Noch nie hat ein Spieler aus Europa mit erst 27 Jahren die Grenze von 100 Länderspiel-Einsätzen erreicht. Lukas Podolski wird der Erste.
Danzig. In der Halbzeit kam Lukas Podolski zum Einsatz, Torsten Frings musste beim Stand von 1:1 gegen Tschechien im dritten Gruppenspiel der EM 2004 in Lissabon seinen Platz räumen. DFB-Teamchef Rudi Völler wollte offensiv spielen lassen, um das Ausscheiden zu verhindern. 45 Minuten später hatte Deutschland gegen eine tschechische B-Elf mit 1:2 verloren, Podolski sein zweites Länderspiel nach einem Kurzdebüt als 18-Jähriger vor der EM beim 0:2 gegen Ungarn in Kaiserslautern bestritten. Völler trat zurück, es gab eine große Krise und kleine Revolution im deutschen Fußball. Für Podolski begann in Zeiten, die für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu den schlechtesten gehören, eine große Karriere. „Das war damals ein sensationelles Gefühl, dabei sein zu dürfen. Ich hatte ein paar Jahre vorher ganz klein in Bergheim angefangen“, sagt er heute.
Deutschland feiert! Und es wird noch besser
Acht Jahre später ist Podolski noch immer dabei. Gegen Dänemark, zwei Europameisterschaften weiter als die Blamage von Portugal, feiert „der Lukas“, wie der Bundestrainer Joachim Löw den offensiven Mittelfeldspieler nennt, ein großartiges Jubiläum. Podolski, der im polnischen Gliwice geborene „Kölsche Jong“, betritt im dritten EM-Gruppenspiel in Lwiw den „Hunderter-Klub“. Noch nie hat ein Spieler aus Europa mit gerade erst 27 Jahren die Grenze von 100 Länderspiel-Einsätzen erreicht.
Weltweit waren es nur sechs. Aber „Poldi“ rechnet weiter: Die Zahl 103 möchte er am 1. Juli im EM-Endspiel erreichen. „Ich will den Titel, wie wir alle“, sagt er mit Nachdruck. Eines Tages wird er, wenn alles so weiterläuft, Lothar Matthäus als deutschen Rekordnationalspieler mit 150 Einsätzen überflügeln. Und auch bei den Toren kann er für Rekorde sorgen. Im Moment steht er bei 43, so viele schoss auch Uwe Seeler.
Gomez und Schweinsteiger: Erfolgs-WG für den Titel
Podolski ist trotz eines dreijährigen Gastspiels bei Bayern München immer als Galionsfigur des 1. FC Köln eingestuft worden. Doch für ihn selbst ist die Nationalmannschaft der schönste Verein. „Er gehört ja zum Inventar“, sagte Löw kürzlich spaßhaft. Podolski gehört zwar nicht dem Mannschaftsrat an, als ein Kapitänsnachfolger für Michael Ballack gesucht wurde, kam er nicht in Frage - vielleicht weil er mit einer Backpfeife für Ballack beim Spiel in Wales 2008 einmal für einen Eklat gesorgt hatte. Dennoch ist das DFB-Team für Podolski immer eine Wohlfühloase gewesen. Würde er einmal nicht nominiert, würde für ihn eine Welt zusammenbrechen.
Doch nach dem 2:1 gegen die Niederlande am Mittwoch ist wieder eine Diskussion entbrannt, ob Podolski überhaupt in die Stammelf gehört. Seine Leistung wurde als enttäuschend eingestuft. Er ist für viele wieder einmal ein Problemfall. Aber Löw schätzt ihn sehr. Meist kümmern sich mehrere Gegenspieler um den linken offensiven Mittelfeldspieler. Denn er darf nie frei zum Schuss kommen. Mit einer Wucht, die nur wenige erreichen, kann er mit links den Ball abfeuern. Dass er im zehnten Profijahr noch immer taktische Nachhilfe braucht, wissen Generationen von Mitspielern. Kopfballspiel? Quasi Fehlanzeige.
Aber kaum bekannt ist es, dass Podolski absolute Fitness-Spitzenwerte aufweist. Schnellkraft, Maximalkraft, Kraftausdauer, Schnelligkeit – alles gehört in den Topathletenbereich. Arsene Wenger, Trainer des FC Arsenal, dem künftigen Klub von Podolski, beobachtete die Partie in Charkow. Typisch „Poldi“, wie er dies forsch kommentierte: „Ich freue mich, dass die Arsenal-Fans sehen, was ich auf höchstem Niveau leisten kann. Bald werde ich das auch in London zeigen.“
Dass er auch bei der EM noch sein Top-Niveau erreicht, hofft Löw. Er nimmt ihn in Schutz, weil Podolski inzwischen defensiv hervorragend arbeitet. 41 Ballkontakte hatte Podolski gegen Holland, 46 gegen Portugal, das ist der viertschlechteste Wert im DFB-Team. „Poldi“ hat ein Problem mit dem Dreifachtorschützen Mario Gomez, weil der ein anderer Stürmertyp ist als sein „Spezi“ Miroslav Klose, der die Räume für nachrückende Spieler öffnet. André Schürrle, der in 14 Länderspielen meist als Joker schon sieben Treffer erzielte, macht großen Druck auf ihn. Doch dass Löw ausgerechnet Podolski beim Jubiläum in das zweite Glied verbannt – es ist kaum vorstellbar.