HSV-Trainer Bert van Marwijks verzweifelter Appell an den Zusammenhalt – weiter Ringen um Mehrheit im Aufsichtsrat für Felix Magath.
Hamburg. Nachdem Bert van Marwijk um 14 Uhr mit ernster Miene den Presseraum in der Imtech-Arena betreten hatte, machte er schnell deutlich, dass dies keine normale Konferenz vor dem Pokalspiel gegen die Bayern am Mittwochabend werden würde. Mediendirektor Jörn Wolf erklärte, dass der HSV-Trainer keine Fragen beantworten werde, sondern nur eine kurze Stellungnahme abgeben wolle. Der Niederländer schaute noch einmal kurz auf seinen Notizzettel und sagte dann:
„Was ich hier erlebt habe, ist für mich ganz neu. Ich habe das Gefühl, wenn es so weiter geht, dass der Verein sich selbst zerstört. Das ist unglaublich schade für so einen schönen Verein. Ich habe hier vor ein paar Wochen schon ein-, zweimal gesagt: Jetzt ist es ganz wichtig, dass wir mit einer Stimme sprechen und zusammenhalten. Was in den letzten Tagen passiert ist, ist eigentlich das Gegenteil. Das macht es nicht einfacher. Auch für mich nicht.“
Der Hilferuf eines verzweifelten Fans
Sein verzweifelter Appell: „Aber ich kann euch garantieren, dass wir, damit meine ich die Spieler, den ganzen Kader, auch der Vorstand, dass wir zusammenhalten, wir sprechen immer noch mit einer Stimme. Das ist der einzige Weg, wie wir da rauskommen. Ich kann euch garantieren, dass wir kämpfen bis zum Ende, um nicht abzusteigen. Ich habe immer noch 100 Prozent Vertrauen, dass das auch passiert. Wir bleiben zusammen, ich denke, dass das das Allerwichtigste ist. Da könnt ihr euch drauf verlassen. Das ist es, was ich sagen wollte.“
Van Marwijk will kämpfen, aber er wusste zu diesem Zeitpunkt, dass er nur noch ein Trainer auf Abruf ist. Bei einer erneuten Pleite am Sonnabend in Braunschweig wäre selbst für den noch amtierenden Vorstand der Zeitpunkt für eine Trainerentlassung gekommen. Dies war jedenfalls Bestandteil der Präsentation von Carl Jarchow und Sportchef Oliver Kreuzer bei den Kontrolleuren am Sonntag. Doch bis in den späten Montagabend war weiter fraglich, ob die Clubführung und auch der Trainer am Dienstag noch im Amt sein werden.
Nachdem sich der Aufsichtsrat am Sonntag während seiner fast achtstündigen Sitzung bis 23 Uhr nicht mit einer Zweidrittelmehrheit einigen konnte, den Vorstand abzuberufen und Felix Magath zu inthronisieren, ging das Ringen um die acht Stimmen (von elf) in die Verlängerung. Nach Abendblatt-Informationen sollte nur eine Stimme fehlen. Ein erneutes Treffen des gesamten Gremiums gab es am Montag allerdings nicht. Stattdessen wurde telefonisch weiter diskutiert und verhandelt.
Der Plan der Räte: Bis Dienstagmittag soll die Einigung mit Magath, der telefonisch am Sonntag bei der Sitzung der Räte zugeschaltet war, perfekt gemacht werden. Schon beim Pokalspiel gegen die Bayern würde er das HSV-Team gemeinsam mit seinem langjährigen Co-Trainer Bernd Hollerbach und Athletikcoach Werner Leuthard betreuen, zugleich soll er als Vorsitzender in den Vorstand einziehen. Dem Vernehmen nach wurde auch die Variante diskutiert, dass vorerst Aufsichtsrat Christian Strauß in den Vorstand wechselt, bis Magath das Amt dann im Sommer übernehmen könnte.
Ob neben Jarchow und Kreuzer auch Joachim Hilke gehen müsste, ist offen. Einerseits gilt das Verhältnis zwischen einigen Aufsichtsräten und dem Marketingmann als vergiftet, andererseits pflegt Hilke beste Kontakte zu HSV-Gönner Klaus-Michael Kühne. Und dieser könnte bei der größten Personalrochade in der Geschichte des Vereins eine wichtige Rolle spielen. Die Abfindungen für die Vorstände (Jarchows Kontrakt endet im Mai 2015, Kreuzers im Juni 2016) sowie van Marwijk und Co-Trainer Roel Coumans (beide Vertrag bis zum 30. Juni 2015) würden den HSV-Etat mit rund drei Millionen Euro belasten – plus die Gehälter für Magath und seinen Trainerstab. Kühne, der auch schon öffentlich die Clubführung abgewatscht hatte, soll Zustimmung für den Machtwechsel signalisiert haben. Nicht ausgeschlossen also, dass der 76-Jährige ihn auch komplett finanziert.
„Wir wurden über Gespräche, die Teile des Aufsichtsrats mit Magath geführt haben, nicht informiert“, sagte Jarchow am Montag, der bemüht war, professionell mit der schwierigen Situation umzugehen. „Was mir Sorgen macht, ist, dass wir zusätzlich zur sportlich schwierigen Lage nun weitere Baustellen haben.“ Ob irgendwann der Moment kommen könnte, dass er hinwirft? „Es mag sein, dass es irgendwann einen kritischen Moment gibt. Aber ich weiß nicht, wann dieser Moment tatsächlich kommt.“ Sein selbst erklärtes Ziel: „Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass dieser Verein nicht auseinanderfällt.“ Seine Teilnahme an der Veranstaltung „Rotarischer Frühstückstisch“ sagte der HSV-Vorsitzende am Montag schon mal ab.
Magath, 60, wartet derweil an seinem Wohnort München auf eine Entscheidung des Aufsichtsrats. Ein konkretes Angebot lag ihm am Montag noch nicht vor. Kommt es, wird er sicherlich nicht spontan zusagen. Den richtigen Zeitpunkt für diese Offerte hat der Verein bereits verpasst. Magath liegt der HSV am Herzen, zweifellos, das hat er immer wieder betont. Der HSV sei ein großartiger Verein in einer wunderschönen Stadt, ein Club mit tollen Fans und einem fantastischen Umfeld, der es nicht verdient habe, in solch prekäre Situation geraten zu sein. Bei einem Besuch des Abendblatts sagte er vor einem halben Jahr: „Die einzige meiner Trainerentlassungen, die mich hart getroffen hat und die ich bis heute nicht überwunden habe, war die beim HSV im Jahre 1997.“ Der damalige Vereinspräsident Uwe Seeler hatte ihn zwei Spieltage vor Saisonende beurlaubt.
Das Herz ist das eine, das sagt: „Ich will!“, sein Verstand wird Magath jedoch warnen, dass er sich besser nicht auf dieses Abenteuer in einem zerrissenen und abgewirtschafteten Verein einlassen sollte. Magath scheut keineswegs das Risiko, mit dem HSV eventuell abzusteigen. Vielmehr dürfte ihn sorgen, ob er genug Rückhalt im Club hat. „Wenn ich keine Rückendeckung von allen Gremien habe, kann ich nicht erfolgreich arbeiten“, hat er in der Vergangenheit wiederholt gesagt. Er hasse Intrigen und Indiskretionen. Beides gibt es beim HSV 2014 jedoch zuhauf.