Der designierte Vorstandsvorsitzende gilt beim HSV als großer Hoffnungsträger. Mitte der 2000er zeigte Beiersdorfer bereits, was in ihm steckt. Doch die Situation heute ist bedeutend komplizierter.
Hamburg. Der HSV hat den Anschluss an das moderne Fußballgewerbe verpasst. Keine funktionierende Mannschaft, keine grundlegende Idee, keine sportliche Führung, keine Perspektive. So lautete der Kontext der allgemeinen Kritik – im Sommer 2002. Ein Neuanfang musste her. Damals überzeugte ein Manager-Novize namens Dietmar Beiersdorfer den Aufsichtsrat unter der Führung von Udo Bandow bei seiner Vorstellung derart, dass er trotz der mangelnden Erfahrung die Nachfolge von Holger Hieronymus als Sportchef antreten durfte. Es folgte Mitte der 2000er ein Zwischenhoch des Bundesliga-Dinos, das eng mit dem Namen Beiersdorfer verknüpft wird. „Er hat vieles bewegt. Sein Wirken hat den HSV zwischenzeitlich zu einem der besten Clubs in Europa gemacht", sagt Bandow heute.
2014 und damit fünf Jahre nach Beiersdorfers Abschied ist der HSV in einer noch bedrohlicheren Lage angekommen. Der neue Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Karl Gernandt besann sich nun erneut auf die offenkundigen Qualitäten des Franken und tut alles dafür, um ihm beim HSV die Fäden in die Hand zu geben – dieses Mal als Vorsitzender der neuen Fußball-AG. Gernandt ist derzeit in die Verhandlungen um die Ablösemodalitäten mit Beiersdorfers derzeitigem Arbeitgeber Zenit St. Petersburg involviert, wo der ehemalige Verteidiger noch bis 2015 unter Vertrag steht. Der HSV hat sich mit seinem Wunschkandidaten bereits auf einen Dreijahreskontrakt geeinigt, in den kommenden Tagen soll der „Königstransfer“ perfekt gemacht werden.
Doch zu große Erwartungen sollte niemand hegen. „Wenn wir unter Beiersdorfer in den kommenden zwei Jahren auf Platz elf bis 15 landen, sollten wir zufrieden sein. Das Wunschdenken muss der Realität weichen“, sagt Bandow. Denn die Voraussetzungen im Jahr 2014 sind gänzlich andere als bei seinem ersten Gastspiel als Sportverantwortlicher vor zwölf Jahren.
Der Kader
Beiersdorfer findet eine Mannschaft vor, die zwar über recht passable Einzelspieler verfügt, doch offensichtlich falsch zusammengestellt wurde. Der Gehaltsetat soll reduziert werden, was sich als schwierig darstellt, da einige Top-Verdiener wie Rafael van der Vaart, Heiko Westermann oder auch Rückkehrer Gojko Kacar gültige Verträge haben und nicht einfach zu vermitteln sind. Abgänge wie der für 200.000 Euro an Greuther Fürth verkaufte Zhi Gin Lam, 23, sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zudem stieß die bisher einzige Neuverpflichtung Zoltan Stieber nicht bei allen künftigen Sportverantwortlichen auf Zustimmung. „Der Deal wäre von unserer Seite so nicht eingefädelt worden“, bestätigte Gernandt dem „Kicker“. Der bisherige Sportchef Oliver Kreuzer hatte den Transfer abgewickelt, der aktuelle Aufsichtsrat ihn abgesegnet. Der ehemalige Karlsruher widerspricht aber den Darstellungen, er sei „kaltgestellt“ worden. „Ich stimme mich ständig mit Didi ab“, sagt Kreuzer. Dennoch sollen weitere Personalentscheidungen nicht getroffen werden, bis die Personalie Beiersdorfer endgültig geklärt ist. Ob Kreuzer (Vertrag bis 2016) ohne Vorstandsmandat bleiben darf, ist offen, auch dies soll Beiersdorfer entscheiden.
Hinter den Kulissen glühten freilich schon die Drähte, damit den Fans bis zum Trainingsauftakt am 18. Juni neue Gesichter präsentiert werden können, die von den neuen Machern beim HSV auch goutiert werden. Dabei wird Beiersdorfers Gespür für Talente entscheidend sein, denn große Sprünge sind nicht drin. „Zu seiner Zeit Anfang der 2000er konnten wir ihm fast jeden Wunsch erfüllen“, sagt Bandow rückblickend. Diese Komfortzone wird Beiersdorfer in diesem Jahr nicht vorfinden.
