Die Sportchef-Suche beim HSV wird zur unendlichen Geschichte. Kandidat Oliver Kreuzer sagte ab, der Aufsichtsrat vertagte die Suche.

Hamburg. Als ehemaliger Profi und Vertragsamateur in Diensten des FC Bayern sowie gefragter Spielerberater ist Roman Grill (43) viel unterwegs. Eine solch bizarre Dienstreise wie die gestrige nach Hamburg dürfte allerdings auch Roman Grill nur selten erlebt haben. Grill, erklärter Favorit auf dem Posten der Nachfolge von Dietmar Beiersdorfer als Sportchef, war in die Hansestadt gereist, um sein Konzept dem Aufsichtsrat zu erläutern. Am Ende war das Fazit: außer Spesen nichts gewesen. Denn der Aufsichtsrat lud Grill gestern wieder aus.

Damit entwickelt sich die Sportchef-Suche des HSV zu einer unendlichen Farce – und das Gründungsmitglied der Bundesliga dürfte ausgerechnet während des momentanen sportiven Höhenflugs zum Spottobjekt der gesamten Branche werden.

Aber der Reihe nach: Gegen 18.15 Uhr trafen gestern die ersten Aufsichtsräte in den feinen Räumen der Firma Capital am Harvestehuder Weg ein. Gastgeber war Container-Mogul Ian Karan. Die Sitzung nahm dann allerdings für die Teilnehmer einen sehr überraschenden Verlauf. Aufsichtsratschef Horst Becker informierte seine Kollegen, dass der zweite Kandidat Oliver Kreuzer soeben per SMS abgesagt habe. Dabei war auch Kreuzer nach Hamburg gereist, hatte sich sogar am Nachmittag mit Aufsichtsratschef Horst Becker getroffen, um über die finanziellen Konditionen seines Vertrages zu sprechen.

Dann sprach er mit Vorstandschef Bernd Hoffmann und Vorstand Katja Kraus über den weiteren Gang der Dinge, falls er die Wahl gewinnen würde. Detailliert besprochen wurde dabei auch eine mögliche Präsentation für den heutigen Tag – alles schien in bester Ordnung. Wenig später überlegte es Kreuzer sich dann aber offenbar anders und zog per SMS an Becker gegen 18:30 Uhr seine Kandidatur zurück – womögich aus der berechtigten Sorge, er habe ohnehin keine Chance. Becker: „Kreuzer hat mir geschrieben, dass er kein gutes Gefühl habe. Es kann aber durchaus, dass er sich nicht sicher war, gewählt zu werden. Vielleicht war es aber auch, mit seinem Verein Probleme zu kriegen. Er war nicht umzustimmen.“

Damit war das Chaos komplett. Denn nach Kenntnis der Kreuzer-Absage zog sich der Rat zurück, während Grill im Vorraum wartete. Die Entscheidung des Gremiums fiel nach rund einer Stunde. Man wolle unbedingt einen zweiten Kandidaten anhören, daher mache dieser Termin mit Grill keinen Sinn. Becker hatte die undankbare Aufgabe, Grill entsprechend zu informieren. Ein Aufsichtsrat zum Abendblatt: „Herr Grill war nicht gerade begeistert.“ Durch den Hintereingang verschwand der Berater schließlich – wohl auch um den vor der Tür wartenden Reportern zu entgehen. Das Abendblatt erreichte Grill wenig später am Handy. Dabei gab sich der Berater erstaunlich gelassen: „Das ist eine unerfreuliche Situation. Aber der Aufsichtsrat ist ja auch in einer schwierigen Lage. Ich sehe das sportlich. Ich werde an meiner Kandidatur festhalten.“

Das spricht dafür, dass Grill diesen Job in der Tat unbedingt will. Freunden verriet er, dass ihn die Vision, aus dem HSV einen Top-Verein zu machen, so sehr reizt. Dafür würde er sogar finanzielle Abstriche machen. Schließlich müsste er seine lukrative Beratungsagentur „acta 7“, die so prominente Spieler wie Owen Hargreaves, Philipp Lahm und pikanterweise auch den HSV-Profi Piotr Trochowski vertritt, laut Fifa-Reglement sofort aufgeben.

Grill bleibt also im Rennen. Bleibt die spannende Frage nach einem neuen Kandidaten, der jetzt gegen Grill ins Rennen gehen soll. Kaum vorstellbar, dass sich dies jetzt noch ein wirklicher Hochkaräter antut. Schließlich lief schon die Trennung des ehemaligen Sportchefs Dietmar Beiersdorfer mit reichlich Dissonanzen. Becker am späten Abend: „Die Suche kann noch Monate dauern.“ Auf die Frage, ob Grill denn aktuell ein Thema bleibe, antwortete Becker: „Nicht akut.“ Die Belastungsgrenze schien dann auch bei Becker erreicht. Vor laufender Kamera sprach er von „Oliver Grill“.

Während der Aufsichtsrat jetzt also weiter sucht, wird sich vorerst Bruno Labbadia weiter um den gesamten sportlichen Bereich kümmern. Er eilte um 21:35 Uhr auch noch zu der Sitzung am Harvestehuder Weg, um dem Aufsichtsrat um den weiteren Gang der Dinge zu sprechen. HSV-Teammanager Bernd Wehmeyer, der seine Kandidatur bereits vergangene Woche zurückgezogen hatte, mähte gestern am Abend übrigens vor seinem Haus in Lemsahl den Rasen: „Ich wollte es noch vor dem großen Regen schaffen.“ Damit dürfte er gestern produktiver gewesen sein als der gesamte Aufsichtsrat.