Eppan. Mit 32 Jahren ist der Stürmer der Älteste im deutschen WM-Kader – über die Gelassenheit des Alters und ein Erweckungserlebnis.
Das Leben von Mario Gomez hat sich gerade noch mal komplett verändert. Vor zwei Wochen wurde er Vater eines Sohnes. Mit Mats Hummels und Sebastian Rudy bildet er bei der Fußballnationalmannschaft, die sich gerade in Eppan (Südtirol) auf die WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli) vorbereitet, den Kreis der Jungväter, die sich gegenseitig berichten, was der Nachwuchs so macht. Eine neue Rolle für Gomez. Eine weitere neue Rolle.
Herr Gomez, verzeihen Sie bitte die etwas despektierliche Frage, aber: Haben Sie sich schon an den Gedanken gewöhnt, mit 32 Jahren und fast elf Monaten der Opa im Team zu sein?
Mario Gomez: Es ist verrückt: Ich fühle mich wahnsinnig jung – und bin tatsächlich der Älteste.
Dürfen Sie wenigstens als Erster auf die Massagebank?
Gomez: Um Gottes willen, das will ich gar nicht. Diese Hierarchie, die durch das Alter bestimmt wird, gibt es zum Glück nicht mehr. Als ich 2007 in die Nationalmannschaft kam, waren in meinem Alter gerade mal acht, neun, zehn Spieler dabei. Da war der Kern der Mannschaft erfahrener, älter. Mittlerweile ist das genau umgekehrt. Der Manu (Neuer), der Sami (Khedira) und ich sind ja fast Exoten.
Stellen Sie Unterschiede im Miteinander der Generationen fest?
Gomez: Früher waren die Alten eher für sich und wir Jungen für uns. Heute sind beide Generationen offen. Von außen mag man es manchmal als verwunderlich empfinden, dass diese Gruppe so harmonisch miteinander lebt, dass es jedem hier Spaß macht. Wer uns mitbekommt, der spürt und sieht, dass es wirklich so ist.
Sie sind seit 2007 dabei, waren 2010 erstmals bei der WM, spielten kaum und schossen kein Tor. Wenn Sie den Mario Gomez von damals mit dem von heute vergleichen: Sehen Sie große Unterschiede?
Gomez: Hätte ich damals die Ruhe und die Gelassenheit von heute gehabt, hätte ich vielleicht bei der WM 2010 eine andere Rolle gespielt. Aber man wird erst durch die Erfahrungen zu dem, der man ist.
Wie waren Sie früher?
Gomez: Profifußball war für mich ein Traum, der in Erfüllung ging. Ich hatte Visionen, ich wollte immer höher hinaus, dies erreichen, das erleben, dort spielen.
Und heute?
Gomez: Ich genieße einfach nur den Moment. Ich kann mich voll auf das Hier und Jetzt einlassen und überlege nicht, was morgen ist, was noch kommen muss und kann. Das gibt mir Sicherheit und Selbstbewusstsein – und auf dem Platz eine gewisse Ruhe. Fußball macht mir so viel Spaß wie noch nie.
Klingt, als wären Sie von einer Last befreit.
Gomez: Als junger Nationalspieler hatte ich viele ältere Spieler um mich herum. Ich habe mir extremen Druck gemacht. Den mache ich mir immer noch, weil ich einfach gut sein, dazugehören und der Mannschaft helfen will. Aber ich denke nicht mehr zu oft darüber nach, was passiert, wenn das Spiel mal schlecht läuft. Die Dinge, die mich als junger Spieler manchmal abgelenkt haben, spielen für mich heute keine Rolle mehr.
Sie waren bei jedem Turnier seit 2008 dabei – nur nicht, als Deutschland 2014 Weltmeister wurde. Eine Verletzung ruinierte Ihnen die Saison. Löst das noch Betroffenheit aus, den größten Moment Ihres Sportlerlebens vielleicht verpasst zu haben?
Gomez: Das habe ich längst abgestreift. Es sollte so sein. Und bei mir hat es das Bewusstsein dafür geweckt, was mir diese Mannschaft und das Dasein als Nationalspieler bedeuten. Bis dahin habe ich das als Selbstverständlichkeit empfunden. 2014 habe ich begriffen, dass es ein Privileg ist, dabei zu sein.
Kein Hadern?
Gomez: Natürlich war da eine Zeit lang Trauer. Aber ich habe mich auch unheimlich für die Jungs gefreut. Jahrelang hieß es, dass mit dieser Generation kein Titel zu gewinnen sei. Ich habe viele Höhen und viele Tiefen erlebt. Wenn du den Erlebnissen nachtrauerst, kannst du gleich aufhören. Ich bin relativ gut darin, Dinge hinter mir zu lassen und nach vorne zu schauen. Das tue ich jetzt.
Schauen wir nach vorne: Timo Werner gilt als Stürmer Nummer eins für die WM.
Gomez: Diese Rankings bringen nichts. Das Turnier muss gespielt werden, jeder im Team wird gebraucht, jeder ist wichtig, und erst am Ende können wir sagen, wer ein großes Turnier gespielt hat.
Erleben die klassischen Stürmer in den vergangenen Jahren eine Renaissance, nachdem sie fast ersetzbar schienen?
Gomez: An dieser Diskussion über falsche Neuner und das vermeintliche Aussterben „richtiger“ Stürmer habe ich mich nie wirklich beteiligt, weil ich nie das Gefühl hatte, dass ich nicht gebraucht werde in meinen Mannschaften. Der Bundestrainer nimmt mit, wen er für richtig und geeignet erachtet. Mein Ziel ist es, bei der WM dabei zu sein. Darin unterscheide ich mich aber nicht von den anderen.