Der Trainer
Unbeachtet der Turbulenzen in der Führungsetage ist Mirko Slomka dabei, bei seinen Zuarbeitern Nägel mit Köpfen zu machen. Mit dem neuen Co-Trainer Zlatan Bajramovic und Team-Manager Thomas Westphal unterstützen den Chefcoach nun enge Vertraute, zudem soll sich Prof. Jürgen Freiwald von der Universität Wuppertal beim HSV künftig um die Leistungsdiagnostik kümmern – ebenfalls ein ehemaliger Weggefährte Slomkas. Offen ist, wie viel Beiersdorfer wirklich von Slomka hält. Eine mögliche Trennung bei anhaltendem Misserfolg würde jedenfalls weitere kostspielige Entlassungen zur Folge haben. Vor elf Jahren trug Beiersdorfer die Entlassung Kurt Jaras mit, auch sein Nachfolger Klaus Toppmöller erwies sich als Fehlbesetzung. Erst mit Thomas Doll fand der Sportchef Ende 2004 für zweieinhalb Jahre eine halbwegs langfristige und zunächst auch erfolgreiche Alternative.
Die Finanzen
Es sieht düster aus. „Wenn man solide plant, haben wir nichts zum Bewegen“, sagte Gernandt der „Bild“. Selbst eine Finanzspritze in Höhe der kolportierten 20 Millionen Euro von Milliardär und HSV-Gönner Klaus-Michael Kühne sei nur etwas mehr als ein Trostpflaster, da es im Personalbereich viele offene Rechnungen gäbe, offene Raten für Transfers und weiterlaufende Gehälter für ehemalige Trainer. 2002 ging es dem HSV ohnehin viel besser und Beiersdorfer trug dann durch seine Transfers dazu bei, dass der Verein im Laufe der Jahre nicht nur erfolgreich spielte, sondern auch ein Transferplus von über 20 Millionen Euro erwirtschaftete. „In seiner Zeit sank das Minuskapital von einem zweistelligen Millionenbetrag auf 600.000 Euro“, erinnert sich Bandow.
Der Nachwuchs
Derzeit eine riesige Baustelle beim HSV. Die U23 stand die letzten beiden Jahre kurz vor dem Abstieg in die Oberliga, der A-Jugend drohte bis zum letzten Spieltag der Bundesliga-Abstieg. Lediglich bei den jüngeren Jahrgängen gibt es vereinzelt Talente, die zu Höherem berufen scheinen. Für das Nachwuchsprojekt „Campus“ wurden 17,5 Millionen Euro von den Fans eingesammelt, ursprünglich sollte das Gebäude am Stadion diesen Herbst stehen. Doch das „Vorzeigeprojekt“ entwickelt sich zum Desaster: Wann der erste Spatenstich erfolgt, ist immer noch unklar. Die Anleihegelder wurden auch nicht „geparkt“, sondern sind größtenteils in das laufende Geschäft geflossen. Fakt ist, dass die Baukosten die Liquidität in den kommenden Jahren weiter schmälern wird. Zudem sollen auch beim „Campus“ nicht alle im Verein den Sinn der Investition erkennen – denn ein Internat besitzt der HSV ja bereits wenige Kilometer entfernt in Norderstedt. Die Hoffnungen ruhen auch beim Nachwuchs auf Beiersdorfer. „Didi hatte 2002 ein Scouting-System eingerichtet, von dem der Club wahnsinnig profitierte. Nach Verkäufen hatte Beiersdorfer sofort gleichwertigen Ersatz parat“, sagt Bandow.
Beiersdorfers größter Vorteil im Gegensatz zu 2002: Damals war er ein unbeschriebenes Blatt, hatte mit Vorstandschef Werner Hackmann einen erklärten Gegner in den eigenen Reihen. Heute ist der 50-Jährige unumstritten. Er gilt sowohl im Verein als auch bei den Fans als großer Hoffnungsträger. Dieser Vertrauensvorschuss dürfte ihm Zeit geben, wirklich etwas bewegen zu können. Zeit, die beim HSV in den vergangenen Jahren kaum jemand bekam.