Stimmen Sie ab: Ist es gerade jetzt wichtig, sich kritisch mit dem Verein auseinanderzusetzen, oder sollte man dem HSV den Rücken kehren.
Hinschauen statt wegsehen beim HSV
Zunächst ein Kommentar von Björn Jensen, warum es gerade jetzt wichtig ist, sich kritisch mit dem Verein auseinanderzusetzen, anstatt ihm den Rücken zu kehren.
Der 11. Februar 1984 war ein typischer Wintertag im nasskalten Hamburg. Ein Tag zum Vergessen, wenn ich ihn nicht so oft verflucht oder gepriesen hätte, dass ich ihn nicht vergessen kann. Es war der Sonnabend, an dem sich die HSV-Raute in meinem Herzen breitmachte, nach einem 3:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen. Ich besuchte das erste Fußballspiel meines Lebens, war einer von 12.700 Zuschauern im Volksparkstadion, die Atmosphäre war trist wie so oft. Und dennoch begann eine Leidenschaft, die erst enden wird an dem Tag, an dem mein Leben endet, und die mir so viele Emotionen geschenkt hat, von Freude und Triumph bis zu Trauer, Wut und, ja, auch Hass.
Das mag sich pathetisch anhören, und es gibt wohl letztlich auch keine rationale Erklärung dafür, warum Menschen ihr eigenes Wohlergehen an die Erfolge eines Sportvereins koppeln. Viele tun dies temporär, weil sie einer Mode nachlaufen oder eine bestimmte Phase durchmachen, viele bleiben ihr Leben lang dem Verein, den sie ausgewählt haben, treu, manche treuer als jedem Lebenspartner. Und einige trennen sich nach vielen Jahren von ihrer Leidenschaft, so wie meine ebenso liebe wie geschätzte Kollegin Iris Hellmuth, die am vergangenen Sonnabend auf Seite 2 dieser Zeitung erklärt hat, warum sie nach mehr als 20 Jahren nicht mehr zu den Spielen des HSV gehen wird.
Geständnisse wie das ihre tun mir weh, weil die tiefe Enttäuschung, die daraus spricht, ein klares Zeichen dafür ist, wie tief die Risse im schwarz-weiß-blauen Fundament mittlerweile sind. Darüber dürfen auch 30.000 verkaufte Dauerkarten für die neue Saison nicht hinwegtäuschen. Und natürlich sind ihre Beweggründe verständlich. Es ist nicht die chronische Erfolglosigkeit eines Vereins, dessen Fußballer seit 26 Jahren auf einen Titel warten, die am meisten schmerzt. Es ist die Art, wie in diesem Club seit zu vielen Jahren gearbeitet und kommuniziert wird, die nun auch treue Fans abstößt, gar anekelt. Diese Mischung aus unbegründeter Großmannssucht und gleichzeitiger Kleingeistigkeit im Handeln, die den HSV lähmt, kann einen irre machen.
Und dennoch ist die Konsequenz, nicht mehr hinzugehen in der Hoffnung, das Elend dann nicht mehr ertragen zu müssen, nicht mein Weg. Im Gegenteil, gerade in Zeiten wie diesen braucht es kritische Mitglieder, die einen Gegenpol bilden zu denen, die auf dem Weg sind, das Letzte zu opfern, was diesen Verein noch abhebt von der Masse derer, die als Kapitalgesellschaften einem mit aberwitzigen Summen erkauften Erfolg nachlaufen. Mitglieder, die dafür kämpfen, dass der HSV ein Universalsportverein bleibt, der ein Aushängeschild für die Stadt ist und Heimat für alle, die die Raute mit Stolz tragen wollen – und eben kein kaltes Wirtschaftsunternehmen wird, in dem Menschen per Mail gekündigt wird.
Fußballfans in ganz Europa beneiden den HSV um seine Struktur. Sie ermöglicht Basisdemokratie, die in vielen Clubs fehlt, wo die Fans nur Kunden sind, Posten in einer Bilanz. Natürlich ist Basisdemokratie für die handelnden Personen nicht immer einfach zu ertragen, aber dass sie kein Hemmschuh sein muss, wenn die Gremien harmonieren, haben die erfolgreichen Jahre, die der HSV auch nach dem bisher letzten Titelgewinn hatte, bewiesen.
Was die Mitglieder mit ihrem Engagement möglich machen können, zeigte die Choreografie zum 125. Geburtstag im September 2012. In diesen Momenten ist die Kraft zu spüren, die dieser Verein immer noch ausstrahlt. Und gleichzeitig die Notwendigkeit, sich zu engagieren, damit dies so bleibt, anstatt nur zu konsumieren und zu klagen, wie es der Zeitgeist gerade lehrt. Bei all der berechtigten Kritik am Aufsichtsrat und den Eitelkeiten seiner Mitglieder: Das sind Menschen, die ehrenamtlich viel Zeit opfern, um ihren Verein in die Richtung zu lenken, die sie für gut halten. Der HSV braucht mehr Menschen dieses Schlages, um ein besserer Verein zu werden. Hinschauen statt wegsehen, kritisch begleiten statt beleidigt abwenden – die Idee HSV ist es wert, immer noch und vielleicht mehr denn je.
