Der HSV-Torhüter hat seinen ganz eigenen Weg zur Topform gefunden - auch mithilfe zeitgenössischer Kunst. “Mir ist Kunst wichtiger als teure Uhren oder Autos“, sagt Adler.
Hamburg. Der Aufwand suggeriert Großes. Drei Kamerateams warten, Radioreporter sind erschienen, die der Tageszeitungen und Fachmagazine sind sowieso da. Es ist deutlich mehr los als an sonstigen Wochentagen beim HSV. Selbst zwei Vertreter des Magazins der Deutschen Fußball-Liga sind vertreten. Sie alle warten auf René Adler. Auf den Torhüter, dessen Aufstieg vor knapp drei Jahren bereits gestoppt schien - und der inzwischen eine außergewöhnliche Renaissance erfährt. Denn Adler ist wieder in aller Munde. Führungsspieler, Matchwinner in vielen Spielen und "absolut nicht mehr wegzudenken", wie HSV-Trainer Thorsten Fink sagt. Adler hat seine alte Form wiedergefunden und zählt aktuell zu den besten Torhütern. Weltweit, wie Fink meint. Und das nach einem Leidensweg, der ihn an den Rand der Verzweiflung brachte.
Umso mehr genießt Adler inzwischen sein Comeback. "Ich stehe wieder gern im Mittelpunkt", sagt der HSV-Torwart, der auf dieses Gefühl lange Zeit verzichten musste. "Ich stand vor meinem Ende als Profifußballer - das ist ein Moment, in dem du demütig wirst. Und genau das hat mir geholfen."
Unmittelbar vor der WM 2010, für die er als Nummer eins im DFB-Team vorgesehen war, musste der gebürtige Leipziger wegen eines Rippenbruchs nicht nur seine erste WM-Teilnahme absagen, sondern auch den hart erkämpften Stammplatz in der Nationalelf an Manuel Neuer abgeben. Dauerhaft, wie es schien, weil sich weitere Verletzungen anschlossen. Aber bei Adler ist nicht viel, wie es scheint. Der 28-Jährige ist gereift, hat seinen Mittelpunkt gefunden. Und seine Topform. "Innere Ruhe ist wichtig", sagt Adler, der auf dem Platz "cooler ist als alle", wie sein junger Mannschaftskollege Heung Min Son fast bewundernd sagt. Adler ist nicht mehr der verbissene, überehrgeizige Torhüter, der nach Fehlern immer mehr trainiert. "Ich trainiere und lebe einfach bewusster", sagt Adler. Nach seinem unglücklichen Auftritt beim 1:5 in Hannover, wo er an vier Gegentoren eine Mitschuld trug, habe er sich einen Wochenplan erarbeitet, der vor allem Erholungsphasen vorsah. "Es geht nicht um mehrere Einheiten. Ich bin gut trainiert, mein Körper ist topfit. Ich darf mich nur nicht ablenken lassen." Darin liege sein Erfolgsrezept.
Und so war nach dem Hannover-Spiel zu Hause Fußball kein Thema. Fernseher und Computer blieben aus, Facebook war ebenso tabu wie Pressetermine. Adler zog seine ganz persönliche Notbremse. "Die Welt ist brutal schnelllebig geworden, und ich arbeite in einem extrem schnelllebigen Geschäft." Das habe sein Aufstieg, sein tiefer Sturz und der jüngste Wiederaufstieg zum umjubelten Torhüter mehr als deutlich gemacht. "Deshalb muss ich manchmal auf die Bremse treten und mich bewusst von allem lossagen."
In solchen Phasen sind Spaziergänge mit dem Hund ("Dabei senkt sich bei mir eine emotionale Schranke"), Bücher und gezielte Trainingspläne, die er zusammen mit Torwarttrainer Ronny Teuber erstellt, wichtig. Und wenn Golfspielen nicht möglich ist, frönt er seiner großen Leidenschaft: der Kunst. Zeitgenössischer Kunst. "Das hat sich über die Jahre entwickelt", so Adler, der sein Hobby mit Freundin Lilli Hollunder teilt, die als Schauspielerin ihr Geld verdient. Adler selbst beherrscht keine klassische Kunst. Lediglich rudimentäres Können am Klavier könne er sich bescheinigen. Dennoch sammelt er Kunst, genießt die Ablenkung auf eine Art, die man heutzutage nicht zwingend mit dem gemeinen Fußballprofi in Verbindung bringen würde. Adler hat mit dem neumodischen Jungmillionär mit Hang zum ausschweifenden Lebensstil nicht viel zu tun: "Mir ist Kunst wichtiger als teure Uhren oder Autos", sagt er.
Der neue Publikumsliebling beim HSV genießt es, mal nicht nur über das letzte Spiel zu sprechen. Allerdings genügt eine Frage nach der Chance, mit seinem HSV die Europa League zu erreichen, um ihn zurückzuholen ins Tagesgeschäft: Fußball. Zumal jetzt, wo es "in die heiße Saisonphase" geht, wie Adler sagt. Mit einem Sieg gegen Augsburg könnte der HSV seine Position als Anwärter auf einen internationalen Wettbewerb festigen. Und während sich beim HSV viele bei diesem Thema auf die Zunge beißen, spricht Adler aus, was die meisten denken: "Natürlich wollen wir in die Europa League."
Ungewohnt forsche Töne, die Adler vom Rest der Mannschaft abheben und in der Berichterstattung über den HSV in den Mittelpunkt stellen dürften. Eben dahin, wo sich Adler nach langer Zeit wieder richtig wohlfühlt.