Stürmer und Publikumsliebling Artjoms Rudnevs bricht den Bann. Der HSV bezwingt den Erzrivalen aus Bremen in einem umkämpften, aber spielerisch armen Derby mit 2:0. Vor allem ein Spieler fiel negativ auf.
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Hamburg. Schon die Anreise war zäh. Weil fast zeitgleich die Freezers in der O2-World gegen Wolfsburg spielten, quälten sich die Hamburger in langen Staus rund um den Volkspark, um das 101. Nordderby zwischen dem HSV und Werder Bremen live zu erleben. Die meisten dürften es lange Zeit bereut haben, die Strapazen auf sich genommen und viel Geld für das vermeintliche Spektakel gezahlt zu haben. Genau genommen bis zur 84. Minute.
Alles deutete zu diesem Zeitpunkt auf ein trostloses 0:0 hin, auf ein neues Frusterlebnis zu Beginn des letzten Hinrundendrittels. Doch dann sorgten zwei von Trainer Joe Zinnbauer eingewechselte Spieler für das erlösende 1:0: Einen langen Einwurf von Ashton Götz verlängerte Bremens Verteidiger Lukimya unfreiwillig in die Mitte, wo Artjoms Rudnevs den Ball vor Torhüter Raphael Wolf über die Linie drückte. 129 Dezibel laut war der Jubelorkan der Fans – ein neuer Rekordwert nach den 128,7 vom Leverkusen-Spiel. Kurz erreichte die Lautstärkeskala noch einmal einen Topwert: In der dritten Minute der Nachspielzeit drückte der Bremer Torwart einen Pfostenschuss des ebenfalls eingewechselten Tolgay Arslan über die Linie. Es war dieser Treffer, der zeigte, wie schwer dem HSV immer noch das Toreschießen fällt; denn Arslan hatte aus drei Metern nicht ins leere Tor, sondern den linken Pfosten getroffen, von wo der Ball die Linie entlang rollte, bis Wolf entscheidend eingriff
Drei Punkte, dazu zwei (!) Tore in einer Partie – letztlich sind es diese zwei Fakten, die für den HSV in dieser Phase der Saison zählen. Aber nein, es war kein glanzvolles Nordderby, kein spielerischer Leckerbissen an diesem tristen November-Sonntag. Lange Zeit boten beide Teams Anschauungsunterricht, warum sie in dieser Saison mit Abstiegssorgen zu kämpfen haben (werden). Der Rasen solle brennen, hatte sich Zinnbauer gewünscht. So richtig heiß wurde es dann aber nur im Gästeblock beim Abfackeln der Pyrotechnik. Das war fußballerische Magerkost.
Torchancen blieben Mangelware
Die Bremer Strategie war ganz klar auf einen Punktgewinn ausgerichtet, entsprechend defensiv-destruktiv agierte das Team von Viktor Skripnik. Von Anfang an baute die Werder-Elf bei Ballverlust zwei Viererketten vor dem Strafraum auf und ließ der HSV-Offensive keinen Raum zur Entfaltung. So fielen in den ersten 45 Minuten nicht nur keine Tore, auch Torchancen blieben Mangelware. Aus dem Spiel heraus kam als einziger Hamburger ausgerechnet der Debütant Mohamed Gouaida (siehe Bericht unten) aussichtsreich zum Abschluss (11.), daneben sorgte nur ein Kopfball von Heiko Westermann vor dem Tor des ehemaligen HSV-Profis Raphael Wolf für Gefahr (6.).
Dass das HSV-Spiel dennoch nur ganz schwer in Schwung kam, lag nicht etwa am 21-jährigen Neuling, sondern am schleppenden Spielaufbau der gestandenen Profis. Vor allem Lewis Holtby fiel negativ ab, auch Pierre-Michel Lasogga blieb einen Großteil der Partie unsichtbar, Valon Behrami zeigte sich uninspiriert in seinem Offensivbemühungen, während Rafael van der Vaart nur defensiv überzeugen konnte. „Wir haben nach hinten wenig zugelassen, aber nach vorne lange aus unserer Überlegenheit zu wenig gemacht“, analysierte Westermann, „Komischerweise wurden wir nach 20 Minuten etwas nervös. Man sieht einfach, dass es noch nicht so hinhaut, wie wir wollen.“
Es spricht für die Geduld und Leidensfähigkeit der Fans, wie sie trotz vieler Fehler und Unzulänglichkeiten ihr Team nicht auspfiffen. Obwohl es für ein Nordderby phasenweise recht ruhig auf den Rängen wurde, beurteilte Zinnbauer die Atmosphäre euphorisch. „Unglaublich, ich hatte Gänsehaut“, sprach Zinnbauer ein Riesenkompliment an die Anhängerschaft aus, die schon jubeln wollte, als Santiago Garcia eine Ostrzolek-Flanke beinahe mit dem Knie ins Tor abgelenkt hätte (51.).
HSV kampfstark, aber zu kopflos
Zwar drückte der HSV, drängte die Bremer in die eigene Hälfte, doch diese Szene blieb für längere Zeit die einzige Chance, weil die Gastgeber zwar kampfstark, aber zu kopflos anrannten. So war der erste Wechsel (Rudnevs für Holtby, 67.) logisch. Zwar gelang dem Letten wahrlich nicht alles – in seiner ersten Szene traf er eine Ostrzolek-Flanke nur mit der Schulter –, aber wenn ein Torjäger am Ende trifft, ist eben alles gut. Vergessen war da längst, dass Werder mit der einzigen Chance in der zweiten Halbzeit nach Flanke von Junuzovic die 1:0-Führung vergeben hatte: Den Kopfball von Garcia wehrte Jaroslav Drobny zur Seite ab, Alejandro Galvez zielte aus kurzer Distanz vorbei (79.).
„Es freut mich wahnsinnig für Rudi“, sagte Zinnbauer über seinen Torschützen zum 1:0, „es war nicht einfach für ihn. Er war aus dem Kader, aber er hat sich im Training wieder herangearbeitet, in den Tests seine Tore gemacht, deshalb habe ich ihm heute mehr Spielzeit gegeben. Andere Spieler hätten sich zurückgezogen, er hat das akzeptiert. Das ist genau der richtige Weg.“