Steimbke. Konzernchef, Uwe-Seeler-Fan und Logistik-Profi: das ungewöhnliche Leben des Landwirtes und Club-Investors Helmut Bohnhorst.

Draußen an der weißen Wand des schmucken Hauses weht eine große HSV-Fahne. Das prächtige Anwesen mit den riesigen Glasfronten ist an zwei Seiten von einem wunderschönen Teich umgeben. Die moderne Villa, die der Besucher erst durch ein Eisentor samt langer Auffahrt erreicht, versinkt trotz ihrer beachtlichen Größe beinahe in der umliegenden Parklandschaft. Ein grünes Paradies mit Tausenden Arten von Bäumen und Sträuchern, Gräsern und Gemüse, Pflanzen und Feldsteinen.

Auf der Kühlerhaube des Autos, das vor der Haustür parkt, prangt eine HSV-Fahne. Die Servietten auf dem langen Esstisch, von dem durch große Fenster der Blick ins Weite schweifen kann, tragen wie selbstverständlich die HSV-Raute. Hier im niedersächsischen Steimbke, nur zehn Kilometer entfernt von Nienburg und der Weser, ist ein überzeugter HSV-Fan zu Hause. Das soll auch jeder sehen. „Früher“, sagt Helmut Bohnhorst, „war ich froh, wenn ich von den HSV-Spielern ein Autogramm bekommen habe. Heute bin ich ein kleiner Teil des großen HSV.“

Der Hausherr hat sich extra ein Hemd angezogen. Lieber trägt er Latzhose. Er hat schütteres Haar, sein Lächeln ist verschmitzt, seine Augen sind ruhelos. Er ist 55 Jahre alt, schlank und groß gewachsen. Der Rücken macht ihm seit Kurzem Probleme.

Bohnhorst erwarb 1,5 Prozent Anteile an der HSV Fußball AG

Im April war das Erstaunen groß. Für vier Millionen Euro hatte ein weiterer Investor 1,5 Prozent Anteile an der HSV Fußball AG erworben. Nach der umstrittenen Ausgliederung war das erst der zweite Geldgeber in der deutschen Stadt mit den meisten Millionären. Nach Klaus-Michael Kühne folgte also Bohnhorst. Helmut Bohnhorst. „Da kommt der gelernte Landwirt aus Niedersachsen und ist nun Anteilseigner seines Lieblingsvereins“, sagt er. Ja, darauf sei er schon ein bisschen stolz.

Der Landwirt hatte sich im August 2014 in sein Auto gesetzt, war die 135 Kilometer nach Hamburg gefahren und im Stadion an den Empfangstresen gegangen. „Ich wollte meine finanzielle Unterstützung anbieten, aber keine Sau war da“, sagt er und lacht. Alle Verantwortlichen waren in Cottbus, wo der HSV in der ersten DFB-Pokal-Runde spielte.

Helmut Bohnhorst fuhr zurück nach Steimbke, immerhin hatte man sich in Hamburg seine Mobilnummer notiert. Wenig später meldete sich HSV-Vorstand Joachim Hilke und besuchte ihn in dem 2500-Seelen-Dorf. Das hat Helmut Bohnhorst gefallen. Man kam sich schnell näher. Bereits im September wurde eine erste Vereinbarung geschlossen, im März wurden dann die umfangreichen Verträge zu einer Beteiligung unterzeichnet.

Und nun ist er also Anteilseigner. Es ist auch ein bisschen die Krönung seines Lebenswerks. Eine Art Auszeichnung, mit der er sich selbst vielleicht für sein bisheriges Leben auf der Überholspur belohnt. Wer wüsste besser als er, dass man irgendwann erntet, was man gesät hat. „Ich habe immer Vollgas gegeben“, sagt er.

Bohnhorst, der Anti-Kühne

Helmut Bohnhorst ist auf den ersten Blick ein ziemlicher Anti-Kühne. Ein Naturbursche, der jeden Baum und jede Pflanze, jedes Gras und jeden Strauch in seiner 40.000 Quadratmeter großen Parkanlage beim Namen nennen kann. Vor vier Jahren hat er angefangen, sich hier eigenhändig seinen grünen Traum zu verwirklichen. Hier tummelt sich freilaufend von der Wachtel bis zum Pfau alles, was Federn hat. „Wenn Sie jetzt sagen, lassen Sie uns ein Perlhuhn essen, bin ich in 20 Minuten wieder da und bereite es zu“, sagt er.

Anders als Kühne will sich Bohnhorst beim HSV auch nicht in sportliche Belange einmischen. Seine Bühne ist, wenn man so will, das Ackerland. Er macht sich große Sorgen um die Ernährung der Menschheit. Und um die globale Verknappung der Rohstoffe, die wir für die Herstellung unserer Lebensmittel brauchen. Gerade hat er durch sein Engagement zwei riesige Eichen im Ort vor dem Abholzen bewahrt. Und er zahlt seine Steuern hierzulande.

