HWWI-Professor Henning Vöpel meint: Ein guter Spieler macht auch seine Mitspieler besser. Und HSV-Gegner müssen mehr Kraft aufbringen.
Mit der Verpflichtung von Rafael van der Vaart herrscht Erleichterung beim HSV. Mit ihm sollte es gelingen, den befürchteten Abstieg zu vermeiden. Die Strategie ist dennoch riskant - aber das wäre auch jede Alternative.
Der HSV hat sich in den letzten Jahren in eine dramatische Situation manövriert, in der er nur noch zwischen zwei Arten von Risiko wählen kann: entweder den Verein zu konsolidieren und einen möglichen Abstieg in Kauf zu nehmen oder alles - zum letzten Mal - auf eine Karte zu setzen. Der HSV hat sich mit dem Van-der-Vaart-Transfer für den letzteren Weg entschieden.
Aus sportökonomischer Sicht ist diese Entscheidung interessant, denn sie hat weitreichende Folgen. Die eigentliche Arbeit beim HSV beginnt nun erst, denn der mit van der Vaart eingeschlagene Pfad ist ein völlig anderer als derjenige, der bislang geplant war. Der Spieleretat ist durch die Last-Minute-Transfers (Badelj, Jiracek und van der Vaart) jedoch so stark gestiegen, dass eine Refinanzierung wohl nur durch eine Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb möglich scheint. Der Handlungszwang, den Abstieg zu vermeiden, hat nun gleich den nächsten produziert: nämlich sich für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren zu müssen. Im schlechtesten Fall ist die Katastrophe nur in die Zukunft verschoben worden, dann wahrscheinlich mit umso größeren Folgen. Der 180-Grad-Wechsel in der Strategie stellt das Management vor enorme Herausforderungen. Der strategische Übergang erzeugt in allen Bereichen des Vereins Diskontinuität: in der Budgetplanung, in der Nachwuchsförderung oder im Marketing. Die Balance zwischen kurzfristiger Handlungsfähigkeit und strategischen Zielen muss wiederhergestellt werden. Das ist keine unübliche Situation im Fußball, sondern geradezu charakteristisch für das Business. Aber die Chancen stehen gut, dass es mit van der Vaart am Ende klappen könnte. Der Transfer erfüllt - neben vielen anderen - zwei wichtige Prinzipien, nach denen eine funktionierende Mannschaft aufgebaut werden sollte:
1. Das Prinzip der Grenzproduktivität: Die nächste Million Euro sollte - gerade bei knappen Kassen wie beim HSV - in jene Position investiert werden, wo der zusätzliche Effekt auf die Performance der Mannschaft am größten ist. So gut Adler auch gehalten hat, es gab beim HSV bestimmt schlechter besetzte Positionen als die des Torwarts - etwa eben jene im zentralen Mittelfeld, die nun van der Vaart ausfüllen soll.
2. Das Prinzip der "Komplementarität" - oder: "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile." Ein guter Spieler macht seine Mitspieler besser. Van der Vaart ersetzt nicht nur den bisherigen Zehner; er sorgt zudem für Entlastung der Abwehr, weil der Gegner mehr Ressourcen für die Defensive aufwenden muss, und ist in der Lage, die Stürmer effektiver einzusetzen. So teuer der Transfer auf den ersten Blick sein mag, durch den Van-der-Vaart-Transfer steigt die Rendite der Investitionen in Jiracek und Badelj. Vermutlich aber werden bald weitere Transfers nötig, um den Sprung (big push) aus den Abstiegsrängen und dem Mittelfeld der Tabelle zu schaffen, denn die Mannschaft ist zu teuer, um mit ihr nur den Abstieg vermeiden zu wollen.
Dieses Dilemma ist eine Folge jahrelanger Fehlentwicklungen beim HSV. Beide oben beschriebenen Prinzipien hatte der HSV in den letzten Jahren sträflich missachtet. Die Mannschaft wurde auf den falschen Positionen verstärkt und es wurde tendenziell in große Namen, aber wenig in komplementäre Strukturen investiert. Klopp hat genau aus diesem Grund zu Beginn seiner Dortmunder Erfolgsära den unzweifelhaft guten Petric an den HSV abgegeben. Beim HSV dagegen wurden aus einer noch vor nicht allzu langer Zeit gut funktionierenden Mannschaft um van der Vaart nach und nach die tragenden Säulen entfernt. Nach dem Weggang der Schlüsselspieler, die nie adäquat ersetzt wurden, blieb ein Fragment aus zwar guten, aber völlig unverbunden nebeneinander agierenden Spielern übrig.
Nun ist es alternativlos geworden, ins Risiko zu gehen, alles auf eine Karte zu setzen. Denn auch ein Abstieg ist hochriskant, wie einst fest etablierte Vereine wie Köln oder Frankfurt zeigen, die heute Fahrstuhlmannschaften sind.
Doch mit van der Vaart ist es für das Management beim HSV noch lange nicht getan. Im Gegenteil: Die Arbeit beginnt erst. Das Abstiegsrisiko ist gegen ein neues Risiko getauscht worden - gewonnen ist nur ein wenig Zeit.