Der HSV zeigt unter Armin Veh neue Kopf- und “Comeback“-Qualitäten. Das bewiesen die Hamburger in Frankfurt eindrucksvoll.

Frankfurt. Als sich Armin Veh am Sonnabend um 16.17 Uhr auf den Weg in die Kabine der Frankfurter Arena machte, musste er innerhalb kürzester Zeit entscheiden, welche Art der Ansprache er für seine Spieler wählen sollte: Emotional-wütend, aggressiv oder doch ruhig? 0:1 lag sein eigentlich überlegenes Team zu diesem Zeitpunkt zurück und hatte Glück, kurz vor der Pause nicht durch den ehemaligen HSV-Profi Alexander Meier das zweite Tor kassiert zu haben. Der Trainer ("Das ist immer ein Bauchgefühl") entschied sich am Ende für den sachlichen Ton, sprach aber die eigenen Defizite direkt an.

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Und davon gab es einige. Wie schon so oft in der Vergangenheit gegen spielerisch im Vergleich limitierte, aber kampfstarke Gegner schien sich das HSV-Team die nötige Gier nach dem Erfolg vermissen zu lassen. Was zuweilen auch als Charakterschwäche der Mannschaft interpretiert werden durfte, bedeutete diesmal gegen die Eintracht: Die Balance zwischen der nötigen defensiven Kontrolle gegen die auf Konter ausgerichteten Frankfurter und der Zielstrebigkeit und Konsequenz vor dem gegnerischen Tor stimmte nicht. Dem HSV fehlte es dabei auch auf dem Rasen an Investoren, was Laufbereitschaft und Tempo betraf.

David Jarolim nannte später die analytisch-sachliche Stimmung in der Kabine als Schlüssel zum 3:1-Erfolg . "Wir haben uns gesagt, wir lassen uns nicht verrückt machen. Es war gut, dass wir weiter mit dem Kopf spielten."

Das Vertrauen auf die eigene Stärke zahlte sich aus, weshalb die wichtigste erfreulichste Erkenntnis des zweiten Saisonsieges lautete, dass die HSV-Elf ihren ersten richtigen Mentalitätstest bestanden hat, nachdem bereits eine Woche zuvor gegen Schalke nach dem 1:1-Ausgleich die richtige Reaktion gekommen war. "Der Charakter stimmt jetzt, wir haben aus der vergangenen Saison gelernt", registrierte Marcell Jansen, der sich noch im Mai sehr kritisch über den Zustand der Mannschaft geäußert hatte, erfreut.

Als Vorbild an Einstellung und Willen dienten erneut Ruud van Nistelrooy und Zé Roberto. Während der Brasilianer mit seinen zwei perfekten Ecken den Ausgleich durch Joris Mathijsen und die Führung durch van Nistelrooy - natürlich beide per Kopf - ermöglichte, überzeugte letzterer nicht nur durch seine Trefferquote, die nun schon auf sechs Pflichtspieltore in drei Partien (DFB-Pokal und Bundesliga) stieg. Der ehrgeizige Niederländer trieb seine Mitspieler immer wieder wort- und gestenreich an und betrieb einen hohen Aufwand. Wer noch letzte Zweifel an der Fitness des 34-Jährigen hatte, wurde bekehrt, als dieser in den letzten zehn Minuten des Spiels noch bissig die Eins-gegen-Eins-Duelle suchte.

"Das ist natürlich ein Traumstart", sagte der Torjäger später. "Wenn du einen Neubeginn startest, wie wir das tun, ist solch ein Start natürlich unheimlich wichtig. Wir haben Qualität in der Mannschaft, aber wir können uns alle noch verbessern." Träumen dürfe man natürlich immer, so der 34-Jährige, aber man müsse diese Träume auch leben.

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Es spricht für den von Veh vorgelebten Realismus der Mannschaft, dass der Sechs-Punkte-Start nicht zum Anlass genommen wurde, in Superlativen zu schwelgen. "Ich würde erst nach sechs gewonnenen Spielen von einem Traumstart sprechen", relativierte Jarolim sofort. Und auch Frank Rost warnte vor übertriebener Zufriedenheit oder Euphorie: "Ein erstes Fazit darf man vielleicht nach fünf Spielen ziehen. Gerade wir wissen, dass das Ende einer Saison entscheidend ist."

Was den HSV-Torwart aber positiv stimmte, war die Ausbeute bei den Standards: "In der Bundesliga werden ein Drittel aller Tore so erzielt. Schön, dass wir hier Qualität haben." Noch in der vergangenen Saison zeichnete sich der HSV vor allem durch Mängel bei den Standards aus, sowohl offensiv als auch defensiv. Veh kommt offensichtlich zugute, durch die Abstinenz in der Europa League in den Trainingseinheiten gezielter arbeiten zu können, auch wenn er zugab: "Es ist schwierig, solche Dinge üben zu lassen, weil man sie der Öffentlichkeit preisgibt." Ein Geheimnis ist jedoch nicht mehr zu verstecken: Diese Mannschaft spielt mit Köpfchen.