
Kenny Tete (l.) im Duell mit Ivo Ilicevic © WITTERS | TimGroothuis
Noch viel zu tun für Trainer Bruno Labbadia und Co-Trainer Eddy Sözer (unten)
Noch viel zu tun für Trainer Bruno Labbadia und Co-Trainer Eddy Sözer (unten) © WITTERS | TimGroothuis
Hamburgs Torwart Rene Adler (l) und Emir Spahic gucken nach dem Gegentor enttäuscht
Hamburgs Torwart Rene Adler (l) und Emir Spahic gucken nach dem Gegentor enttäuscht © dpa | Thomas Eisenhuth
Hamburgs Pierre-Michel Lasogga will einen Elfmeter haben
Hamburgs Pierre-Michel Lasogga will einen Elfmeter haben © dpa | Thomas Eisenhuth
Arek Milik (l-) im Duell mit Cleber
Arek Milik (l-) im Duell mit Cleber © WITTERS | TimGroothuis
Kenny Tete (l.) im Duell mit Aaron Hunt
Kenny Tete (l.) im Duell mit Aaron Hunt © WITTERS | TimGroothuis
Dennis Diekmeier (l.) bei einer Flanke
Dennis Diekmeier (l.) bei einer Flanke © WITTERS | TimGroothuis
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Rumms. Das saß. In den ersten beiden Saisonspielen wechselte der Coach seinen sensiblen Stürmer zunächst nur ein. Und Lasogga? Der reagierte auf seine Art und Weise: Schroff. Mit Schweigen. Und mit Toren. Gegen Stuttgart traf er einmal, gegen Gladbach gleich doppelt. Kritisiert wurde er danach trotzdem. Nicht von Labbadia, sondern von den Medien. Auch vom Abendblatt. Sogar sehr heftig.

Doch wie das manchmal bei Unstimmigkeiten so ist, wusste wenig später niemand mehr so genau, wie sie eigentlich angefangen haben. Das wirklich Besondere: Im Fall von Lasogga wusste bald danach auch niemand mehr, wie sie denn aufgehört haben.

Vier Monate später wirkt der gebürtige Gladbecker nicht wie ein unnahbarer Fußballer: Er ist höflich, locker, sogar ganz witzig. „Ihr stellt Fragen!“, sagt er etwa, als wieder mal so eine „Journalistenfrage“ („Sehen wir gerade den fittesten Lasogga aller Zeiten?“) gestellt wird. Doch Lasogga kann auch Ernst. „Ich habe zwei Gesichter“, erklärt er, als tatsächlich mal einer nachfragt, ob da nicht womöglich ein großer Unterschied zwischen Wirkung und Wirklichkeit sei. Das Fußballmagazin „11Freunde“ beschrieb Lasogga kürzlich als „jungen Mann von spätpubertärer Lulatschhaftigkeit, der noch nicht so recht weiß, wohin mit seiner Kraft.“ Ihm habe der Bericht gefallen, sagt Lasogga. „Ich fand gut, dass mal dargestellt wurde, wie ich wirklich bin.“

Doch wie ist dieser Lasogga? „Privat bin ich ein ganz anderer Mensch als auf dem Platz“, sagt der Mittelstürmer, der in dem von ihm geschätzten „11Freunde“-Bericht nonchalant als „Der letzte Bulle“ betitelt wurde. Abseits des Rasens sei er entspannt, sagt er, ein Familienmensch. „Anders als auf dem Platz bin ich sonst bestimmt kein Draufgänger. Aber die Leute kennen mich halt nicht.“

Die, die Lasogga kennen, lassen nicht viel auf diesen Kerl aus dem Pott kommen. „Pierre ist so ein Typ, den man gerne um sich hat“, sagt Sportchef Peter Knäbel, dem auch gleich das passende Beispiel einfällt. So erinnere er sich gut an das Abschlusstraining vor dem Auswärtsspiel in Ingolstadt. Kreisspiel, immer fünf gegen zwei in wechselnden Konstellationen. „Immer die Gruppe, in der Pierre dabei war, hatte Halligalli“, sagt Knäbel. „Er ist kein Entertainer, aber ein Typ, der in einer Gruppe für gute Laune sorgt.“

Lasogga sitzt immer noch auf seinem Sofa und streicht sich mit den Händen über seinen bunt tätowierten Arm. „Wir haben eine gute Stimmung in der Truppe“, sagt er. Mit „meiner Crew“, mit Nicolai Müller, Aaron Hunt, Lewis Holtby und Matthias Ostrzolek, spiele er beispielsweise gerne „Mario Cart“. Ein Wirtschaftsmagazin-Kunstkenner-Typ ist Lasogga eher nicht. Aber er versucht auch gar nicht erst, wie einer zu wirken.

Der „Hrubesch der Gegenwart“ geht den direkten Weg. Auf und abseits des Platzes. Im Strafraum geht Lasogga mit dem Kopf dahin, wo andere nicht mal mit dem Fuß hingehen würden. Eine echte Nummer neun, die es so nicht mehr häufig in Deutschland gibt. Auch deswegen meinen manche, dass ein Lasogga in Topform vielleicht sogar zu Größerem bestimmt sei. Nationalmannschaft. Die EM. Man kann ja mal träumen. „Von klein auf war es immer mein Traum, in der Nationalmannschaft dabei zu sein“, beantwortet Lasogga auch diese Frage direkt. Kein „hätte“, „könnte“, „vielleicht“. Und: Auch kein Größenwahn. „Gasgeben, gesund bleiben, dann wird man gucken“, sagt er. „Einen zu großen Kopf mache ich mir um all das nicht.“

Braucht er auch nicht. Auch nicht über die Anzahl von Toren, die er in der Rückrunde schießen will. „Keine Ahnung“, sagt er. „Für den einen oder anderen Moment bin ich noch gut.“