Durch das 1:1 in Bremen wurde auch das erhoffte “Wunder von der Weser“ verpasst. Der HSV steht am Ende der Saison mit leeren Händen da.
Bremen/Hamburg. Die Stimmung hätte wohl nicht viel besser sein können. Kurz nach dem Schlusspfiff im Bremer Weserstadion jubelten überglückliche Fans Bernd Hoffmann zu und fragten höflich nach, ob der HSV-Chef für ein gemeinsames Erinnerungsfoto zur Verfügung stehen würde. Der Hamburger Vorstandsvorsitzende willigte ein, lächelte und ließ sich knipsen. Der einzige Wermutstropfen an der jubeltrunkenen Szenerie nach dem 1:1-Remis im Nordderby zwischen Werder und dem HSV am Sonnabend war, dass es ausschließlich Anhänger von Werder Bremen waren, die sich zum einen über den gelungenen Saisonabschluss und zum anderen über ein Erinnerungsfoto mit dem in die Kritik geratenen Chef des verhassten Lokalrivalen freuten. Die Stimmung im Lager der Hamburger konnte dagegen mit nur einem Wort beschrieben werden: ernüchtert.
Nach einer Saison der zerplatzten Träume war es nur konsequent, dass auch der letzte kleine Traum vom "Wunder von der Weser" am letzten Spieltag ausgerechnet gegen Werder wie eine Seifenblase zerplatzte. Zwar wussten die Hamburger unter Interimstrainer Ricardo Moniz nach dem furiosen 4:0-Heimsieg gegen Nürnberg auch in Bremen zu gefallen, doch reichte der Punktgewinn am Ende nicht, um noch die Minimalchance auf die Qualifikation zur Europa League wahrzunehmen. So müssen sich die Hamburger erstmals seit sieben Jahren damit abfinden, nicht für einen internationalen Wettbewerb qualifiziert zu sein. "Wir haben unsere sportlichen Ziele verfehlt. Das ist enttäuschend", sagte Hoffmann nach dem grün-weißen Fotoshooting und kündigte an, die Lehren aus dem unerfreulichen Jahr zügig zu ziehen.
Petric fordert weniger Häuptlinge und mehr Indianer für die Mannschaft
Etwas weiter war direkt nach dem Schlusspfiff bereits der eine oder andere HSV-Profi, der auf schnelle Konsequenzen hoffte. "Jeder muss sich nach dieser Saison selbst hinterfragen", sagte Mladen Petric, der "mehr Indianer und weniger Häuptlinge" forderte. Was er damit meinte? "Indianer sind Spieler, die auch mal etwas annehmen, was ihnen ein älterer Spieler sagt. Das hat uns gefehlt." Ähnlich sah es Torhüter Frank Rost, der zudem kritisierte, dass "im Saisonverlauf zu viele Baustellen aufgemacht" worden seien. "Da ist auch zwischenmenschlich etwas kaputtgegangen." Zudem sprach er die Fluktuation auf dem Trainerposten seit Hoffmanns Amtsübernahmen im Februar 2003 an. "Wenn zwei Trainer wie Huub Stevens und Martin Jol hintereinander gehen, dann spricht das für sich", sagte Rost. Hoffmann, der beim gestrigen Katerfrühstück das Gespräch mit seinem Torhüter suchte, erwiderte: "Frank Rost hat eine gute Saison gespielt. Neben dem Platz hat er aber das eine oder andere Mal danebengegriffen."
Einen weiteren Fehlgriff auf dem Trainermarkt darf sich Hoffmann nach dem misslungenen Experiment mit Bruno Labbadia selbst nicht mehr erlauben. Bereits am heutigen Abend will er gemeinsam mit dem zwölfköpfigen Aufsichtsrat die Saison ab 18 Uhr im Elysée Hotel aufarbeiten. "Es werden sicherlich auch kritische Fragen gestellt", kündigte Aufsichtsratschef Horst Becker einen diskussionsfreudigen Abend an, auf dem auch die Nachfolgerschaft des geschassten Labbadias besprochen werden soll. Neben Interimslösung Ricardo Moniz, der gerne zur Dauerlösung werden würde (siehe Text links), gibt es noch ein halbes Duzend mehr oder weniger seriös gehandelter Kandidaten, die sich noch Hoffnungen auf den Job mit der kürzesten Halbwertszeit in der Liga machen.
Personalplanungen und Perspektivgespräche voll im Gang
Ähnlich spannend wie die noch ungeklärte Trainerfrage sind die Personalplanungen rund um die Mannschaft, die nach dem Spiel in Bremen langsam an Fahrt aufnehmen. Etwas schneller nahm gestern lediglich Eljero Elia Fahrt an Fahrt auf, als er bereits in seinem Luxussportwagen sitzend von einem Medienvertreter gefragt wurde, ob er denn auch im nächsten Jahr für den HSV spielen werde. Er habe noch vier Jahre Vertrag, antwortete Elia und drückte mit quietschenden Reifen aufs Gaspedal. Ähnlich wortkarg gab der von RedBull New York umworbene Zé Roberto, der bereits einen Vertrag vorliegen haben soll, Auskunft über seine Perspektive. "Dazu will ich nichts sagen", war der einzige Kommentar, den der Brasilianer, ebenfalls im Auto sitzend, von sich gab. Als unklar gilt die Zukunft von Guy Demel, Bastian Reinhardt, Jonathan Pitroipa, Piotr Trochowski und David Rozehnal, der bereits das Perspektivgespräch mit dem Vorstand führte. Weitere sollen folgen.
Kein Gespräch braucht dagegen Jerome Boateng fürchten, der gestern als einziger in der HSV-Kabine offiziell verabschiedet wurde. Als Geschenk bekam der zukünftige Profi von Manchester City eine Uhr und ein paar warme Worte. Umgekehrt revanchierte sich der Abwehrallrounder mit einem Tipp, auf was für einen Trainer sein Noch-Arbeitsgeber setzen sollte. "Es ist ja bekannt, dass es zwischen der Mannschaft und dem Trainer nicht immer rund lief", erinnerte Boateng an das Labbadia-Intermezzo und empfahl, auf "so einen Typen wie Stevens" in Zukunft zu setzen.
"Es gibt Stabilität im Verein, eine Struktur und eine echte Philosophie - das zahlt sich natürlich aus", sagte Interimstrainer Moniz am Sonnabend - und meinte damit leider nur Gegner Werder Bremen. Sollten die Verantwortlichen des HSV in den kommenden Wochen damit beginnen, ähnliches 110 Kilometer nördlich auf den Weg zu bringen, könnte die Stimmung am Ende der kommenden Saison wieder zuversichtlich sein. Nicht nur in Bremen, sondern endlich auch in Hamburg.