So geht man nicht miteinander um
Es folgt ein Kommentar von Iris Hellmuth, warum sie in dieser Saison wieder nicht zu den Spielen des HSV gehen wird.
Das mit dem HSV und mir ist leider nicht so schön auseinandergegangen. Aber es ist jetzt auch schon eine Weile her, deshalb kann ich ganz gut drüber sprechen. Wie das immer so ist mit Trennungen: Am Anfang macht man sich gegenseitig Vorwürfe, dann beschuldigt man sich selbst. Und nur ganz zum Schluss, nach fast einem Jahr getrennter Wege, schaut man zurück und denkt: Kein Wunder, dass das mit uns nicht geklappt hat. Obwohl wir doch fast 20 Jahre zusammen waren. Nun mag man mir mangelnde Treue vorwerfen – und vielleicht bin ich das ja auch, fußballerisch gesehen: ein Fähnlein im Wind. Vielleicht habe ich aber auch irgendwann einfach nur die Geduld verloren.
Im Dezember 2006 zum Beispiel, als die Entfremdung begann. Damals spielte ein gesundheitlich angeschlagener Timothee Atouba mit dem HSV in der Champions League gegen ZSKA Moskau. Schon in der ersten Halbzeit begannen einige Zuschauer ihn auszupfeifen und rassistisch zu beschimpfen, „Nigger“, „Kanake“ und „Affe“ waren da noch die harmlosesten Wörter. Gehört habe ich die nämlich sehr genau, ich stand direkt neben der Trainerbank, weil ich für eine Reportage den ganzen Tag die Herren und Damen von der Uefa begleitete. Wahnsinn, dachte ich da: Wie man jede einzelne Beleidigung ganz genau verstand. Irgendwann zeigte Atouba dem Publikum dann den Stinkefinger. Ein schlimmer Moment. Aber nicht nur für den Spieler: Warum, fragte ein Kollege später in der Mixed Zone, hat der Verein Atouba nicht geschützt? Eine Stadionansage zur Halbzeit hätte doch gereicht.
Undenkbar wäre es nicht gewesen: Damals hieß der Sportdirektor des HSV noch Dietmar Beiersdorfer. Der hatte ein großes Herz, selbst eine Raute fand darin Platz. Natürlich hat auch Beiersdorfer viele Fehler gemacht. Aber menschlich, hatte man den Eindruck, weiß er einfach, was sich gehört.
Im Sommer 2009 verließ er den Verein, und seitdem, habe ich den Eindruck, geht es mit dem Verein kontinuierlich bergab. Tragischer Höhepunkt: Ein dänischer Sportdirektor, der die Resterampe seines ehemaligen Vereins leer räumte, um sie dem HSV als Jungstars der Premier League zu verkaufen. Ich frage mich noch heute: Wie präsent muss die Großmannssucht in der Führungsetage gewesen sein, sich dem Urteilsvermögen eines einzigen Mannes so auszuliefern – und einem wohlklingenden Vereinsnamen so blind zu vertrauen?
Die Brumas und Manciennes kamen, und ich frage mich bis heute, ob diese Fußballer irgendeine Ahnung hatten, für welchen Verein sie da gespielt haben. Profis wie Ivica Olic, die den HSV wirklich mochten und nicht die Welt gekostet hätten, ließ man ziehen. Olic ging zu Bayern, dort kämpfte er über Monate und zog den Karren aus dem Dreck. Der HSV verpflichtete Marcus Berg – und im Winter 2010 Ruud van Nistelrooy.
Ruud Van Nistelrooy war schnell wieder weg, Marcus Berg ließ verlauten, er habe vorige Woche aus der Zeitung erfahren, dass er nicht mehr zur ersten Mannschaft gehört. Er habe Berg doch eine E-Mail geschrieben, entgegnete öffentlich der neue Sportchef Oliver Kreuzer. Netter Umgang miteinander, dachte ich nur. Und fragte mich, warum solche Vorgänge nicht einfach intern geklärt werden, warum beim HSV immer alles öffentlich zerquatscht werden muss.
Es sind genau diese Momente, die mich fassungslos machen. Denn es sind die alles entscheidenden. Es sind die Momente, in denen sich die Verantwortlichen lieber in der Öffentlichkeit zerfleischen, als – wie in früheren Zeiten – diskret und anständig ihre Arbeit zu erledigen. Man darf ja nicht vergessen: Es sind die hanseatischen Tugenden, die den HSV einst haben groß werden lassen, Uwe Seeler ist nicht umsonst im Volkspark ein Denkmal gesetzt worden. Heute allerdings muss man feststellen: Der einzige Verein, der in dieser Stadt derzeit hanseatische Werte lebt, ist der FC St.Pauli. Ich bin kein Fan dieses Vereins. Aber man muss doch anerkennen, dass dort vornehmer und fairer miteinander umgegangen wird als im Volkspark.
Uwe Seeler, das hat er vor einigen Wochen bekannt gegeben, möchte kein Ehrenpräsident dieses HSV werden. Ich kann ihn so gut verstehen.