Artjoms Rudnevs ist seit Donnerstag in Hamburg. Umstritten ist er nur in seiner Heimat - einer der Gründe ist ein Buchstabe im Nachnamen.
Hamburg. Namen sind Schall und Rauch. Das können wohl nur Menschen behaupten, die Uwe, Horst oder Gerd heißen. Für den neuen HSV-Stürmer Artjoms Rudnevs , der am Donnerstag einen rund fünfstündigen Medizincheck im UKE absolvierte, ist die Sachlage aber eine andere. So sorgte in Rudnevs' Heimat Lettland neben seinem mit großem Interesse verfolgten Wechsel zum HSV zuletzt besonders der kleine Buchstabe "s" für Irrungen und Wirrungen. Auslöser war, dass der Noch-Torjäger von Lech Posen, der in polnischen Zeitungen oft auch als Artiom Rudniew bezeichnet wird, nur zu gerne auf das in Lettland obligatorische "s" in seinem Namen verzichtet hätte. Der Grund: Rudnevs ist ein in Daugavpils an der russischen Grenze geborener Russland-Lette, der - so der Vorwurf einiger lettischer Medien - ohne das "s" seine russischen Wurzeln stärker betonen möchte.
Wer aber um das - historisch bedingt - schwierige Verhältnis zwischen Letten und Russen weiß, der dürfte ahnen, wie groß die Aufregung in Lettland um das fehlende "s" war. Rudnevs selbst konterte alle Vorwürfe mit dem Verweis, dass er in Polen nicht aus patriotischen Gründen Artem Rudnev genannt werden wollte, sondern man dort seinen richtigen Namen nur schwer aussprechen könnte. Eine Erklärung, die die Wogen in seiner Heimat nicht wirklich glätten konnte, zumal sich Rudnevs weiterhin weigert, Interviews auf Lettisch zu führen. In seiner Heimatstadt Daugavpils wird ohnehin mehr Russisch als Lettisch gesprochen - und selbst im Kreise der Nationalmannschaft lässt sich Rudnevs nur selten zu einigen Brocken Lettisch hinreißen.
Mit Frank Arnesen, der neben Deutsch und Dänisch auch Niederländisch, Englisch und Spanisch beherrscht, hat Rudnevs naturgemäß weder Russisch noch Lettisch gesprochen, sondern Englisch. Der HSV-Sportchef hat sich in den vergangenen Monaten mehrfach mit seinem Wunschstürmer getroffen, um den international begehrten Angreifer von einem Wechsel nach Hamburg zu überzeugen. Bei den Treffen am Frankfurter Flughafen, in Posen, in Marbella und gestern schließlich auch in Hamburg ging es aber nicht um ein "s" mehr oder weniger, sondern um Rudnevs' sportlichen Werdegang. Und der scheint Arnesen so sehr begeistert zu haben, dass er die 3,5 Millionen Euro ohne Zögern nach Polen überweist.
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Tatsächlich sind die statistischen Werte beeindruckend, die der 1,83 Meter große und 78 Kilogramm schwere Rudnevs in den vergangenen Jahren sammeln konnte. Während er für seinen Heimatklub in Daugavpils vergleichsweise bescheidene 18 Treffer in 62 Spielen feierte, traf er nach seinem Wechsel nach Ungarn in Zalaegerszegi in 30 Spielen 20-mal, ehe er in der polnischen Liga bei Lech Posen 33 Tore in 56 Spielen erzielte. "Artjoms ist ein Knipser, er geht richtig steil, hat seine Stärken im Strafraum, schießt mit beiden Füßen scharf und ist sehr handlungsschnell. Er braucht nicht viele Chancen", schwärmt Arnesen, der mehrfach Auslands-Chefscout Christofer Clemens zur Beobachtung nach Posen schickte. Auch Trainer Thorsten Fink war restlos überzeugt: "Im Gespräch mit ihm reicht schon ein Blick in seine glänzenden Augen, um zu erkennen, dass er hungrig nach Erfolg ist."
Was Arnesen und auch Fink aber fast genauso überzeugt wie die zahlreichen Tore, ist Rudnevs' Zielstrebigkeit und Einsatz außerhalb des Platzes. "Er ist ein richtig guter Junge, der sich auch menschlich sehr gut in unsere Mannschaft einfügen wird", lobt der Däne, den besonders Rudnevs' akademischer Weg neben der Fußballkarriere beeindruckt. Vor fünf Jahren begann der Fußballer in Daugavpils ein Bachelor-Programm als Sportlehrer, das er voraussichtlich in diesem Sommer erfolgreich beenden wird. Das Thema seiner Abschlussarbeit: Trainingsmethodik und Technik im Fußball. Weil er nach seinem Wechsel ins Ausland keine Vorlesungen mehr besuchen konnte, hat er sich mit seinen Professoren Nikolajs Romaneko und Olegs Rozdestvenskis darauf geeinigt, dass er eine Art Fernstudium macht und viermal pro Jahr an der Universität Prüfungen schreibt. Um seine Fußballkarriere, die Uni und seine Familie - Rudnevs und seine Frau Santa haben mit Arina eine 13 Monate alte Tochter - unter einen Hut zu bekommen, verzichtet der 24-Jährige größtenteils sogar aufs Ausgehen.
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Auf einen begnadeten Fußballer dürfen die HSV-Fans aber nicht hoffen. Rudnevs ist ein Arbeiter, kein Zauberer. Aleksandrs Kohans, sein erster Trainer, behauptet sogar, dass Rudnevs als Jugendlicher nicht mal wirklich talentiert gewesen sei. Er hätte sich alles mit Fleiß und Einsatz hart erarbeitet, sei immer als Letzter vom Training nach Hause gegangenen und habe immer einen größeren Willen als seine Kollegen gehabt. Gibt man ihm auch in Hamburg die nötige Zeit zum Eingewöhnen, da sind sich die meisten Wegbegleiter einig, wird sich Rudnevs durch seinen ausgeprägten Ehrgeiz auch beim HSV etablieren. Uneinigkeit herrscht in Lettland nur über eine Petitesse: ob Rudnevs beim HSV auf dem Trikotrücken auf sein "s" verzichtet oder nicht.