Frankfurt am Main. Wen lädt Bundestrainer Joachim Löw ein? Von Stammkräften, Wackelkandidaten, Außenseitern, Verletzten und einem Schattenmann.
Leon Goretzka schlenderte etwas später aus der Kabine, deswegen waren die lobenden Worte von DFB-Direktor Oliver Bierhoff nicht in seine Ohren geschwappt, die sich zudem auch noch unter einer dicken Wintermütze versteckten. Bierhoff hatte den Bayern-Profi kurz zuvor als einen der Nationalspieler bezeichnet, die nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht hätten. Nun sprach der 24-jährige Doppeltorschütze im Frankfurter Stadion selbst über den 6:1 (2:1)-Erfolg gegen Nordirland, mit dem sich Deutschland im letzten Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft 2020 den Gruppensieg gesichert hatte.
„Ich habe mich wohlgefühlt. Ich fühle mich fit, fühle mich gut. Ich bin hungrig“, meinte Goretzka. Der Spirit, der Zusammenhalt in der Mannschaft sei besonders. Aber: „Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen, wo wir hinmüssen, um erfolgreich zu sein“, analysierte er mit dem Selbstverständnis eines Leistungsträgers. Goretzka zählt zum Kreis der Gesetzten im EM-Kader. Was logischerweise nicht für alle Nationalspieler gilt, die nach und nach aus der Kabine trudelten, um sich auf den Heimweg zu begeben.
6:1 gegen Nordirland – die deutschen Spieler in der Einzelkritik
Die deutsche Mannschaft verabschiedet sich nun erst mal in eine lange Winterpause, erst im März lädt Bundestrainer Joachim Löw seine Spieler wieder zu zwei Testspielen ein. Das eine findet in Spanien statt, der andere Gegner steht noch nicht fest. „Ich wünsche mir, dass im nächsten Jahr alle gesund sind und einen guten Rhythmus aufnehmen“, meinte Löw.
Er wird die lange Pause nutzen, um die Lehren aus dem vergangenen ereignisreichen Jahr zu ziehen, um weiter über den möglichen EM-Kader zu grübeln. Dieser nimmt trotz vieler Fragezeichen bereits Konturen an. 23 Plätze sind zu vergeben. „Durch die vielen Verletzungen haben wir den Stamm erweitert“, sagte Bierhoff. Es gibt die Gesetzten, die Wackelkandidaten, die Außenseiter, die Verletzten – und den Schattenmann. Ein Überblick.
Die Gesetzten
Trotz des Umbruchs, den Löw ja bereits vollzogen hat, tummeln sich unter den Stammkräften noch ein paar Überbleibsel aus der großen Weltmeister-Generation von 2014. Kapitän Manuel Neuer im Tor. Stratege Toni Kroos. Matthias Ginter, eigentlich dauerhafter Mitläufer, gewinnt als Innenverteidiger an Bedeutung. Daneben haben sich weitere Führungskräfte entwickelt: Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Ilkay Gündogan. Serge Gnabry ist der Nationalspieler des Jahres. Lukas Klostermann hat sich als Rechtsverteidiger etabliert. Timo Werner und auch Marco Reus schätzt Löw zudem. Kai Havertz könnte die Zukunft prägen. Ersatztorhüter Marc-André ter Stegen muss sich gedulden.
Die Wackelkandidaten
Für viele zählt Julian Brandt zu den Gesetzten, doch die offensive Konkurrenz ist enorm. Julian Draxler kehrt zurück. Luca Waldschmidt hat sich gegen Weißrussland zwar schwer verletzt, wird im kommenden Jahr aber wieder angreifen. Interessant wird außerdem der Kampf der Linksverteidiger. Marcel Halstenberg und Nico Schulz zählen beide nicht zur internationalen Spitzenklasse, und ein Außenseiter (siehe weiter unten) holt auf. Emre Can besitzt gute Chancen. Niklas Stark, Jonathan Tah und Thilo Kehrer wurden von Löw schon häufiger gelobt. Bernd Leno und Kevin Trapp kämpfen um den dritten Torhüter-Platz.
Die Außenseiter
Linksverteidiger Jonas Hector schien schon abgemeldet, gegen Nordirland bereitete er aber zwei Treffer vor. Robin Koch, Suat Serdar und Nadiem Amiri wurden vor allem durch die Verletztenmisere zur Nationalelf gespült. Sebastian Rudy? Bei ihm weiß Löw, dass er Zuverlässigkeit bekommt. Für Maximilian Eggestein ist das EM-Ticket weit weg.
Die Verletzten
Joachim Löw wird im kommenden Jahr häufiger mal mit Ärzten telefonieren. Denn der Bundestrainer hofft natürlich, dass Verteidiger Niklas Süle und Offensivspieler Leroy Sané, seine zwei am Kreuzband verletzten Leistungsträger, rechtzeitig belastbar sind. Seriöse Prognosen lassen sich noch nicht abgeben. Antonio Rüdiger hingegen dürfte bald wieder im DFB-Trikot verteidigen.
Der Schattenmann
Solange Süle nicht fit ist, wird Löw immer wieder nach Mats Hummels gefragt werden. Hummels, der eigentlich aussortierte Weltmeister von 2014, ist der Schattenmann, weil er im Trikot von Borussia Dortmund derzeit so stark verteidigt wie kein anderer Deutscher. Kehrt er zurück? Möglich.
In Frankfurt war er jedenfalls nicht dabei. Als Goretzka dort schon verschwunden war, lobte Kimmich noch die Geschlossenheit, die Qualität seiner Mitspieler. Bis ihm Gnabry zurief, endlich zu kommen, um gemeinsam nach München zu fahren. Der Clubfußball wartet. Auch beim FC Bayern sind die beiden gesetzt.