Der Klassenerhalt des HSV wird sich wohl nicht in der Imtech-Arena entscheiden. Hoffnung in der ungeliebten Ferne macht Pierre-Michel Lasogga. Am Sonntag will er in Gladbach im zehnten Auswärtsspiel zum zehnten Mal treffen.
Hamburg. Als am Donnerstag um 11.35 Uhr der knallblaue Sportwagen mit Berliner Kennzeichen den Parkplatz der HSV-Profis an der Arena verließ, konnten zwei Anhänger ihre Begeisterung einfach nicht mehr zurückhalten. Gemeinsam bildeten sie an der Ausfahrt in Richtung Sylvesterallee ein Mini-Spalier und klatschten Beifall, als die Luxuskarosse mit der etwas eigenwilligen Lackierung vorbeidröhnte. Geehrt sollte aber natürlich weniger der Flitzer als vielmehr dessen Fahrer, der sich im Schritttempo mit einer winkenden Handbewegung für die Ovationen bedankte. „Elf von seiner Sorte bräuchten wir“, rief der eine Fan, und der andere ergänzte: „Ja, elf Lasoggas müssten wir haben.“
Nicht elf, nur einen Pierre-Michel Lasogga hat der HSV wieder zur Verfügung. Aber ob das im Kampf um den Klassenerhalt reichen wird? Sieben Spiele sind es noch bis Saisonende – und bis auf die Erfolg versprechende Verbindung aus Lasogga und den Treuesten der Treuen gibt es nach dem 1:1 gegen Freiburg wohl nur noch wenig, das Hoffnung macht. „Man merkt, dass die Fans verstanden haben, dass wir alles dafür geben, um in der Liga zu bleiben“, lobte der Gelobte trotzig nach dem unterm Strich enttäuschenden Unentschieden gegen einen direkten Tabellenkonkurrenten. „Wir merken diesen Zuspruch in jeder Sekunde, auch unter der Woche. Es ist ein schönes Gefühl für uns, das gibt auch Kraft.“
Doch wie viel Kraft hat der strauchelnde Liga-Dino überhaupt noch? Gerade mal fünf Punkte hat der HSV aus den fünf Spielen gegen die direkten Konkurrenten (Werder, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart, Freiburg) in dieser Saisonphase, mit Recht als Wochen der Wahrheit klassifiziert, geholt. Da muss man schon viel Fantasie haben, um der Mannschaft von Trainer Mirko Slomka im Saisonendspurt die nötigen Punkte für den Klassenerhalt zuzutrauen. Sechs der letzten sieben Gegner (Gladbach, Leverkusen, Wolfsburg, Augsburg, Bayern und Mainz) gehören zu den Top acht der Liga – und ausgerechnet gegen die Crème de la Crème dieser Saison soll der HSV nun punkten. Zum Vergleich: Freiburg muss gerade mal gegen drei Top-Gegner der Spitzengruppe antreten (siehe Grafik oben). „Bis zum 34. Spieltag wird es ein Auf und Ab sein, da wird sich keiner da unten sicher sein“, sagt Lasogga, der auf das Prinzip Hoffnung setzt: „Es sind noch ein paar Spiele, ich hoffe, dass wir uns mit einer kleinen Serie Luft verschaffen können.“
Zu gern würden die Fans wohl Lasoggas Worten unüberlegt Glauben schenken, zu gerne würden sie von einer echte Serie träumen und sich zu gern bereits am Sonntag einen Auswärtssieg in Gladbach wünschen. Doch dann meldet sich plötzlich der Kopf zu Wort: Ein Auswärtssieg? Vom HSV?? Mit Trainer Slomka??? Geht’s noch????
