Hallo Hamburg,
es ist 4.45 Uhr morgens, seit drei Stunden sitze ich im Flugzeug, sollte schon lange im Bett liegen, und warte darauf, dass unsere Maschine endlich die Starterlaubnis bekommt. Jeder Sieg hat seinen Preis, und diesmal müssen ihn offenbar die Journalisten zahlen. So sehr ich mich auch über den Erfolg gestern Abend in Charkow gefreut habe, so sehr weicht diese Freude nun der Erschöpfung, der Müdigkeit und zwischendurch auch mal dem Ärger. Alle 30 Minuten meldet sich der Flugkapitän, schimpft auf das ukrainische Towerpersonal, sagt, dass es noch dauert, nur wie lange, das kann er nicht sagen. „Ich wollte Ihnen nur den neusten Stand durchgeben“, meldete er eben gerade, „die schlechte Nachricht: es sind noch acht Maschinen vor uns dran. Die gute Nachricht: es könnte schlechter sein. Hinter uns warten acht weitere acht Maschinen auf dem Rollfeld. Offenbar hat der wenig Begabte unseren Fall an den noch weniger Begabten übergeben. Mein Fazit: So etwas Unfähiges habe ich noch nie in meinem Pilotenleben erlebt.“ Da kommt ja Freude auf. Mittlerweile bin ich seit rund 19 Stunden unterwegs, habe noch einen zweistündigen Flug vor mir, und draußen ist es bereits wieder hell. Wir sind schließlich im östlichsten Osten, viel weiter nach Osten geht es nicht. Wie konnte man die EM nur in die Ukraine vergeben?, sagt ein Kollege neben mir. Und für einen Moment ertappe ich mich, wie ich denke, fast sage: Stimmt, wie konnte man nur? In was für einem Land sind wir da nur hingeraten, in dem noch nicht mal die Spielerfrauen, die wieder in der Journalistenmaschine ganz vorne sitzen, bevorzugt behandelt werden. Die einzige Konsequenz: Deutschland muss Gruppensieger werden, so spielen sie im Viertel- und im Halbfinale nur noch in Polen. Und über das Finale in Kiew mache ich mir jetzt mal lieber keine Gedanken. Mittlerweile ist es nach 5 Uhr, draußen sind es noch immer über 30 Grad, und ich kann ganz offiziell nicht mehr. Darf man bei abendblatt.de das Wort mit Sch... benutzen? So eine Sch...!
In dem Sinne, Entschuldigung für die Quengelei, vielleicht bis morgen,
Kai Schiller
Abendblatt-Redakteur Kai Schiller begleitet die deutsche Nationalmannschaft während der EM. Jeden Tag schreibt er einen Brief an Hamburg, heute aus dem Flugzeug von Charkow nach Danzig.