HSV-Trainer Labbadia berief eine Krisensitzung ein, um das zu verhindern, was seinen Vorgängern widerfahren ist: der tiefe Fall in der Tabelle.
Hamburg. Ab Punkt 10 Uhr waren gestern Vormittag die Türen der Nordbank-Arena fest verschlossen. Während Fans und Medienvertreter, die auf den angesetzten Trainingsstart warteten, sich in Geduld üben mussten, wurde im Kabinentrakt Tacheles geredet. Spieler, Trainer und Vorstand hatten sich zu einer Krisensitzung zusammengefunden, die es in dieser Form wohl schon lange nicht mehr beim HSV gegeben hat. Erst gegen 11.30 Uhr öffnete sich die erste Seitentür, aus der Jerome Boateng kurz herauslugte. Zwei Minuten später folgte Ruud van Nistelrooy. Der Stürmerstar, der vor gerade mal zwei Monaten mit viel Tamtam und Trara als neuer Hoffnungsträger präsentiert worden war, ging schnellen Schrittes zu seinem Auto, setzte sich hinein und brauste - ebenso kommentarlos wie zuvor Boateng - davon. Der Morgen nach dem Debakel von Gladbach war kein normaler Morgen - so viel war allen Beteiligten spätestens jetzt klar.
+++ "Hoffmanns Erklärungen" - die Labbadia-Debatte im HSV-Blog +++
Knapp eine Stunde hatten Spieler, Trainer und Vorstand über die Geschehnisse der letzten Wochen gesprochen, nach Gründen für die sportliche Misere gesucht, nach dem Warum gefragt. "Das ist die große Frage, die wir uns immer wieder gestellt haben", sagte Zé Roberto (siehe Interview), der sich als Erster den immer zahlreicheren Kamerateams stellte. Eine schlüssige Antwort hatte er ebenso wenig parat wie Mannschaftskapitän David Jarolim ("Es muss jetzt etwas passieren") und Klubboss Bernd Hoffmann ("Es hilft nicht, übereinander zu reden, sondern nur miteinander").
Es dauerte eine weitere Stunde, bis auch Bruno Labbadia, ein kurzes Lächeln, den Blick geradeaus, zur Tür hinausspazierte. "Wir wollen gemeinsam einen Weg aus dieser Situation finden", sagte er mit fester Stimme, die versuchte, glaubhaft zu versichern, dass er noch immer der richtige Mann am richtigen Platz ist. Der Mann, der den totalen Absturz verhindern will - ein Absturz, der beim HSV schon Tradition hat.
Rückblick: Es war ein schöner Sommertag, als Bruno Labbadia am 3. Juli des vergangenen Jahres der Öffentlichkeit präsentiert wurde. "Wir haben einen Plan in der Tasche, der nun abgearbeitet wird", sagte der "Wunschnachfolger Jols" (Hoffmann über Labbadia) und strahlte in die Objektive der Fotografen.
Nachdem der HSV auf der Zielgeraden der Vorsaison unter Martin Jol so ziemlich alles verspielte, was man verspielen kann, sollte also mit Bruno Labbadia endlich der Trainer gefunden sein, der die Spielphilosophie des HSV über Jahre bestimmen soll. Die Spieler lobten bereits nach wenigen Tagen sein Engagement, seine Bereitschaft, offensiven Fußball spielen zu lassen, und sein Taktikgeschick, das sogar an die Granden des Geschäfts wie Ottmar Hitzfeld erinnere. Nachdem der HSV mit Thomas Doll, Huub Stevens und Martin Jol drei Trainer in nur drei Jahren verschlissen hatte, sollte mit Labbadia endlich eine neue Zeitrechnung beginnen.
Doch irgendwann zwischen dem besten Saisonstart aller Zeiten und der gestrigen Krisensitzung ist die anfängliche Begeisterung über den "Taktikfuchs" verloren gegangen. Ähnlich wie im Vorjahr in Leverkusen, als sich bei einer internen Abstimmung die Mehrzahl der Profis gegen den Trainer ausgesprochen hatte, verlor Labbadia auch in Hamburg zunehmend den Kredit, den man ihm zuvor gewährt hatte. Je stärker die Temperaturen fielen, desto frostiger wurde auch die Stimmung in der HSV-Kabine. Spieler beklagten sich öffentlich und hinter vorgehaltener Hand über das Training, die Führung und die Kabinenansprache. Auf der Suche nach den Schuldigen wurde der Schwarze Peter fleißig hin- und hergeschoben - bis mit "mybet" gestern der erste Wettanbieter eine Wette auf einen Labbadia-Nachfolger anbot. Favorit mit einer Quote von 2,5: Bundestrainer Joachim Löw.
Dabei hätte Labbadia bereits im Sommer gewarnt sein sollen - nicht nur wegen seiner Erfahrungen aus Leverkusen, sondern auch wegen der Erfahrungen seiner Vorgänger in Hamburg. So verpassten sowohl Martin Jol als auch Huub Stevens und Thomas Doll jeweils im Saisonendspurt die selbst gesteckten Ziele. Keiner der drei schaffte trotz großer Investitionen die direkte Qualifikation für die Champions League. Denn obwohl der HSV seit 2006 mehr als 100 Millionen Euro für Neuzugänge ausgegeben hatte, wurden viel zu selten Führungsspieler gefunden, die der Mannschaft ein echtes Gesicht gaben. Gekauft wurde oft Masse statt Klasse, teure Jungtalente statt fertige Leistungsträger. Und sobald sich ein Spieler zum echten Führungsspieler entwickelte, wurde er aus finanziellen Überlegungen abgegeben.
So musste sich auch Bruno Labbadia im Sommertrainingslager auf eine Achse von vermeintlichen Führungskräften (Frank Rost, Joris Mathijsen, David Jarolim, Zé Roberto, Mladen Petric) festlegen. Doch die Achse brach spätestens, als Zé Roberto seinen Winterurlaub eigenmächtig verlängerte. Zudem kokettierte Petric mit Angeboten der Konkurrenz, Mathijsen patzte auf dem Platz. Die Krönung: Paolo Guerreros Hickhack um seine angebliche Flugangst. Labbadia ließ sich zu viel gefallen - bis heute: "Ich stehe bedingungslos zu meinen Spielern. Daran werde ich auch nichts ändern." Mehrere Spieler werteten diese Solidarität jedoch eher als Zeichen mangelnder Autorität.
Anders als Jol und Stevens, die aus einer Mischung aus eigenen Ansprüchen und dem Widerstand der Mannschaft scheiterten, ist Labbadia aber fest entschlossen, in Hamburg den Weg aus der Krise zu meistern - sofern man ihn lässt. "Selbstverständlich ist Bruno Labbadia auch noch im Sommer im Amt", sagte Klubboss Bernd Hoffmann gestern, um nach einer gespenstisch langen Gedankenpause zu ergänzen: "Stand jetzt."