Borussia Mönchengladbach, in der vergangenen Spielzeit Vierter, sucht vor dem Heimspiel gegen den Hamburger SV die alte Leichtigkeit.

Berlin/Mönchengladbach. Lucien Favre ist ein Feingeist. Er war es als Spieler, und er ist es bis heute als Trainer geblieben. Einer, der die Kultur liebt, gutes Essen und das schöne Spiel. Und als solcher wird er wie die meisten der über 50.000 Menschen Mitte August im Hinspiel der Champions-League-Qualifikation gegen Dynamo Kiew kurz innegehalten haben, als er im Rund des Borussia-Parks an diesem milden Sommerabend die pathetische wie berühmte Hymne der Königsklasse hörte. Es war ein lang vermisstes Gefühl am Niederrhein, doch währte es nur kurz.

Heute, vier Wochen später, erklingen an gleicher Stelle vor dem Heimspiel gegen den Hamburger SV am Mittwoch (20 Uhr/Sky und im Liveticker auf abendblatt.de) allerdings die ersten Takte eines mittelschweren Blues. Für das Konzert der ganz Großen, der Champions League, hat es am Ende nicht gereicht. Borussia spielt Europa League, immerhin; sie sind nicht überragend, aber unterm Strich ordentlich in die Saison gestartet. Acht Pflichtspiele, nur zwei Niederlagen gegen Kiew und Nürnberg, beide waren vermeidbar.

„No Reus, no party?“

Und dennoch sucht die Mannschaft in dieser Spielzeit noch das Gesicht, das in der vergangenen Saison so gestrahlt hat. Mit all dem Tempofußball und der Selbstverständlichkeit in den Kombinationen, in denen sie sich selbst und die Fans berauschten. Im Internet entstanden zu jener Zeit Videos, die „Borussia Barcelona“ heißen, von knapp einer halben Million Menschen gesehen wurden und schon im Herbst 2012 wie ein Relikt aus einer unwirklichen Zeit scheinen. Unter einem dieser Videos fragte ein Nutzer am Sonntag nach dem glücklich wie spielerisch armen 1:1 in Leverkusen treffend: „No Reus, no party?“

Und Favre selbst fasst die geänderte Marschroute für diese Saison in seinem Fazit nach dem Spiel am Sonntag zusammen: „Wenn wir so kämpfen wie in Leverkusen, können wir viele Mannschaften schlagen.“ Kämpfen statt kombinieren. Es sind neue Vorzeichen an der Hennes-Weisweiler-Allee, aus „Borussia Barcelona“ wird wieder „Borussia Mönchengladbach“.

Das Remis in Leverkusen war eines des schwächsten Spiele der Gladbacher unter Favre. Er experimentiert in dieser frühen Phase der Saison viel, er wechselt aus, verschiebt Positionen, rotiert. Ausgerechnet er, dessen taktische Ideen stets nur das Kollektiv umsetzen kann. Zugang Luuk de Jong bleibt ein Fremdkörper im Spiel, weil die Mannschaft noch das Tempo eines Marco Reus gewöhnt ist und Favre bislang kein Mittel gefunden hat, das Spiel besser auf den Niederländer abzustimmen. Mittelfeldtalent Granit Xhaka pendelt zwischen defensiver und offensiver Aufstellung, Abwehrspieler Alvaro Dominguez strahlt noch nicht die Sicherheit des nach München abgewanderten Dante aus. Das Gladbacher Spiel wirkt statisch, überhastet, wenig überraschend. Ganz so, als habe Marco Reus nicht nur seine eigenen Fähigkeiten mitgenommen, sondern auch die seiner Mitspieler.

Favre sucht das passende Rezept

Manager Max Eberl versucht zu beschwichtigen: „Momentan sind wir dort, wo wir uns das vorstellen. Wir haben nie gesagt, dass das internationale Geschäft Pflicht ist.“ Und dennoch werden die Weichen für die Gladbacher in den kommenden Wochen gestellt. Am Mittwoch kommt ein selbstbewusster HSV nach Gladbach (Favre: „Ein gefährlicher Gegner“), danach geht es nach Dortmund, eine Woche später steigt das erste Europa-League-Heimspiel gegen Fenerbahce Istanbul. Es ist ein schwieriger Spagat, den der Klub zurzeit bewerkstelligen muss; eine Operation am offenen Herzen.

Die Ansprüche des Umfeldes sind aufgrund der Vorsaison gestiegen. Weniger an den unmittelbaren Erfolg, als vielmehr an das schöne Spiel ihrer Mannschaft. Favre hat einmal gesagt: „Es braucht einen Plan, und für einen Plan braucht man Zeit. Zeit ist sehr wichtig, doch sie ist knapp.“ In dieser Saison ist sie noch viel knapper.