Der ehemalige Präsident Wolfgang Klein spricht mit dem Hamburger Abendblatt über die erfolgreichsten Jahre des Vereins und die Gründe für den Rückfall ins Mittelmaß.
Hamburg. Im Restaurant Osteria Due in der Badestraße ist für Wolfgang Klein, 72, immer derselbe Tisch reserviert, rechts in der Ecke, fünf Meter vom Tresen entfernt. Hier saß der ehemalige HSV-Präsident (1979-1987) schon in den 1980er-Jahren sonntags nach den Bundesligaspielen mit dem damaligen HSV-Trainer Ernst Happel (1981-1987) zusammen und arbeitete den Spieltag vom Sonnabend auf. "Happel", erzählt Klein, "bestellte immer dasselbe: Bohnensuppe mit Nudeln. Die stand zwar nicht auf der Karte, für Happel wurde sie aber eigens zubereitet."
Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Klein, vor 30 Jahren feierte der HSV in Athen mit dem 1:0-Finalsieg über Juventus Turin den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte, als er den Europapokal der Landesmeister gewann. War dieser Triumph nur möglich, weil der Präsident ein Diktator war und Entscheidungen nicht diskutiert werden mussten, sondern einfach getroffen wurden?
Wolfgang Klein: Auch rückblickend sehe ich mich nicht als Diktator, wir waren ein starkes Präsidium. Richtig ist, dass wir klare Strukturen im Verein hatten. Heute muss im Aufsichtsrat, dessen Besetzung sich auch noch alle zwei Jahre ändert, für jede Entscheidung eine neue Mehrheit organisiert werden. Das erschwert die Arbeit eines Vorstandes ungemein. Ich trug damals als Präsident die Gesamtverantwortung, Günter Netzer war als Manager für den sportlichen Bereich zuständig, mit Ernst Happel und zuvor Branko Zebec hatten wir in dieser Phase zwei außergewöhnliche Trainer, und die Mannschaft hatte sich über Jahre entwickeln können. Die Grundlagen dafür waren von meinen Vorgängern in den 70er-Jahren geschaffen worden. Das Entscheidende aber war, dass jeder den Aufgabenbereich des anderen respektierte, ohne zu murren. Das scheint mir heute anders zu sein. Happel, Netzer und ich waren drei unterschiedliche Charaktere, die jedoch alle größten Wert auf eine vernünftige Zusammenarbeit legten.
Gab es bei Ihnen nie Konflikte?
Klein: Keine grundlegenden. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel: 1986 mussten wir aus finanziellen Gründen unseren Nationalspieler Wolfgang Rolff an Bayer Leverkusen verkaufen. Felix Magath, der im Sommer dieses Jahres Manager wurde, meinte daraufhin: "Dann können wir gleich die Lizenz zurückgeben." Happel dagegen sagte: "Wenn Wolfgang sagt, der Verkauf ist wirtschaftlich notwendig, dann verkaufen wir ihn und holen uns zwei junge Spieler." Danach hat er seine Wunschmannschaft skizziert - mit Dietmar Beiersdorfer und Manfred Kastl, die dann beide aus Fürth kamen. In der nächsten Saison sind wir 1987 Vizemeister und Pokalsieger geworden.
Nach dem bislang letzten Titelgewinn des HSV ging es bergab. Rückblickend könnte man meinen, von Ihrem Rücktritt hat sich der HSV nie wieder erholt.
Klein: Das Problem war, dass sich keine Hamburger Persönlichkeit für meine Nachfolge finden ließ. Ernst Naumann, ein absolut honoriger Mensch und erfolgreicher Verleger, hat es dann gemacht; nicht aus Überzeugung, sondern allein aus Verantwortung gegenüber dem HSV. Daraus wurde ein Verwalten statt eines Gestaltens.
Allerdings waren auch nicht alle Ihre Personalentscheidungen glücklich. Felix Magath etwa erwies sich damals als Manager nicht gerade als Ideallösung.
Klein: Magath war noch unerfahren. Eigentlich hatte ihn Günter Netzer 85/86 einarbeiten sollen. Das geschah nicht, weil die Chemie zwischen beiden nicht stimmte. Dementsprechend schwer tat sich Magath 1986 bei der Suche des Happel-Nachfolgers, seiner ersten großen Aufgabe. Josip Skoblar war als Trainer ein Fehlgriff, für den ich Mitverantwortung trage. Aber auch dass wir uns zur Saison 83/84 von unserem Torjäger Horst Hrubesch getrennt haben, hat sich im Nachhinein als falsch herausgestellt. Das haben später auch Netzer und Happel eingesehen.
Der HSV hatte schon damals keinen finanziellen Spielraum, um Fehlentscheidungen zu korrigieren. 1991 drohte dem Verein sogar die Insolvenz.
