Alle Hoffnungen auf ein Ende der Krise – verflogen! Neun Tore nach 16 Spielen: Das ist die Leistungsbilanz eines Absteigers

Wenn Rafael van der Vaart mich fragen würde, ob ich schlecht geschlafen habe, so würde ich ihm voller Inbrunst antworten: „Aber hallo!“ Seit der Nacht von Dienstag auf Mittwoch habe ich extreme Schlafstörungen. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, ob die Vorstellungskraft des niederländischen HSV-Kapitäns ausreicht, um sich vorstellen zu können, wie unruhig und grausam schlecht ich tatsächlich schlafe. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Bei der 0:1-Niederlage gegen den VfB Stuttgart hat der HSV Freund und Feind gleichermaßen geschockt, denn so erschreckend und entsetzlich schwach, wie sich die Mannschaft da präsentiert hat, muss festgestellt werden: Sorry, aber so spielt ein Absteiger!

Entschuldigen möchte ich mich bei allen Lesern, denen ich noch zu Beginn dieser Saison prophezeit hatte: „Macht euch keine Sorgen, spätestens zur Winterpause wird dieser HSV nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben.“ Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil. Ich habe den HSV überschätzt. Leider war ich zutiefst davon überzeugt, dass alles gut wird, aber nun entpuppt sich dieser neu aufgestellte HSV brutal als Papiertiger. Sportlich stimmt es hinten und vorne nicht. Dieser HSV ist nur in einer Disziplin die deutsche Nummer eins: im Zurückspielen. Es ist doch jetzt so, dass dieser Verein von einem neuen Tiefpunkt in den nächsten noch tieferen und dann auch in den allertiefsten Tiefpunkt hineinsteuert (frei nach Rudi Völler).

Das mag lächerlich klingen, etliche HSV-Fans werden für diese Erkenntnis auch nur wenig Verständnis aufbringen, aber ich schlafe deswegen so schlecht, weil mich jetzt die nackte Angst gepackt hat. Ich habe viel mehr Angst als noch beim zweiten Relegationsspiel im vergangenen Sommer. Damals, in Fürth, wäre ich fast gestorben, als der HSV nach 60 Minuten konditionell zusammengebrochen war. Zum Glück schlug dann Jaroslav Drobnys Stunde – und der HSV mit seinen nur 27 Pünktchen war doch noch gerettet.

Jetzt ist diese Mannschaft zwar von der Kraft her besser aufgestellt, aber nicht personell. Und es gibt immer noch viele Spieler, die den Star herauskehren – es gibt aber immer noch kein Team. Dazu kein Tempo, nicht den Hauch von spielerischer Finesse, keinen Spieler, der dribbelnd Räume für die Kollegen schaffen könnte, keine erstligatauglichen Offensivkräfte, kein Herz und vor allen Dingen null Leidenschaft.

Sah ich in dieser Woche die Bundesliga-Konkurrenz spielen, so stellte ich erneut fest: Bei jedem Verein, egal welchen Tabellenplatz er auch gerade einnimmt, sieht es nach Erstliga und Hochgeschwindigkeits-Fußball aus – nur beim HSV nicht.

Ich sehe schwarz. Vor allen Dingen dann, wenn ich auf die neun mickrigen Tore nach 16 Spielen blicke. Das ist unfassbar. Und einzigartig in der HSV-Bundesliga-Geschichte. Was natürlich nicht nur an den Stürmern liegt, sondern an der gesamten Mannschaft. Obwohl natürlich mit Pierre-Michel Lasogga ein Mann für sagenhafte 8,5 Millionen Euro (!) gekauft wurde, der in dieser Saison kaum noch etwas trifft. Aber er ist es nicht allein. Wo bleiben die offensiven Mittelfeldspieler? Rafael van der Vaart ist der beste Schütze – drei Treffer. Davon zwei Elfmeter. Und sonst? Viele kluge und tolle Sprüche, wie gut sie alle sind, warum sie eigentlich bei Real Madrid, in Barcelona oder in Manchester spielen müssten – aber keine Taten, keine Tore.

Neun Treffer nach 16 Spielen – das ist das Holz, aus dem Absteiger geschnitzt werden. Von 1963 an, dem Bundesliga-Gründungsjahr, bis 1996 stiegen – bis auf eine Ausnahme (1965 Schalke 04) – stets die Teams ab, die am wenigsten Tore von allen geschossen hatten. Ab 1996 gab es lediglich elf Ausnahmen von dieser Regel. Allerdings hatten die meisten Clubs davon am Ende so um die 30 Treffer auf dem Konto – davon kann der HSV zurzeit nur träumen.

Und morgen? Auf Schalke droht die nächste Ernüchterung. Und die Null steht vorn. Nein, Herr van der Vaart, ich werde weiterhin schlecht schlafen. Quo vadis, HSV?

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab