Hamburg. Den VfL Wolfsburg und den Hamburger SV trennen nur vier Punkte. Warum die Niedersachsen dennoch in einer anderen Liga spielen.

Eine kleine Spielform, ein paar Standardübungen, dann ging es für die Mannschaft des HSV am Freitagnachmittag direkt in den Bus. Ziel der zweieinhalbstündigen Reise: Wolfsburg. Dort bestreitet das Team von Trainer Bruno Labbadia an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) sein letztes Auswärtsspiel in diesem Kalenderjahr.

Für Labbadia und den HSV ist die Fahrt zum VfL eine Zeitreise in die stärkste sportliche Phase der jüngeren Vereinsgeschichte. Im August 2009 machten die Hamburger in der Volkswagen-Arena eines der besten Spiele der vergangenen zehn Jahre. Durch einen spektakulären 4:2-Sieg beim damaligen amtierenden Deutschen Meister setzte sich der HSV am dritten Spieltag vorübergehend an die Spitze der Bundesliga. Trainer der Hamburger damals wie heute: Bruno Labbadia.

Der HSV bleibt gegen Wolfsburg vorerst Außenseiter

Bemüht man eine ausgewählte Statistik, kommt es an diesem Sonnabend in Wolfsburg erneut zu einem Spitzenspiel. Schließlich trifft die drittbeste Heimmannschaft der Liga auf das drittbeste Auswärtsteam. „Das ist Champions-League-Niveau“, stellte Labbadia vor dem Spiel augenzwinkernd fest. Vier Punkte trennen den VfL (25) in der Tabelle vom HSV (21). Realistisch betrachtet liegen zwischen beiden Vereinen derzeit aber Welten. „Der Unterschied ist, dass Wolfsburg Champions League spielt und wir davon ganz, ganz weit entfernt sind“, sagte Labbadia, diesmal ohne Augenzwinkern.

Um den Unterschied der Clubs in Zahlen zu verdeutlichen, eignet sich ein Blick auf die Mannschaftswerte. Laut transfermarkt.de hat Pokalsieger Wolfsburg einen Gesamtmarktwert von 193 Millionen Euro, der HSV kommt nur auf 55 Millionen Euro. „Schauen sie sich unsere Entwicklung an und schauen sie sich Wolfsburgs Entwicklung an“, sagte Labbadia und meinte damit nicht nur die größeren finanziellen Möglichkeiten des VW-Clubs. „Es wurde dort einfach sehr gute Arbeit gemacht“, so Labbadia.

Während sich Wolfsburg seit den Amtsübernahmen von Trainer Dieter Hecking und Manager Klaus Allofs vor drei Jahren kontinuierlich zu einem Topclub entwickelt hat, ging es beim HSV seit der Entlassung von Bruno Labbadia im Jahr 2010 ebenso kontinuierlich bergab. Bis Labbadia im April in den Volkspark zurückkehrte. Auch wenn der HSV beim Achtelfinalisten der Champions League klarer Außenseiter ist, hofft Labbadia auf einen ähnlichen Auftritt wie im August 2009. „Ich habe Lust, mich mit so einer Mannschaft zu messen“, sagt Labbadia.

An den furiosen Abend vor sechs Jahren erinnert sich der Trainer gerne zurück. Paolo Guerrero, Eljero Elia, Mladen Petric und Romeo Castelen schossen die vier Hamburger Treffer. „Für uns war das ein besonders emotionales Spiel, weil Romeo nach eineinhalb Jahren zurückkam und dann dieses Ding macht“, sagt Labbadia. Dieses Ding, es war das entscheidende Tor von Castelen zum 4:2 in der Schlussminute. Mit dem Außenrist vorbei an Diego Benaglio. In seinem ersten Einsatz nach langer Verletzungspause. Es sollte das letzte Tor des Niederländers für den HSV bleiben, obwohl er noch zwei Jahre beim HSV blieb. Heute spielt der mittlerweile 32 Jahre alte Castelen bei Western Sydney in Australien.

Auch der damalige HSV-Kapitän erinnert sich mit Freude an diesen Moment zurück. „Jeder war glücklich über dieses Tor“, sagt David Jarolim. Für den Tschechen, der heute in seiner Heimat als Co-Trainer und Sportdirektor bei Mlada Boleslav arbeitet und nebenbei seine Trainer-A-Lizenz macht, war der Saisonstart 2009 die beste Zeit seiner HSV-Karriere. „Wir haben sehr dominant gespielt. Es hat alles gepasst.“ Gleichzeitig sieht Jarolim in jener Saison den Ursprung des sportlichen Niedergang des HSV. „Die Entlassung von Bruno Labbadia kurz vor Saisonende war unnötig“, sagt Jarolim heute. „Stattdessen gab es bis zuletzt keine Kontinuität und nur kurzfristige Konzepte. Bruno hätte etwas aufbauen können, weil er eine Philosophie hatte.“

David Jarolim hat sich von Labbadias Philosophie viel abgeschaut

Labbadias Philosophie, die Jarolim als Ballbesitzfußball mit viel Bewegung gepaart mit großem Teamgedanken beschreibt, habe er in seiner Trainerausbildung zu Teilen übernommen. „Man erkennt, dass der HSV in dieser Saison einen viel besseren Fußball spielt“, sagt Jarolim. Eine Prognose, was der HSV erreichen kann, will Jarolim aber nicht abgeben. Das habe man in Hamburg in der Vergangenheit zu häufig gemacht. Nur so viel: „Es ist einiges möglich.“

In jedem Fall ist das Spiel in Wolfsburg für den HSV ein echter Gradmesser. Während Dortmund am vergangenen Wochenende beim VfL in letzter Minute mit 2:1 gewann, schaltete Wolfsburg am Dienstag in der Champions League Manchester United mit 3:2 aus. „Wer Manu schlägt in der Art und Weise, der hat extrem viel Selbstbewusstsein. Aber wir wollen Wolfsburg ärgern“, sagt Labbadia. Und zwar erneut ganz ohne Augenzwinkern.