Hamburg. Mit Beister muss ein weiterer vom HSV ausgebildeter Spieler gehen, zwei Talente wechseln zu Werder – nun ist auch Tah auf dem Sprung.

Da hat sich Marc-An­dre Richter aber etwas vorgenommen. Als der 23 Jahre alte HSV-Fan gelesen hatte, dass sein Lieblingsspieler Maximilian Beister den Club verlassen soll, musste er reagieren. Der Flensburger initiierte die Online-Petition „Lasst den Hamburger Jung an der Elbe“. An die HSV-Verantwortlichen gerichtet, schrieb Richter, dass Beister ein Spieler sei, wie es ihn kaum noch beim HSV gebe: selbst ausgebildet und mit einer hohen Identifikation. Bis Freitag hat Richter nun das Ziel, 120.000 Beister-Unterstützer zu mobilisieren.

Ein ehrgeiziges Ziel. Bis zum frühen Mittwochabend unterschrieben gerade mal 651 Unterstützer. „Ich wollte einfach ein deutliches Zeichen setzen“, sagt Richter, der auch direkt Beisters Berater angeschrieben hat. Und Richter weiß, dass er trotz der geringen Beteiligung keinesfalls allein ist: In zahlreichen anderen Foren liefen HSV-Fans Sturm, dass ausgerechnet ihr Hamburger Lieblingsstürmer gehen soll. Der allgemeine Tenor: Mit einem Abgang Beisters würde der HSV eine weitere Identifikationsfigur verlieren. Denn vom selbst formulierten Ziel, besonders auf Talente aus der eigenen Jugend zu setzen, die sogar noch aus Hamburg oder Umgebung kommen, scheint der Club weit entfernt.

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    Tatsächlich ist der in Lüneburg aufgewachsene Beister, der seit seinem 14. Lebensjahr beim HSV unter Vertrag steht, keinesfalls das einzige Eigengewächs, das dem HSV den Rücken kehren wird. Seit Mittwoch steht nun fest, dass ausgerechnet Lokalrivale SV Werder Bremen die beiden hochkarätigen HSV-Talente Melvin Krol, 17, und Thore Jacobsen, 18, abwerben konnte. Und die beiden U19-Youngster sind nicht die einzigen selbst ausgebildeten HSV-Fußballer, die ihr Glück 110 Kilometer weiter südwestlich an der Weser suchen. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner Janek Sternberg, 22, wechselte vor zwei Jahren nach Bremen, nachdem er den Sprung in Hamburgs Profikader nicht geschafft hatte. Über den Umweg von Werders U23 gelang ihm in der vergangenen Saison nun unter Neu-Trainer Viktor Skripnik der Durchbruch. Noch schlimmer aus Hamburger Sicht: Uwe Seelers Enkel Levin Öztunali ordnet seit Winter das Werder-Mittelfeld. Der Jugendnationalspieler war vor einem Jahr ablösefrei vom HSV nach Leverkusen gewechselt, ist nun bis Juni 2016 ausgeliehen.

    Nun gibt es für jeden Einzelfall natürlich auch immer Gründe. Hinter vorgehaltener Hand wird Krol und Jacobsen beispielsweise nur wenig hinterhergetrauert. Der eine, Krol, gilt als schwieriger Charakter, der andere, Jacobsen, soll sich selbst überschätzen. Öztunali? Hat Ex-Sportchef Frank Arnesen verbockt. Sternberg? Zu ungeduldig. Und Beister? Seit seiner schlimmen Knieverletzung vor anderthalb Jahren nicht mehr der Alte. Unter dem Strich bleibt aber der Eindruck, dass es Eigengewächse beim HSV zumindest in der Vergangenheit nicht einfach hatten. Weitere Beispiele gefällig? Der Altonaer Maxim Choupo-Moting (Schalke), der Kieler Sidney Sam (noch Schalke) oder auch der aktuelle Torschützenkönig aus Buchholz, Alexander Meier (Eintracht Frankfurt).

    Doch selbstverständlich ist auch dem HSV nicht verborgen geblieben, dass es lokale Talente in der jüngeren Vergangenheit schwer in Hamburg hatten. So wird der Nachwuchsbereich in diesem Sommer wie selten zuvor umstrukturiert, kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Sämtliche Cheftrainer der Nachwuchsmannschaften U23, U19, U17 und U16 werden ausgetauscht. Zudem will Sportdirektor Bernhard Peters unbedingt noch einen sogenannten Übergangstrainer verpflichten, der als Verbindungsglied zwischen Profis und Nachwuchs fungieren soll. Im vergangenen Sommer sollte diese Funktion zunächst Mirko Slomkas damaliger Assistenztrainer Zlatan Bajramovic ausfüllen, dann war der zuvor beurlaubte Patrick Rahmen dafür vorgesehen. Jetzt sind beide Trainer endgültig Geschichte – und die Rolle des Übergangstrainers ist weiter vakant. Zwischendurch hat sogar Sportchef Peter Knäbel interimsweise selbst das Perspektivtraining geleitet, das alle zwei Wochen stattfinden sollte.

    Nun soll also wieder einmal alles anders, alles besser werden. Dabei müssen sich die Verantwortlichen beeilen. Denn das nächste HSV-Eigengewächs, das woanders Karriere macht, könnte schon in diesem Sommer folgen: Wie das Abendblatt erfuhr, ist auch Jonathan Tah, zuletzt an Fortuna Düsseldorf ausgeliehen, keinesfalls als Gesicht eines Hamburger Neuanfangs gesetzt. Dabei wird Bayer Leverkusen gesteigertes Interesse nachgesagt. Und bei einem ernsthaften Angebot wäre der HSV durchaus verhandlungsbereit, da die Verantwortlichen des Clubs nicht wirklich überzeugt waren von den Leistungen des gebürtigen Hamburgers in der Zweitliga-Rückrunde.

    Ein Gedankenspiel, das Marc-Andre Richter nicht nachvollziehen kann. „Ich finde das unter aller Kanone“, sagt der Anhänger, der seit 20 Jahren dem HSV die Daumen drückt. „Nach dem Happy End in der Relegation hatte ich sehr gehofft, dass es mit frischen, jungen Spielern wie Beister und Tah in der kommenden Saison besser wird.“ Eine zweite Tah-Petition, da legte sich Richter fest, soll es vorerst aber nicht geben.