Mal wieder hat sich der HSV den inoffiziellen Titel als größter Skandalclub der Liga gesichert. Doch was witzig klingt, ist ziemlich ernst – und teuer.
Hamburg. Einen passenderen Zeitpunkt für den Versand der Pressemitteilung hätte es am Dienstag wahrscheinlich gar nicht geben können: Kurz nachdem HSV-Trainer Thorsten Fink Mallorca-Urlauber Dennis Aogo öffentlich gerüffelt hatte, aber noch bevor auch Tomas Rincón seinen Besuch auf der Ferieninsel beichtete, Aufsichtsrat Ulrich Klüver mit einem Ordner aneinandergeriet und der aussortierte Verteidiger Paul Scharner drohte, den Verein zu verklagen, hatte der Schwarzkopf-Verlag die zeitnahe Veröffentlichung eines neuen Buchs bekannt gegeben. Der Titel: „111 Gründe, den Hamburger SV zu lieben“. „Wir hätten natürlich auch 111 Gründe aufzählen können, warum uns der HSV oft wahnsinnig macht – aber das kann ja jeder“, ließen sich die Autoren zitieren, die wohl noch nicht ahnen konnten, wie aktuell ihre Aussagen doch waren.
Tatsächlich musste man als Außenstehender in den vergangenen Tagen den Eindruck bekommen, dass so manch einer beim HSV wahnsinnig geworden ist. So wurde immerhin das Kunststück vollbracht, die derbe 1:5-Niederlage vom Wochenende gegen Hoffenheim durch die Ereignisse außerhalb des Spielfelds in den Tagen darauf in den Hintergrund zu verdrängen.
Da waren zunächst die zwei freien Tage, die als unmittelbare Folge nach dem Hoffenheim-Debakel für Diskussionen gesorgt hatten. Dass Aogo diese Tage auf Mallorca verbrachte, darf als ungeschickt gewertet werden, genauso wie die Tatsache, dass zunächst niemand wusste, dass auch Rincón – sogar mit dem gleichen Flieger – vor Ort war. Nicht wirklich besser wurde die Geschichte, als Trainer Fink zunächst ein hartes Vorgehen gegen Aogo ankündigte, Sportchef Oliver Kreuzer diesen dann suspendierte, Fink davon nach der Verletzung Marcell Jansens zunächst nichts mehr wissen wollte („Ich habe nie gesagt, dass Dennis nicht in Berlin dabei ist“) und letztendlich dann doch beide für ein Spiel suspendiert wurden.
Auch das Hin und Her im Abfindungspoker mit dem – zugegebenermaßen nicht ganz einfachen – Paul Scharner sorgte für keine positiven Schlagzeilen. Nur Minuten nachdem Kreuzer am Dienstag angekündigt hatte, kurz vor einer Lösung mit dem streitbaren Österreicher zu sein, bezeichnete dessen Berater Valentin Hobel das HSV-Angebot als „Frechheit“ und kündigte juristische Schritte an. Und weil das für einen Tag noch nicht reichte, lieferten sich Kontrolleur Klüver und ein möglicherweise übereifriger Ordner eine handfeste Auseinandersetzung, die bereits zur Produktion eines veralbernden T-Shirts mit dem Slogan „Lassen Sie mich durch, ich bin Aufsichtsrat“ führte. Mehr SV Hollywood, in Anlehnung an Bayern Münchens früheren Titel FC Hollywood, geht wohl nicht.
„Wir hatten wirklich eine ganz schlechte Woche“, sagt auch Kapitän Rafael van der Vaart, der Langzeitfolgen für den HSV allerdings nicht befürchtet: „Der HSV hat kein Imageproblem.“ Genau das sehen Experten, die sich mit Image- und Markenberatung beschäftigen, ganz anders. „Das Image des HSV ist doch schon seit Jahren auf einem Tiefpunkt“, sagt etwa der Hamburger Markenberater Marc Schüling. „Die Marke HSV ist lediglich noch für einen gewissen Unterhaltungsfaktor gut, ansonsten fällt mir nichts ein, für was der HSV wirklich stehen soll.“ Und auch Oliver Drost, Sportmarketingexperte bei Deepblue Networks, fehlt eine Vision: „Der HSV hat einfach keine Story zu bieten. Es ist kein Image erkennbar.“
Schüling, der bis zum vergangenen Jahr Geschäftsführer des Trendbüros Hamburg war, ist sich sicher, dass Tage wie der vergangene Dienstag die Marke HSV nachhaltig beschädigen: „Es gibt keine starke Marke ohne gute Produkte. Und die Produkte beim HSV scheinen ganz schlechte Inhaltsstoffe zu haben.“ So kritisiert der Markenexperte, dass beim HSV das „Drumherum“ längst eine größere Rolle einnehme als der angestrebte sportliche Erfolg. „Mir scheint es so, als ob eine starke Persönlichkeit fehlen würde, die die Hosen anhat. Denn beim HSV hat doch jeder die Rothosen an“, sagt Schüling.
Drost, der sich intensiv mit Imageaufbau und Pflege von Fußballvereinen auseinandersetzt, sieht es ganz ähnlich. „Der HSV muss sich die Frage gefallen lassen, für was genau die Raute eigentlich steht. Spontan fällt einem da nur Chaos ein – und das Chaos scheint doch von der Spitze des Vereins auszugehen.“
Wirklich widersprechen würde den Marketingexperten wohl kaum jemand. Bestes Beispiel: In den Tagen nach der Aufsichtsratssitzung Anfang Juli, aus der mehrere Gesprächspassagen wortwörtlich in die Öffentlichkeit gelangten, musste Marketingvorstand Joachim Hilke als Krisenmanager fungieren. Mehrere Sponsoren sprangen ab, weil man besorgt war, das eigene Image durch den HSV zu beschädigen. „Die Vorkommnisse dürften zu einem messbaren Imageverlust geführt haben“, glaubt Schüling, der nach Informationen des Abendblatts völlig recht hat. So ist dem Verein damals ein unmittelbarer Schaden im mindestens hohen sechsstelligen Bereich entstanden. Und die damalige Geschichte scheint sich aktuell zu wiederholen, denn auch jetzt ist Hilke dazu gezwungen, mögliche neue Sponsoren zu beschwichtigen.
Marketingvorstand Joachim Hilke ist mal wieder als Krisenmanager gefragt
Lediglich die Treuesten der Treuen beweisen Geduld mit dem taumelnden Dino. Für das Spiel in Berlin am Sonnabend haben sich 10.000 Hamburger Anhänger angekündigt, die sich weder von Last-Minute-Reisen nach Mallorca noch von sportlichen Armutszeugnissen wie gegen Hoffenheim abschrecken lassen. Dabei ist man sich beim HSV sehr wohl bewusst, dass anhaltender Misserfolg irgendwann auch die letzten Anhänger vergrätzt. „Wenn wir weiter so spielen, werden wir Probleme mit unseren Zuschauern bekommen“, sagt HSV-Chef Carl Jarchow.
Für Kapitän van der Vaart ist die Situation dagegen gar nicht so dramatisch, wie sie dargestellt wird: „Letzte Saison hatten wir nach drei Spieltagen keinen Punkt, jetzt haben wir einen“, sagt der Niederländer, der sich auf „ein schönes Spiel in Berlin“ freut.
PS: Immerhin hat sich am Mittwoch kein weiterer Profi gemeldet, der seine Freizeit auf Mallorca verbrachte.