Klein: Das war vier Jahre nach meinem Rücktritt. Viele meinten, wir hätten durch den Sieg 1983 in Athen reich sein müssen. Ein Europapokalsieg war zwar auch vor 30 Jahren ein riesiger sportlicher Erfolg, finanziell aber hat er sich nicht gelohnt. Das ist kein Vergleich zu heute, wo die Vereine in der Champions League mit Geld zugeschüttet werden und Fußball einen weit höheren gesellschaftlichen Stellenwert hat, was die Zuschauerzahlen und das Engagement von Großunternehmen dokumentieren. Wir saßen damals oft mit unseren Präsidiumskollegen aus München, Stuttgart, Bremen oder Frankfurt zusammen. Dann hieß es, halb im Scherz, halb im Ernst: Könnt ihr nicht diesmal Meister werden, wir haben kein Geld, um 500.000 Mark an Prämien zu zahlen. Bereits in den 70er-Jahren wandelte der HSV am Rande der Zahlungsunfähigkeit. In meiner Amtszeit wurden zwar keine neuen Schulden gemacht, aber eben auch keine Gewinne erzielt. Dramatisch wurde die Lage, als der Club in der Saison 88/89 unter Manager Erich Ribbeck finanziell ins Risiko ging, das sich sportlich nicht auszahlte.
Auch Bayern München war vor 30 Jahren finanziell nicht auf Rosen gebettet, hatte große Schulden. Warum sind die Entwicklungen beider Vereine nach 1983 dermaßen unterschiedlich verlaufen?
Klein: Beim HSV mangelte es nach 1987 an Kontinuität wie an ausgewiesenen Fachleuten. Trainer, Manager, Präsidenten wechselten alle naslang. In München, aber auch in Bremen standen über viele Jahre dieselben Personen in der Verantwortung. Das zahlt sich aus, wie es sich beim HSV in den 80er-Jahren ausgezahlt hatte. Die Bayern haben zudem rechtzeitig ihre Fußballabteilung ausgegliedert und dadurch einen viel größeren Handlungsspielraum erlangt, konnten Anteile an ihrer AG an Unternehmen verkaufen, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren.
Eine Ausgliederung ist beim HSV bis heute ein hochsensibles Thema.
Klein: Das war sie bei den Bayern in den 90er-Jahren auch. Damals haben sich Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß hingestellt und gesagt: Wir halten das für notwendig, weil es das Beste für den Verein ist. Hoeneß und Beckenbauer hat man das geglaubt. Beim HSV fehlte eine unabhängige Persönlichkeit mit dieser Überzeugungskraft, der man abgenommen hätte, dass sie zum Wohle aller Mitglieder handelt. Dieses Vertrauen ist gegenüber einem bezahlten Vorsitzenden wie Bernd Hoffmann sicherlich schwieriger aufzubringen als gegenüber einem ehrenamtlichen, wie ich es war. Ich hatte diese Glaubwürdigkeit, weil ich aus dem Verein kam, deutscher Weitsprungmeister, 1964 Olympiateilnehmer war und immer für den Universalsportverein HSV stand. Ich habe viele Sponsoren überzeugt, auch unsere erfolgreichen Volleyballer, Leichtathleten, Eishockey- und Schachspieler zu unterstützen. Diese Maßnahmen hatten eine starke integrative Wirkung. Heute herrscht unter den HSV-Mitgliedern doch große Skepsis gegenüber ihrer Vereinsführung.
Was ist Ihrer Meinung nach zu tun?
Klein: Der HSV gibt derzeit ein diffuses Bild ab. Jeder Aufsichtsrat scheint einen anderen Nachfolger für Sportvorstand Frank Arnesen zu favorisieren. Meine Frage ist: Wofür steht der Club, wo will er hin? Für mich ist keine Vision, keine Philosophie zu erkennen. Das erschwert es, sich zu 100 Prozent mit dem Verein zu identifizieren. Ich sehe überall Mittelmaß. Damit gewinnen Sie keine Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft, die sich für den Verein engagieren würden, wie es bei den Bayern mit seinem hochkarätig besetzten Aufsichtsrat der Fall ist. Wer engagiert sich schon für Mittelmaß ohne Perspektive? Beim HSV reden zu viele mit, deren Wissen um den Fußball nicht größer ist als das eines Fans. Einigen Aufsichtsratsmitgliedern sollten wir daher dankbar sein, dass sie sich unter dieser Konstellation überhaupt zur Verfügung gestellt haben.
Wie sieht Ihre Vision für den HSV aus?
Klein: Ein letztes Beispiel: Wir wollten damals einen 18-Jährigen aus Bremen verpflichten. Der ging in Netzers Büro und kam nach zwei Minuten wieder raus. "Was ist los?", fragte ich ihn. "Ich habe meine Gehaltsvorstellungen vorgetragen, danach war das Gespräch sofort beendet." Sie hätten als Erstes sagen sollen, erklärte ich ihm, warum Sie unbedingt für den HSV spielen wollen. Dann hätten wir uns weiter unterhalten. Szenen wie diese hatten sich damals in der Bundesliga herumgesprochen. Jeder wusste, es ist etwas Besonderes, für den HSV spielen zu dürfen. Es wäre schön, wenn das heute die Mehrzahl unserer Profis ähnlich sehen würde. Das ist natürlich ein Wunschtraum. Um ihn wahr werden zu lassen, bedarf es einer zeitgemäßen Struktur, entsprechender Kontinuität und darauf basierender Glaubwürdigkeit. Der HSV ist davon nicht Lichtjahre, aber noch weit entfernt. Doch die Hoffnung lebt.