Nach den verschenkten zwei Punkten in Mönchengladbach heißt es beim HSV nun vor dem 125. Geburtstag volle Konzentration auf Hannover.

Mönchengladbach. Lucien Favre schnappte sich ein Stück Papier. Dann kritzelte der Schweizer zwei Kreuze auf den Zettel, stellvertretend für zwei seiner Spieler. Schließlich stand er auf und tänzelte auf dem Podium hin und her. Der Trainer von Borussia Mönchengladbach veranschaulichte auf seine für ihn typische Art, was seiner Mannschaft noch fehlt. „Die Ballannahme dauert zu lange, wir müssen schneller denken und schneller spielen“, sagte Favre nach dem 2:2 (1:2) gegen den Hamburger SV. Es sei ein glücklicher Punkt, gab er unumwunden zu. „Damit kann ich aber gut leben.“

Ganz im Gegensatz zum HSV, der eigentlich alles richtig gemacht hatte. Es ist lange her, dass eine Mannschaft die Borussia im eigenen Stadion so dominierte. Marcell Jansen übertrieb im ersten Moment vielleicht etwas, seine Analyse stand aber wohl stellvertretend für die Hamburger Gefühlswelt. „Das ist schlimmer als wenn wir 0:6 verloren hätten. Das war wie eine Amateurmannschaft“, sagte Jansen. Der Knackpunkt seien die Konter gewesen, sagte der Ex-Gladbacher.

Mehr als der Knackpunkt war in erster Linie der Ausgleich durch Alvaro Dominguez in der Nachspielzeit. Rafael van der Vaart, der den HSV mit einem Traumtor in Führung brachte (23.), hatte so etwas schon geahnt. „Ich hatte schon so ein Gefühl, dass in den letzten Minuten etwas passiert. Aus Erfahrung weiß ich, dass, wenn man ein schönes Tor schießt und einen Elfmeter verschießt, dann kann das in letzter Minute immer noch passieren“, sagte der Niederländer, der so zur tragischen Figur wurde.

Dass es so kam, hatten sich die Hamburger selbst zuzuschreiben. In den knapp 40 Minuten vor dem Ausgleich hatte der HSV trotz Überzahl die konzeptlose Borussia durch Fahrlässigkeit im Spiel gehalten. Nach der Roten Karte gegen Gladbachs Torschützen Martin Stranzl verschoss van der Vaart zunächst den Foulelfmeter (53.), ehe die Hamburger „fünf, sechs Konter ohne Kopf und ohne Übersicht“ (Jansen) vergaben. Kapitän Heiko Westermann trauerte den zwei verlorenen Punkten ebenfalls hinterher. „Es wäre so wichtig gewesen, dieses Glücksgefühl mitzunehmen.“

Immerhin: Der HSV hat zumindest seinen Rhythmus und sein Selbstvertrauen gefunden, ist trotz des Remis kurz vor dem 125. Geburtstag und nach dem katastrophalen Saisonbeginn auf dem richtigen Weg. Die Borussia aber lässt inzwischen nahezu alle spielerischen Tugenden vermissen und holt mit Kampf und Krampf zwar Punkt um Punkt, allerdings mit mehr Glück als Fußball-Verstand. „Wir haben immer daran geglaubt, das ist ein gutes Signal“, sagte Favre. Allerdings sind die Alarmglocken nicht mehr zu überhören. Dass Stranzl am Donnerstag vom Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nur für ein Spiel gesperrt wurde, ist ein schwacher Trost.

Nachdem zu Saisonbeginn die spielerische Mischung und Abstimmung zwischen den Mannschaftsteilen fehlten, hatten sie in Gladbach Zeit und Geduld gefordert. Zumindest letzteres scheint inzwischen aufgebraucht, denn der Mannschaft fehlten gegen den HSV nicht nur Automatismen. Zwei Standards mussten her – offenbar eine neue Stärke der Borussia, die aber zugleich auch die Schwächen offenlegt. „Dass wir von Zeit sprechen, soll kein Alibi für die Mannschaft sein. Wir dürfen keine Rückschritte machen, das haben wir in den letzten beiden Spielen aber getan“, sagte Manager Max Eberl.