Trainer Bruno Labbadia genießt den Sieg auch als persönlichen Erfolg über seine Kritiker. Die nächste Prüfung wartet am Sonntag in Bochum.

Hamburg. Das Schöne an Kindern ist ihre bedingungslose Begeisterung. Kinder können lachen, ohne Konsequenzen zu fürchten. Kinder können sich freuen, ohne zu hinterfragen. Und Kinder können feiern, ohne ein "aber" parat zu haben. Das wurde gestern Mittag einmal mehr deutlich, als die rund 60 Kids der HSV-Fußballschule ihre Helden nach deren Rückkehr aus Lüttich mit tosendem Jubel und großem Tamtam an der Nordbank-Arena im Empfang nahmen. Stolze Eltern zückten die Handykameras, Autogrammstifte wurden hervorgekramt und für wenige Minuten hätte man meinen können, dass die schwarz-weiß-blaue Welt des HSV nach dem beeindruckenden Einzug ins Halbfinale der Europa League ziemlich rosa-rot sei.

Es dauerte aber nicht lange, ehe die umjubelten Protagonisten des Vorabends schmerzlich daran erinnert wurden, dass diese Welt eben nicht nur aus Kindern besteht. Denn neben den Fußballkids hatten sich ähnlich viele Fernseh-, Radio- und Zeitungs-Erwachsene vor dem Stadion versammelt, die es wagten, neben dem erfreulichen Europa-Erfolg auch die zuletzt weniger erfreulichen Auftritte in der Bundesliga zu hinterfragen. "Die Spieler sind jetzt gefragt, am Sonntag in Bochum auch in der Bundesliga nachzulegen", sagte Klubboss Bernd Hoffmann, der den Sieg gegen Lüttich als "Balsam für die geschundene Seele" bezeichnete. Als Sofortmaßnahme schlug er nach zuletzt vier sieglosen Spielen in der Liga scherzhaft vor, künftig auch vor Bundesligaspielen die Hymne der Europa League abzuspielen. Im Ernst sprach er dann davon, dass der 3:1-Sieg gegen Standard ein toller Erfolg für den ganzen Verein, aber auch ein besonderer Erfolg für Trainer Bruno Labbadia sei.

Der wollte nach der Ankunft in Hamburg nicht mehr reden - das hatte er am späten Donnerstagabend in Belgien schon zur Genüge getan. "Ich weiß gar nicht, ob jemand merkt, dass die größte Krisenmannschaft Deutschlands im Halbfinale steht. In Hamburg herrscht ja eine Stimmung wie beim Tabellenachtzehnten", hatte Labbadia im Gefühl des Erfolgs sein Unverständnis über die andauernde Diskussion um seine Person kritisiert. "Ich stand letztes Jahr mit Leverkusen im Pokalfinale, jetzt mit dem HSV im Europa-League-Halbfinale - das ist es, was mich antreibt", sagte Labbadia, dem man es nicht verdenken konnte, kindisch trotzig die Kritik der letzten Tage gekontert zu haben.

Seine Spieler hatten den zweiten Einzug ins Europapokalhalbfinale in Folge nur wenige Minuten zuvor tatsächlich wie ausgelassene Kinder auf dem Spielplatz gefeiert. Mit Thimothee-Atouba-Gedächtnistänzen vor den Fans, bester Stimmung in der Kabine und "Viva Colonia"-Gesängen am Tag danach im Flugzeug wurde der souveräne Erfolg angemessen zelebriert, dabei aber auch die Schwierigkeiten in der Bundesliga nicht aus den Augen verloren. "Ich hoffe, dass uns dieser Sieg Selbstvertrauen und Mut gibt", sagte Kapitän David Jarolim, und Dennis Aogo, der die Mannschaft als "eingeschworenen Haufen" bezeichnete, betonte, wie gut das Spiel allen Beteiligten getan hätte.relatedlinks

Ob der Sieg der Mannschaft tatsächlich gut getan hat, wird man bereits am Sonntag in Bochum (15.30 Uhr/live auf Sky und im Liveticker auf abendblatt.de) überprüfen können. Denn anders als nach den vorherigen Erfolgen in der Europa League, als man anschließend in der Bundesliga immer unter den eigenen Erwartungen blieb, will man ein ähnliches Szenario an diesem Wochenende beim sogar seit sieben Spielen sieglosen VfL um jeden Preis verhindern. "Wir wollen unseren Erfolg unbedingt nach Bochum mitnehmen", kündigte Labbadia kämpferisch an, obwohl er neben den Langzeitverletzten nun auch auf den an der Rippe verletzen Jonathan Pitroipa verzichten muss.

Derartige Rückschläge ist der Hamburger Trainer allerdings längst gewohnt, die Ziele im Saisonendspurt sollen davon nicht beeinflusst werden. Ganz oben auf seiner Liste steht neben dem Finaleinzug und dem Sichern eines Qualifikationsplatzes zur erneuten Teilnahme an der Europa League die "bedingungslose Freude", die er sich trotz aller Schwierigkeiten nicht nehmen lassen will. Kostenlosen Anschauungsunterricht gab es am Freitag von den Kids der HSV-Fußballschule - und zwar ganz ohne Bedenken, Fragen und "Abers".