Der Landwirt ist eigentlich Konzernchef. Er war es zumindest. Er ist außerdem ein Logistik-Profi und damit dem Milliardär Kühne doch näher, als es zunächst den Anschein hat. Wenn Helmut Bohnhorst von seinem Werdegang erzählt, bekommt man eine Ahnung, was mit dem Begriff „bauernschlau“ wohl gemeint sein könnte.

Sein Vater hatte einen kleinen Betrieb in Steimbke. Baugeschäft und Kohlehandel, dazu ein bisschen Landwirtschaft. Schon mit sieben Jahren fuhr der kleine Helmut beim Kohletransport auf dem Lkw mit. „Ich war bei jeder Heuernte dabei.“

Er hat später für fünf Mark pro Stunde in der Firma des Vaters auf dem Bau mitgearbeitet. „Wo sich was bewegt und wo was wächst, musste ich immer unbedingt dabei sein.“ Heute würde man dem unruhigen kleinen Helmut von damals vielleicht ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) attestieren. Die Schule war nicht so sein Ding. Er mochte lieber Hühner, Hasen, Schweine und Kühe. „Ich wollte immer nur Bauer werden.“

Der Vater aber wollte, dass er ins Baugeschäft einsteigt. „Ich habe den Generationskonflikt im höchsten Maße durchlaufen“, sagt er. Er machte mit 16 Jahren die mittlere Reife, „aber ohne Schularbeiten“. Mit 18 setzte er sich in seinen Opel Kadett, fuhr an die Ostsee und konnte sich an den gelben Rapsfeldern nicht sattsehen. „Ich habe davon geträumt, so etwas auch mal zu haben.“

Er machte eine zweijährige Landwirtschaftslehre und fuhr danach mit einem VW-Bus, gegen den Willen seines Vaters, die kleinen Landwirte in der Umgebung ab. „Die fanden das sehr gut, dass sich ein Bohnhorst persönlich um sie gekümmert hat.“ Er kaufte und verkaufte Getreide und Saatgut, Futter- und Düngemittel. Er setzte auf den Agrarhandel. Die Bauwirtschaft interessierte ihn nicht.

„Mit Pflügen kannst du kein Geld verdienen“, mahnten die einen. „Helmut, gefressen wird immer“, sagten die anderen. Im Grunde hat er bis zu seinem 30. Lebensjahr gegen seinen Vater gearbeitet. Dann kam die Wende. „Mein größtes Glück“, sagt er.

Helmut Bohnhorst sagt, er habe vorher keinen Kontakt zum Klassenfeind gehabt. Er setzte sich ins Auto und fuhr rüber. So, wie er es immer gemacht hat. Hinfahren, reden, die Sache selbst in die Hand nehmen. Er sprach mit den LPG-Chefs, die so große Ländereien bewirtschafteten „wie 40 Landwirte bei uns im Westen zusammen“. Er machte Außendienst, sechs Tage die Woche. „Die Drecksarbeit, die heute kaum noch einer macht“, sagt er. Er kam erst sonnabends nach Steimbke zurück, fuhr montags früh wieder in den Osten. Er hat zehn, zwölf Jahre lang keinen Urlaub gemacht. Seine Familie arbeitet heute bei ihm im Unternehmen.

Viele Menschen aus dem Westen nutzten die Wende dazu, sich alles unter den Nagel zu reißen. „Die Ostdeutschen haben diese Menschen aus dem Westen gehasst“, sagt Bohnhorst. Er sagt, es sei damals nicht besonders schwer gewesen, sich von der Masse abzuheben. „Es ging mir nicht um das schnelle Geld, sondern um die langfristige, gemeinsame Zusammenarbeit.“ Er war wohl der etwas andere „Wessi“. Und wurde deshalb im Osten von LPG zu LPG „weitergereicht“, wie er sagt. Er baute sich durch seriöse Arbeit eine Kundschaft auf. „Verschiedentlich war es sogar der Wunsch der Betriebe, mich als Gesellschafter zu gewinnen.“ Sein Vater besorgte das Geld für die nötigen Investitionen bei den Banken in Westdeutschland. „Wir beide haben mit allem gebürgt, was wir hatten.“

Aus dem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb wurde ein Konzern. Aus drei Mitarbeitern wurden mehr als 200, aus zweieinhalb Millionen D-Mark Umsatz 500 Millionen Euro. Die Firma Bohnhorst Agrarhandel GmbH besaß Anteile an Hafenanlagen an der Weser, an der Ostsee und am Mittellandkanal. Hallen, Silos und Verladeeinrichtungen, um die Ware schnellstmöglich von A nach B zu transportieren. Im Ostseehafen Vierow zwischen Wolgast und Greifswald wird heute dank modernster Anlagen verhältnismäßig mehr Getreide im Jahr umgeschlagen als im Hamburger Hafen.