Tatsächlich ist es länger als ein halbes Jahr her, dass der HSV zuletzt in der Fremde siegen konnte. Gegen den SC Freiburg gewannen die Hamburger vor allem dank Freiburgs Torhüter Oliver Baumann, der gleich dreifach patzte, am zehnten Spieltag mit 3:0. Es war der vorerst letzte von ohnehin nur insgesamt zwei Auswärtserfolgen des HSV in dieser Saison. Noch schlimmer ist da nur die persönliche Auswärtsbilanz des Trainers. So hat Mirko Slomka in dieser Saison mit Hannover und dem HSV zehn von zehn Spielen in der Ferne verloren. Es ist die Bilanz, man muss es so deutlich formulieren, eines Absteigers.
Das Problem: Da einer der drei noch zu empfangenden Heimgegner der Hamburger die nicht zu bezwingenden Münchner Rekordmeister sind, ist der HSV zum Punkten in der Ferne gezwungen. Gelingt das nicht, steigt der HSV ab, daran gibt es wohl nicht mal einen mathematischen Zweifel.
„Die ganze Auswärtsdebatte ist doch mühsam“, beschwichtigt Sportchef Oliver Kreuzer, „dieser Auswärtsgedanke muss aus den Köpfen der Spieler. Wenn man immer auf diese Serie hinweist, dann setzt sich das bei den Jungs fest. Und genau das darf nicht passieren.“
Zumindest um einen seiner Jungs braucht sich Kreuzer aber gar keine Gedanken in Bezug auf einen möglichen Auswärtsfluch zu machen. Überraschung, Überraschung: Natürlich ist Lasogga, der personifizierte Hoffnungsträger, besonders auch fernab des heimischen Volksparks ein Garant für Erfolg. So hat der nimmermüde Hüne neun seiner zwölf Saisontore außerhalb Hamburgs erzielt. Oder anders gesagt: In neun Auswärtsspielen hat Lasogga neun Mal getroffen. „Man sagt immer, dass die Erfahrenen die Verantwortung übernehmen müssen. Aber ich habe trotz meiner erst 22 Jahre Spaß daran, sie zu übernehmen. Das ist nicht negativer, sondern positiver Druck“, sagt der Torjäger, „mir macht es einfach Spaß, dass die Fans und die Mannschaft an mich glauben.“
Dabei gibt es neben Fans und Kollegen noch einen weiteren Fürsprecher Lasoggas, der sich seinen bärenstarken Comeback-Auftritt am Mittwoch gegen Freiburg aus der Ferne registriert haben dürfte: Bundestrainer Joachim Löw. Deutschlands Nationaltrainer hatte Hamburgs Stürmer bereits zum vergangenen Testländerspiel gegen Chile nominiert und dürfte den Quadratisch-Praktisch-Gut-Angreifer besonders nach der schweren Knieverletzung von Florenz-Stürmer Mario Gomez weiterhin im Hinblick auf die WM in Brasilien im Fokus behalten. Die mögliche Nominierung ist weiterer Treibstoff für die ohnehin bereits hohe Motivation.
„Auch gegen Freiburg hat jeder gesehen, wie wichtig Pierre für uns ist“, lobte Sportchef Kreuzer, der den Druck aber lieber auf mehrere Schultern verteilt wissen möchte: „Glücklicherweise kehrt gegen Mönchengladbach Hakan Calhanoglu ins Team zurück. Seine Ideen haben gegen Freiburg gefehlt.“
Fehlen wird dagegen Milan Badelj bei der Borussia. Der Spielmacher muss gelbgesperrt pausieren, dürfte durch Robert Tesche oder Tomas Rincon ersetzt werden. Ansonsten will Trainer Slomka in seinem elften Versuch auf fremden Terrain in dieser Saison wie schon gegen Stuttgart zunächst auf eine stabile Defensive setzen, dabei aber etwas mutiger spielen lassen als zuletzt gegen die Schwaben beim 0:1 am vergangenen Wochenende. Aber warum soll nun ausgerechnet in Gladbach die schwarze Auswärtsserie reißen? Viele Gründe fallen einem da spontan nicht an. Nur einer: Lasogga!