Der israelische Arbeiterverein und seine Fans verstehen sich als antifaschistisch, das Vereinswappen zieren Hammer und Sichel.
Tel Aviv/Berlin. Es ist die 88. Spielminute, als die rote Wand erbebt und Asaf Eyal im Jubel versinkt. Eine gefühlte Ewigkeit lang sind die Spieler von Hapoel Tel Aviv auf diese Wand zugerannt, vergeblich. Dann der letzte Angriff. Gil Vermouth kommt über links, treibt den Ball bis zur Grundlinie, passt scharf nach innen. Der kurz zuvor eingewechselte Maaran Lala ist schneller als sein Bewacher, schiebt am kurzen Pfosten ein. Auf der Nordtribüne, wo Eyal wie bei jedem Spiel steht, bricht die Ekstase los. Sieg für Hapoel gegen Celtic Glasgow. Der Außenseiter schlägt den Favoriten im ersten Europa-League-Gruppenspiel mit 2:1.
"In der Halbzeit habe ich den Spielern gesagt: Wir werden gewinnen. Wir spielen nicht auf Unentschieden", sagt Hapoel-Trainer Eli Gutman später. Es ist eine gehörige Portion Chuzpe, die er seinen Spielern verordnet, aber der Plan geht auf. Spätestens jetzt weiß man auch in Hamburg: Hapoel Tel Aviv ist nicht bloß Vizemeister einer drittklassigen Liga, sondern ein ernst zu nehmender Gegner.
Asaf Eyal weiß das schon lange. "Bei europäischen Spielen sind wir immer gut", sagt der 27-Jährige, der zu den Ultras, den treuesten Anhängern von Hapoel, gehört. "Auch in Hamburg können wir gewinnen." Tatsächlich verlor Hapoel nur eines der letzten sechs Auswärtsspiele im europäischen Wettbewerb.
Mit 700 anderen israelischen Fans wird Eyal nach Hamburg kommen. Unterstützt werden sie von rund 200 Anhängern des FC St. Pauli, die sich im Fanladen St. Pauli mit Tickets für den Gästeblock eingedeckt haben. Die Ultras beider Vereine verbindet seit Jahren eine enge Freundschaft, denn so wie St. Paulis Fans verstehen sich auch diejenigen von Hapoel als antifaschistisch.
In Israel ist Fußball - hier stimmt die Redewendung ausnahmsweise - mehr als nur ein Spiel. Beim Fußball spiegelt sich auf den Tribünen die tiefe Spaltung der israelischen Gesellschaft wider. Wer sich hier zu einem Verein bekennt, entscheidet sich zugleich, wo er politisch steht. Und die Hapoel-Fans stehen weit links.
Wenn die Sonne abends im Mittelmeer versinkt und das Flutlicht angeht, dann ist Fußballzeit in Tel Aviv, und die Straßen rund um das Bloomfield-Stadion im Süden der Stadt füllen sich mit Menschen in tiefem Rot. Oder sie füllen sich mit Menschen in Blau und Gelb, je nachdem, wer gerade ein Heimspiel hat, Hapoel oder Maccabi Tel Aviv. Die beiden Vereine teilen sich die Spielstätte, die für 16 000 Zuschauer Platz bietet. Ansonsten teilen sie nichts.
Maccabi ist der große, der finanzstarke Verein, dessen zahlenmäßig überlegene Anhänger vor jedem Spiel patriotisch die Hatikwa, die israelische Hymne singen. Hapoel ist der kleinere Verein, dessen Fans meist jünger sind und die Maccabi als "arrogant, pompös und größenwahnsinnig" bezeichnen. Man kann sagen, Maccabi ist der HSV, Hapoel der FC St. Pauli Tel Avivs. "Wir hassen Maccabi, wir hassen Beitar", skandieren die Ultras von Hapoel, wenn sie sich in Block fünf hinter dem Tor versammeln. Beitar Jerusalem ist ihr anderer großer Feind. Ein Auswärtsspiel von Hapoel gegen Beitar ist in etwa so, wie wenn St. Pauli auf Hansa Rostock trifft.
Das Spiel der säkularen Metropole Tel Aviv gegen das religiöse Zentrum des Landes Jerusalem ist immer hochpolitisch. "Die Beitar-Anhänger hassen uns, weil wir das exakte Gegenteil von ihnen sind", erzählt Asaf Eyal. Antifaschismus, das bedeutet für die Ultras von Hapoel, gegen die Diskriminierung der arabischen Bevölkerung zu sein, gegen die Ultraorthodoxen, gegen die Siedlungen und die Besatzung im Westjordanland. Es ist eine radikale Position in einer Gesellschaft, in der der Patriotismus angesichts der ständigen Bedrohung zur Bürgerpflicht gehört.
Nicht weniger radikal sind allerdings viele der Anhänger von Beitar, die sich über Jahre den Ruf erarbeitet haben, offen rassistisch zu sein. Sprechchöre wie "Tod den Arabern" oder "Der Tempelberg ist unser" gehörten in der Vergangenheit zu ihrem Standardrepertoire.
Wenn diese politischen Extreme aufeinanderprallen, knallt es besonders schnell und besonders heftig. So wie in der vergangenen Saison, als sich vor dem Teddy-Kollek-Stadion in Jerusalem etwa 200 Hapoel-Ultras mit ebenso vielen Beitar-Fans prügelten. Die Sprechchöre waren wie immer politisch-aggressiv. "Wir wollen euch nicht in diesem Land" und "Hapoel, du Hure" intonierten die einen. "Gebt Jerusalem den Palästinensern" und "Jerusalem gehört zu Jordanien" schallte es zurück. Dann setzte es Schläge, Bierflaschen flogen. Die Polizei musste beide Gruppen mit Schlagstöcken trennen.
Die Feindschaft zwischen Beitar und Hapoel hat eine Tradition. Beitar entstand 1936 aus dem rechten, dem sogenannten revisionistischen Flügel der zionistischen Bewegung, während Hapoel 1927 der sozialistischen Gewerkschaftsbewegung "Histradut" entsprang. Die Vereine waren so etwas wie die Betriebssportgruppen der rivalisierenden politischen Strömungen, die bis heute die israelische Gesellschaft prägen. Wer einmal einem Verein die Treue hielt, vererbte sie an die Kinder, zusammen mit der Weltanschauung.
So wie der Großvater von Eyal, ein Hapoel-Mann der ersten Stunde. Wie viele der frühen Zionisten kam er aus Russland und hatte sozialistische Überzeugungen im Gepäck. Vieles hat sich seitdem verändert, eines nicht. "Hapoel" bedeutet auf Hebräisch "Arbeiter", das Vereinswappen zieren Hammer und Sichel. Heute sind es die Ultras um Asaf Eyal, die die rote Fahne hochhalten, ob in Tel Aviv oder in Hamburg.
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