Wenn Helmut Bohnhorst am Sonnabend vom Außendienst nach Hause kam, haben sie „Sportschau“ geguckt. Schon 1967 hatte er sich in den HSV verliebt. Nach der WM in England war Uwe Seeler sein Idol. Er ist es bis heute. Und nichts wünscht sich der neue Anteilseigner mehr als ein Treffen mit dem DFB-Ehrenspielführer, der all die Tugenden verkörpert, die auch Helmut Bohnhorst so sehr schätzt. Uwe Seeler, schwärmt er, sei ein unermüdlicher Kämpfer gewesen, der in jedem Spiel alles gegeben habe. Einer, der nicht den Verlockungen des schnellen Geldes gefolgt ist, als Inter Mailand anklopfte. Einer, der voranmarschiert ist und immer nur das Trikot mit der Raute getragen hat.

Bodenständig. Das trifft wohl am besten zu. Auf beide.

Was erwartet der Investor von seinem Verein in der nächsten Saison? „Hamburg ist die schönste Stadt der Welt und hat keinen schlechten Fußball verdient. Wir haben es mit 50 Millionen Euro nicht geschafft, erfolgreich Fußball zu spielen. Ich glaube, auch 100 Millionen Euro würden die Situation nicht verbessern. Gefragt ist ein klares Konzept. Der HSV befindet sich in der Bringschuld gegenüber seinen Fans und der gesamten Stadt.“

Sind seine vier Millionen Euro eher großzügige Spende oder kluges Investment? „Da kommt beides zusammen“, sagt er. Er habe keine Renditeerwartung, die Millionen seien aber auch kein Geschenk. Vergleichbar sei das mit einer Aktie ohne Dividende, die nicht frei gehandelt werden kann.

Außerdem habe er jetzt ein Recht auf Information. Er findet es wichtig, ganz nah dran zu sein. Er hat als Dauerkartenbesitzer in der Dannemann Lounge auch schon mehrfach selbst gemalte Banner hochgehalten: „Didi und Joe, macht uns wieder froh“, stand da zum Beispiel zu lesen. Ist jetzt nicht so wirklich eingetreten.

Im September 2014 verkaufte Helmut Bohnhorst seinen Agrarhandel

Helmut Bohnhorst ist auch deshalb in der Lage, seinem angeschlagenen Liebling unter die Arme zu greifen, weil er den Agrarhandelsteil des Familienunternehmens, das 1882 von seinem Ururgroßvater gegründet worden war, vor zehn Monaten verkauft hat. Die Münchner BayWa AG trat mit dem Wunsch an ihn heran, sich zu beteiligen, erwarb nach der kartellrechtlichen Freigabe durch die EU-Kommission erst 60 Prozent und im September 2014 schließlich die komplette Bohnhorst Agrarhandel GmbH. Und wurde damit zu einem der zehn weltweit führenden Agrarhändler.

Für Helmut Bohnhorst, der keine Aktien besitzt, war das Millionengeschäft aber kein Anlass, sich zur Ruhe zu setzen. „Ich kann doch mit 55 Jahren nicht aufhören zu arbeiten.“

Das Gegenteil ist wohl der Fall. Sein nächstes großes Unternehmensziel ist die Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene. Er wundert sich, dass es seitens der Politik dafür kein Interesse gibt. „Wie kann das sein?“ Also nimmt der Unternehmer die Sache wieder selbst in die Hand, wenn schon die Politik keinen Finger für den umweltverträglichen Gütertransport der Zukunft rührt. Helmut Bohnhorst lässt gerade Leichtwaggons in Rumänien entwickeln, die in der Lage sein werden, auf einer Länge von 400 Metern hinter der Lok 2000 Tonnen Getreide zu transportieren. In Deutschland hält die Deutsche Bahn das Monopol. „Der Großteil der heute zur Verfügung stehenden Güterwaggons basiert auf dem Entwicklungsstand von 1970.“

Da hat einer sichtlich Spaß an den schwierigen Missionen. Als er beim HSV eingestiegen ist, haben ihn manche für verrückt erklärt. Er selbst sagt: „Ich bereue keinen Cent.“ Warum nicht Bremen, das ist doch viel näher dran? „Ich habe großen Respekt vor den Leistungen in Bremen und Hannover, aber Hamburg ist eine Weltstadt. Und ich bin schon als Kind vom Mythos HSV infiziert worden.“ Er glaubt an die Früchte von ehrlicher Arbeit. „Ich habe einen kleinen Dorfladen nach vorne gebracht, warum soll das mit dem großen HSV nicht auch gehen?“ Und wie gesagt: Wo etwas wächst, da muss Helmut Bohnhorst unbedingt dabei sein.