Aufsichtsratschef tritt zurück, Klubchef umstritten, Sportchef attackiert, Trainerzukunft offen - der Hamburger SV ist am Boden.
Hamburg. Am Tag danach setzte sich Horst Becker an den Computer und schrieb seinen Aufsichtsratskollegen eine Mail. Darin verurteilte der Oberkontrolleur des HSV das Vorpreschen von Peter Becker am Montagabend, der die Bestellung von Sportchef Bastian Reinhardt ("ein Berufsstarter") als Fehler bezeichnet hatte, scharf. "Angesichts der angespannten sportlichen Situation sollten wir alle an einem Strang ziehen und nicht Wahlkampf in eigener Sache zulasten eines Vorstandsmitglieds betreiben", forderte Becker, der zudem auf die Geschäftsordnung verwies, wonach mehrheitlich getroffene Entscheidungen des Gremiums nicht öffentlich bewertet werden dürften.
Nicht weniger verärgert reagierte auch Bernd Hoffmann: "Wir können nur Erfolg haben, wenn wir uns gegenseitig unterstützen", sagte der HSV-Vorsitzende, "gerade wenn es schwierig ist, brauchen wir Geschlossenheit."
Doch davon ist der Verein derzeit so weit entfernt wie die Mannschaft von einem Champions-League-Platz, besonders die Kontrolleure. Nicht umsonst hatte Horst Becker diese Woche seinen Rückzug vom Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden bekannt gegeben, weil er sich von seinen Kollegen mehrfach im Stich gelassen fühlte. "Mit den Aussagen Peter Beckers ist die Zerstrittenheit des Aufsichtsrats erneut bewiesen worden", kritisierte Ralf Bednarek, der Vorsitzende der Abteilungsleitung Förderer und Supporters Club.
Bastian Reinhardt verfolgte die Attacken Peter Beckers im Hotel Elysée live aus den hinteren Reihen und sackte nach Augenzeugenberichten danach in sich zusammen. Nachdem der 35-Jährige sowieso einen extrem schweren Start hatte, weil er als letzte Wahl galt, wird seine Position weiter geschwächt.
Kommentieren wollte Reinhardt die Angriffe Beckers zwar nicht, dafür aber Jörg Neblung, der ihn als Spieler lange Jahre beriet: "Die Äußerungen richten sich in meinen Augen nicht gegen Bastian Reinhardts Arbeit, sondern gegen die Entscheidung, ihn zum Sportdirektor und Vorstand zu machen. Aber das ist klar erkennbar reiner Populismus zu Wahlkampfzwecken. Bastian macht einen sehr guten Job. Ihn beispielsweise für die Zusammenstellung des Kaders verantwortlich zu machen würde von völliger Unkenntnis der Abläufe zeugen, da er erst sehr spät an Bord kam." Neblung erinnerte daran, Horst Heldt habe genauso angefangen wie Reinhardt. "Und Heldt war bekanntermaßen im Vorfeld einer der Wunschkandidaten des HSV."
Das Problem Reinhardts: Er muss sich in einer Phase in den Sportchefposten einfühlen, in der der HSV auf vielen Ebenen den Eindruck macht, sich selbst zu demontieren. Artenschutz, wie ihn seine Vorgänger Dietmar Beiersdorfer und Holger Hieronymus als Sportchefanfänger beim HSV genossen, hat Reinhardt nicht. Hoffmann, von den eigenen Fans scharf verbal angegriffen, sitzt längst nicht mehr so stabil auf seinem Chefstuhl, um Reinhardt Rückendeckung geben zu können. Im Gegenteil, im Prinzip müsste sich Reinhardt stärker von Hoffmann emanzipieren, um sein Profil zu schärfen und nicht als Erfüllungsgehilfe eines Vorsitzenden zu gelten, der alle relevanten Entscheidungen am liebsten allein trifft.
Armin Vehs Verbleib wiederum ist nach dem jüngsten, steilen Abwärtstrend keinesfalls so gesichert, wie es vor Wochen schien. Der Trainer hat alle Hände voll zu tun, die verunsicherte Mannschaft, in der immer wieder Abwanderungswünsche die Runde machen (Petric, Zé Roberto), auf Kurs zu bringen. Zudem sieht sich Reinhardt intern bereits Vorwürfen ausgesetzt, der Austausch mit dem Nachwuchszentrum sei verbesserungswürdig.
Ohne eine eigene Hausmacht - schließlich musste er wegen seiner Führungsposition auch zu seinen einstigen Mitspielern auf Distanz gehen und sie sogar maßregeln wie diese Woche im Fall von "Zauberlehrling" Frank Rost - wird Reinhardts Auftrag zu einem äußerst schwierigen Unterfangen. Er muss als sportlich Verantwortlicher entscheiden, wie der Kader angesichts drohender sinkender Einnahmen neu strukturiert werden soll: Was wird aus Ruud van Nistelrooy, was aus Piotr Trochowski oder Zé Roberto? Eine Niederlage in Mönchengladbach morgen dürfte Reinhardts Mission weiter erschweren und weitere Kritiker ermuntern, seine Ablösung zu fordern, damit ein starker Mann den Selbstzerstörungsprozess stoppt. Etwaige Antwortmails müsste ein anderer Aufsichtsrat schreiben. Wer, steht noch nicht fest.