Noch vor Monaten wurde Ronny Marcos bei Drittligist Rostock aussortiert. Jetzt gilt das Nordlicht als die Entdeckung des HSV

Hamburg. Lange ist Ronny Marcos im Geschäft Fußball noch nicht dabei. Doch das Phrasendreschen beherrscht der 21 Jahre junge Hamburger, der zuletzt in der HSV-Bundesligamannschaft zweimal in Folge auf der linken Seite spielen durfte, schon ziemlich gut. „Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft“, floskelt Marcos bei seinem ersten Interviewtermin als Bundesligaspieler – und glaubt wirklich, das unerklärliche vergangene Jahr mit nur fünf Wörtern erklärt zu haben.

Hat er aber natürlich nicht.

Denn eines ist klar: Es ist schlicht und einfach unmöglich, Marcos’ Jahr 2014 mal eben so auf die Schnelle zu umschreiben. So habe er zum Beginn des Jahres natürlich nicht damit rechnen können, sagt der Linksverteidiger selbst, dass er zum Ende des Jahres vor mehr als 50.000 Zuschauern in der Bundesliga spielt. Denn der Beginn des Jahres war das, was Marcos heute „eine verdammt schwere Zeit“ nennt. Es war im Januar, als Hansa Rostocks Verantwortliche dem damals 20-Jährigen in einem ausführlichen Gespräch nahelegten, sich einen neuen Verein zu suchen. Zwar war Ex-Trainer Andreas Bergmann von Marcos’ Physis, Schnelligkeit und vor allem von seiner Einstellung sehr angetan, doch Hoffnungen auf mehr Einsatzzeit konnte er dem gebürtigen Oldenburger, der einen mosambikanischen Vater und eine deutsche Mutter hat, nicht machen. „Ronny war in einer sportlich schwierigen Phase. Er wirkte unruhig, nicht konstant in seinen Aktionen und konnte nicht sein Potenzial abrufen“, erinnerte sich Bergmann im Fußball-Portal „Blog-Trifft-Ball“, „andere waren besser als er.“

Was Bergmann nicht sagte, aber meinte: Marcos war aus seiner Sicht für die Dritte Liga damals einfach nicht gut genug. „Ich bin ein Kämpfer. Ich gebe nie auf, das habe ich auch damals nicht getan“, sagt Marcos, der sich seinerzeit bewusst für den Umweg Vierte Liga entschied. Und obwohl ihm auch noch eine Muskelverletzung im März zu schaffen machte, ist er sich heute sicher: „Die U23 des HSV ist das Beste, was mir damals passieren konnte.“

Etwas mehr als zehn Monate später sitzt Marcos frisch geduscht im rot-weißen Heim-Outfit der Profis in den Katakomben der Imtech Arena. Die Haare wie einst Will Smith in „Der Prinz von Bel-Air" gen Himmel frisiert, die Oberlippe mit einem leichten Flaum dekoriert. Das Training ist zwar schon seit einer ganzen Zeit vorbei, aber der Arbeitstag des Bundesligafrischlings ist noch lange nicht beendet. Fotosession, Autogramme schreiben und natürlich der Abendblatt-Termin.

„So kurz vor Silvester würde ich nicht sagen, dass ich ein Sensationsjahr hatte“, sagt Marcos, der daran erinnert, dass er noch zu Beginn des Jahres nicht wusste, wie es für ihn weitergehen soll. „Aber ich gebe zu, dass ich spätestens ab Sommer ein ziemlich cooles 2014 hatte.“ Bei den Fragen nach dem Warum muss Marcos nicht lange nachdenken. „Herr Zinnbauer hat mich ganz einfach besser gemacht“, sagt der Schleswig-Holsteiner, der auf der Ostseeinsel Fehmarn aufgewachsen ist.

Tatsächlich war es Zinnbauer, der Marcos’ Karriere gleich zweifach neuen Schwung brachte. Unter U23-Trainer Zinnbauer gewann der Hansa-Aussortierte zum Saisonbeginn wieder neuen Mut und alte Sicherheit, entwickelte sich als unumstrittener Stammspieler schnell zu einer Säule der Erfolgs-Regionalligamannschaft. Und nach Zinnbauers Beförderung zum Bundesligatrainer dauerte es nicht lange, ehe auch Marcos den Drei-Ligen-Sprung wagte. Am 29. November debütierte er beim FC Augsburg, am Wochenende überzeugte der pfeilschnelle Außenverteidiger gegen Mainz, und mit großer Wahrscheinlichkeit darf er am Sonnabend in Freiburg erneut von Anfang an auflaufen. „Ich würde mir niemals erlauben Ansprüche zu stellen“, sagt Marcos brav, schiebt aber keck hinterher: „Natürlich habe ich jetzt Blut geleckt.“

Dass Marcos es tatsächlich schaffen wird, hofft ausgerechnet derjenige, der ihn vor nicht mal einem Jahr weggeschickt hat. „Für Ronny kann man sich ganz besonders freuen“, sagt Bergmann. „Weil er sich nie aufgegeben hat, nie die Schuld bei anderen suchte, sondern gelernt und weitergekämpft hat. Er hat sich diese Chance verdient.“

Marcos schmunzelt. Natürlich habe er das Interview Bergmanns im Internet bei „Blog-Trifft-Ball“ gelesen. Und ja, er habe sich auch über die netten Worte gefreut. Warum auch nicht? Immerhin darf er sich seit zwei Wochen Bundesligaspieler nennen. Einen Profivertrag hat er zwar noch nicht, aber der soll 2015 folgen. Genauso wie sein Länderspieldebüt. Trotz Problemen auf der linken Seite natürlich nicht für Deutschland, sondern für Mosambik.

In der Heimat seines Vaters war Marcos zwar noch nie. Auch spricht er kein Portugiesisch. Dass aber der mosambikanische Verband bereits Interesse hat, ist auch dem Wahl-Schnelsener, der in einer WG mit U23-Kumpel Ahmet Arslan wohnt, nicht verborgen geblieben. „Zweimal war ich eingeladen, hatte sogar schon die Flugtickets. Doch irgendeine Formalie hat immer gefehlt“, sagt Marcos, der nun hofft, 2015 für Mosambik spielen zu dürfen.

Ende gut, alles gut, heißt es im Übrigen auch für Hansa Rostock. Denn der Ärger über das Nichterkennen von Marcos’ Talent hielt gerade mal 90 Bundesligaminuten an. Denn danach war klar, dass der HSV Rostock für den eigentlich ablösefrei Aussortierten per Klausel 50.000 Euro nachzahlen muss. Ein schnelllebiges Geschäft eben.